Frage an Roderich Kiesewetter bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Roderich Kiesewetter
CDU
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Frage von Jonathan S. •

Frage an Roderich Kiesewetter von Jonathan S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kiesewetter,

ich möchte mich bei Ihnen zunächst für die aufschlussreichen Antworten auf meine bisherigen Fragen bedanken. In meiner dritten Nachricht an Sie möchte ich das schreckliche Verbrechen in Hanau aufgreifen.
Der Journalist Jakob Augstein hat als Reaktion auf die fürchterlichen Ereignisse in Hanau am 20.02.2020 folgende Nachricht auf Twitter geschrieben:
"Die Wegbereiter der Gewalt haben Namen und Adresse: Sarrazin, Broder, Tichy, und andere, die die Verrohung des Diskurses vorangetrieben haben..." (https://twitter.com/Augstein/status/1230528726431150080)

1. Gewiss sind Ihnen die Herren und deren Bücher bzw. Texte bekannt. Teilen Sie die Auffassung von Herrn Augstein, dass es sich bspw. bei Herrn Sarrazin um einen "Wegbereiter der Gewalt" handelt oder würden Sie doch eher sagen, dass die Texte der genannten Personen sich im Spektrum bzw. Rahmen typischer sozialdemokratischer oder liberal-konservativer Meinungsäußerungen bewegen?

Bevor ich Ihnen meine zweite Frage stelle, möchte ich Sie gerne zu einem "Gedankenexperiment" einladen. Stellen Sie sich vor ein Bürger kommt in Ihre Bürgersprechstunde und sagt:
"Ich bin gegen eine weitere europäischen Einigung. Ich möchte keinen europäischen Pass, keine europäische Arbeitslosenversicherung und kein Erhöhung des deutschen Beitrags an die EU wegen des Brexits. Ich bin zu allererst Deutscher und dann Europäer. Ich bin gegen den Pakt für Migration und ich halte illegale Migration für eine Sache, die unserem Land volkswirtschaftlich schadet und deshalb müssen illegale Migranten schnellstens in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Früher habe ich immer CDU gewählt, allerdings jetzt gibt es keine politische Heimat mehr. Was soll ich wählen?"

2. Was würden Sie diesem Bürger antworten? Wo im politischen Spektrum würden Sie diesen Bürger verorten und sind das "zulässige" Meinungsäußerungen oder handelt es sich bei diesem Bürger um einen "Wegbereiter der Gewalt"?

Herzliche Grüße

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihre weitere Frage. Gerne stelle ich Ihnen meine Positionen zu den von Ihnen aufgeführten Punkten dar.

Wie Sie bereits trefflich darstellen, ist die Gewalttat in Hanau ein schreckliches Verbrechen gewesen. Der Generalbundesanwalt Peter Frank stellte bereits in Bezug auf Veröffentlichungen des Mutmaßlichen Täters fest, daß es sich um eine Person „zutiefst rassistischer Gesinnung“ mit „wirren Gedanken“, die ebenso Verschwörungstheorien verinnerlicht, handelt.

In unserer Gesellschaft kommt es vermehrt zu Äußerungen von Hass und Hetze, insbesondere im Internet und in den sozialen Netzwerken. Äußerungen jeglicher Personen, die dazu dienen, dies unter vorgehaltener Sachlichkeit in der Gesellschaft zu normalisieren, sind daher verwerflich und schlecht für eine offene und tolerante Gesellschaft.

Zu ihrer zweiten Frage kann ich Ihnen sagen, daß wir als Union die europäische Arbeitslosenversicherung nicht befürworten. Eine solche Arbeitslosenversicherung solle die Eurozone wirtschaftlich stabiler machen, ein Auseinandergehen der Entwicklungen der Mitgliedsstaaten verhindern und konjunkturelle Schwankungen ausgleichen. Jedoch sind Konjunkturschwankungen nicht die Hauptursache für ökonomische Ungleichgeweichte. Vielmehr sind strukturelle Probleme der Auslöser hierfür, die aus negativen Entwicklungen von Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Bildungspolitik stammen. Der strukturelle Anstieg der Arbeitslosigkeit in einigen Ländern ist nur durch Reformen zu bewältigen, die deren Wettbewerbsfähigkeit stärken und anpassungsfähige Arbeitsmärkte schaffen. Transfermaßnahmen wie die europäische Arbeitslosenversicherung sind hierfür untauglich und würden Strukturreformen behindern oder erst gar nicht ermöglichen.

In Bezug auf den Brexit wurde mit Großbritannien verhandelt, daß sie ihren Anteil an der Finanzierung aller Verpflichtungen tragen werden, die sie als Mitglied der Union im Hinblick auf den EU-Haushalt und insbesondere den Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 eingegangen sind. Für den kommenden Haushalt 2021-2027 werden die nicht mehr von Großbritannien bereitgestellten finanziellen Mittel auf die weiteren Mitgliedstaaten aufgeteilt. Der Haushalt befindet sich jedoch noch in der Beratung, weshalb keine konkreten Zahlen bestehen. Fest steht jedoch, daß Deutschland, wie alle anderen Mitglieder auch, die entstandene Lücke versuchen muss zu schließen, um ein Weiterbestehen wichtiger EU-Programme zu gewährleisten. Denn auch Deutschland profitiert von den der EU bereitgestellten Mitteln. Unter anderem in dem Bereich der Landwirtschaft werden deutsche Landwirte mit EU-Fördermitteln in Ihrer Arbeit unterstützt. Hierzu gehören auch Förderungen aus Strukturfonds für die regionale Entwicklung.
Uns als Union ist es wichtig, Migration geordnet zu gestalten, daher brauchen wir wirksame, menschliche Lösungen, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern. Hier wurde bereits im Sommer letzten Jahres das Migrationspaket mit einer Reihe von Maßnahmen verabschiedet, unter anderem um eine vollziehbare Ausreisepflicht entsprechender Personen effektiver durchsetzen zu können. Wichtig ist jedoch zu erkennen, daß Migration nicht in Deutschland beginnt, sondern, daß deren Auslöser die jeweilige Situation im Herkunftsland ist. Daher müssen wir vor Ort zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung von Migration durch Behandlung der Ursachen beitragen. Wir können die Integration von Menschen mit Bleibeperspektive unter anderem dadurch verbessern, daß wir versuchen die Zahl der Menschen ohne diese Bleibeperspektive zu verringern. Dies kann beispielhaft durch eine Asylentscheidung an den EU-Außengrenzen ermöglicht werden. Es wird insbesondere in den kommenden Jahren wichtig, eine konkrete Strategie effektiv umzusetzen, um eine geordnete Migration, die unsere Gesellschaft durch Ihr Potential stärkt, zu ermöglichen.

Sehr geehrter Herr Schmidt, grundsätzlich sind Perspektiven einzelner Menschen - wie in dem von Ihnen skizzierten Gedankenexperiment - keine Wegbereiter von Gewalt, wenn Ängste und Befürchtungen nicht immer wie eine Monstranz vor sich hergetragen werden, um anderen Menschen ebenfalls Ängste einzujagen. Ich hoffe allerdings, daß ich Ihnen durch meine Punkte darlegen konnte, daß sich die Union auch den von Ihnen angesprochenen Themen im Jahr 2020 annimmt, auch wenn ich mit den Überzeugungen des Bürgers in Ihrem Gedankenexperiment nicht übereinstimme.

Herzliche Grüße
Roderich Kiesewetter

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