Die Lage in Afghanistan wurde falsch eingeschätzt. Wie konnte es zu dieser gravierend falschen Einschätzung kommen, wenn viele Medien und Ortsvertreter bereits vorher gewarnt haben?

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Rolf Mützenich
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Frage von Stefan S. •

Die Lage in Afghanistan wurde falsch eingeschätzt. Wie konnte es zu dieser gravierend falschen Einschätzung kommen, wenn viele Medien und Ortsvertreter bereits vorher gewarnt haben?

Sehr geehrter Herr Mützenich,

in Angesicht der dramatischen Bilder aus Afghanistan sind viele verantwortliche Politiker dabei darauf hinzuweisen, dass "von allen/vielen" die Lage falsch eingeschätzt wurde. Sie als SPD Politiker und Vertreter meines Wahlkreises möchte ich direkt fragen, wie es in dem SPD geführten Auswärtigen Amt zu dieser dramatischen Fehleinschätzung kommen konnte? Wieso wurden scheinbar nicht alle mahnenden Aussagen berücksichtigt und warum hat man sich zu sehr auf ein "wird schon funktionieren" verlassen? Es hätte in Vorbereitung doch stärker darauf geachtet werden müssen, dass Ortskräfte vom ersten Tag des Abzugs zu unterstützen sind, oder sehe ich das falsch? Es war ja schließlich (und da hoffe ich, dass das AA die gleiche Ansicht hat) leider nur eine Frage der Zeit, bis diese Situation eintritt.

Aktuell bin ich bzgl meiner Erstwahl noch unschlüssig und hoffe, dass Sie das "S" in ihrer Parteizugehörigkeit besser vertreten, als Ihre Kolleg:innen ...

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Sehr geehrter Herr Settertobulte,

ich kann Ihre Empörung verstehen. Es gibt hier nichts zu beschönigen. Das ist ein bitterer Tag. Fast zwei Jahrzehnte haben viele intensiv daran gearbeitet, das Leben der Menschen in Afghanistan zu verbessern.

Wir müssen feststellen, dass die Prognosen und Lageanalysen nicht zutreffend waren. Nicht nur wir, sondern auch die internationalen Partner und zahlreiche Afghanistan-Experten haben die Lage falsch eingeschätzt.

Seit klar war, dass sich auch Deutschland aus Afghanistan zurückziehen wird, haben wir beim zuständigen Bundesinnenministerium (BMI) darauf gedrängt, dass es praktische Lösungen für die Aufnahme für unsere Ortskräfte geben muss. Auf Druck der SPD kam es immerhin im Juni zur erheblichen Erweiterung und Beschleunigung der Verfahren zur Aufnahme von Ortskräften, indem beispielsweise die Zweijahresfrist aufgehoben und der Zeitraum für Anträge rückwirkend um Jahre erweitert wurde. Im beschleunigten Verfahren wurden für über 2.400 Personen in vier Wochen Visa erteilt. Davon sind über 1.900 Personen, Ortskräfte mit ihren Familien, sicher in Deutschland eingereist. Doch erst letzten Freitag wurden von Horst Seehofers Bundesinnenministerium die Voraussetzungen für die Durchführung von Charterflügen geschaffen. Über sieben Monate blockierte es eine praktikable Lösung für eine Ausreise per Charterflug, bei der benötigte Visa direkt bei der Ankunft in Deutschland erteilt werden können. Durch die Blockade des Innenministeriums ist leider viel zu viel Zeit vergangen.

Heute und in den nächsten Tagen gilt es, unsere deutschen Staatsangehörigen und so viele ehemalige afghanische Ortskräfte wie möglich gemeinsam mit ihren Familien in Sicherheit zu bringen. Zusätzlich sollen auch Menschen- und Frauenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Journalisten und Kulturschaffende dazu gehören. Dies ist unser oberstes Ziel, gemeinsam mit unseren internationalen Partnern. Denn für uns war immer klar: Wir haben eine Fürsorgepflicht für die Menschen, die für deutsche Einrichtungen im Ausland gearbeitet haben. Und diese endet nicht mit dem deutschen Abzug aus Afghanistan.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Mützenich

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