Frage an Sven-Christian Kindler bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

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Sven-Christian Kindler
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von axel s. •

Frage an Sven-Christian Kindler von axel s. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Mit großer Freude habe ich das Wahlergebnis in Niedersachsen verfolgt und mit meiner Stimme für die Grünen vielleicht auch etwas dazu beigetragen, dass endlich die Kleinbauern gefördert werden.
Dass in meiner Gegend bereits fast alle Kibitze, Lärchen und Brachvögel wegen der Maiswüsten verschwunden sind, macht mich wahnsinnig wütend! Immer noch lohnt es sich bei weitem mehr für die Landwirte, Mais anzubauen, da EEG Förderungen im hohen Maß, die wir dann auch noch über erhöhte Strompreise mitfinanzieren, locken. Der Aufwand gegenüber Viehwirtschaft, Milchwirtschaft und Ackerbau ist erheblich geringer und profitabler.
Die Klimabilanz für Biomasse ist katastrofal und unterm Strich schlechter als fossile Brennstoffe. Der gleichen Energiegewinnung von 10000 ha Fläche für Energiepflanzen steht eine Fläche von 400 ha für Windkraft gegenüber. Ganz abgesehen von der Vernichtung der früher brachliegenden Flächen, deren Förderung meines Wissens komplett zurückgenommen wurde.
Ein interessanter Filmbeitrag über die verheerende Klimapolitik bezüglich Biogas, Biotreibstoffe und Wasserkraft durch Megastaudämme, die Wüsten am einen Ende und methanerzeugende Wasserwüsten am anderen Ende erzeugen ist "climate crimes" https://www.youtube.com/watch?v=eVIvEdWH0eE .

Meine Frage:
Was unternimmt die jetzige Landesregierung, hinsichtlich der Vermaisung Niedersachsens, des irrsinnigen Ausbaus von Biogasanlagen sowie der Biosprit-Beimischung bei E10,die die Abholzung von Regenwäldern verursacht?

Gibt es eine Chance, dass wieder Wiesen, die nicht bewirtschaftet werden wie früher, entstehen? Was natürlich nur funktioniert, wenn der Landwirt daran verdient? (sprich dafür Förderungen bekommt, die lohnenswerter sind als Biomasse?)
Bekommt der Kleinbauer, der ökologische Landwirtschaft für Lebensmittel und Viehwirtschaft mit erheblich höherem Aufwand (sowohl zeitlich als auch finanziell) betreibt in Zukunft mehr Förderung als der Maisproduzent oder Massentierhalter?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Niedersachsen ist bundesweiter Spitzenreiter bei Biogasanlagen. Über 1.300 Anlagen produzieren 600 Megawatt Strom. Tendenz steigend. Allein in den letzten zwei Jahren wurden über 400 neue Anlagen gebaut. Da diese überwiegend als sogenannte Nawaro-Anlagen – also auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen betrieben werden – wächst ebenso auch der Energiepflanzenhunger.

Der Maisanbau in Niedersachsen hat in der Folge im Jahr 2011 mit zusätzlich 83.000 ha – das ist mehr als die gesamte in Niedersachsen ökologisch bewirtschaftete Fläche – neue Rekordhöhen erzielt. Mit insgesamt 615.000 ha Maisanbau ist mittlerweile ein Drittel der Ackerfläche und ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche mit Mais bewachsen.

Diese massive Vermaisung und die daraus resultierende Entstehung von Monokulturen ist vor allem das Ergebnis politischer Fehlsteuerung der Großen Koalition in der Biogasförderung. Die Entscheidung im Jahre 2009 den so genannten Mais-Bonus für nachwachsende Rohstoffe (Nawaro-Bonus) auf 7 Cent weiter zu erhöhen und die Förderung insgesamt stärker auf Großanlagen auszurichten, hat ebenso dazu beigetragen, wie die Zulassung von artenarmen Monokulturen. Die weitreichenden Folgen für das Landschaftsbild, die Umwelt und die biologische Vielfalt haben Sie hinreichend geschildert. Sie haben auch recht damit, dass die Gewinnung von pflanzlicher Biomasse selbst nicht immer CO2 neutral zu haben ist. Im Gegenteil: wird pflanzliche Biomasse unter hohem Einsatz von Pestiziden und mineralischen Stickstoffdüngern in Monokulturen angebaut oder wird zur Erschließung zusätzlicher Flächen Grünland umgebrochen, verschlechtert sich die Klimabilanz deutlich.
Wir Grüne sind aber überzeugt, dass der Nutzung von Bioenergie eine wichtige Rolle in der Klima- und Energiepolitik zukommen muss und diese für den Erfolg der Energiewende unverzichtbar ist. Der vollständige Umbau unserer Energieversorgung und unseres Verkehr auf erneuerbare Energien, weg vom Öl, wird nur gelingen, wenn wir mittelfristig auch auf den Einsatz von Bioenergien bzw. Biotreibstoffen setzen. Der Einsatz von Biomasse im Energiebereich hat erhebliche klimapolitische und ökonomische Vorteile. Er senkt die Freisetzung von CO2 jährlich um über 50 Millionen Tonnen. Der Löwenanteil davon entfällt mit 36 Millionen Tonnen auf den Wärmebereich. Heute arbeiten 122.000 Menschen in der Bioenergiebranche, die allein im Jahr 2010 ein Investitionsvolumen von rund 2,7 Milliarden Euro erreicht hat. Bioenergien haben ihre Stärke als speicherbare Energieform, die sowohl als Strom, Wärme oder Treibstoff nutzbar gemacht werden kann. Im Strombereich können Biomasse-Kraftwerke maßgeblich zur Bereitstellung von Regelenergie und zum Lastausgleich beitragen, da sie schnell zugeschaltet werden können, wenn es Windflauten gibt und die Sonne nicht scheint. Gleichzeitig sind wir Grüne davon überzeugt, dass Bioenergien unter den erneuerbaren Energien eine Sonderstellung einnehmen, da ihre Erzeugung limitiert ist und zudem ihre Klimabilanz von Herkunft und Erzeugung abhängt. Der Einsatz von Bioenergien ist ihm Rahmen einer Klimaschutzstrategie folglich kein Selbstläufer, er ergibt nur Sinn, wenn sichergestellt wird, dass die Klimabilanz über die gesamte Erzeugungskette deutlich positiv ist und ökologische, wirtschaftliche und soziale Schäden vermieden werden.
Wir wenden sich deshalb mit Nachdruck gegen die gegenwärtigen Fehlentwicklungen in diesem Bereich, die derzeit die ökologischen und sozialen Probleme sogar verschärfen. Für uns hat die Produktion und gerechte Verteilung von Lebensmitteln, um die Ernährung der Menschen sicher zu stellen, Vorrang vor allen Nutzungsinteressen. Zudem muss sich die Förderung von Bioenergien klar und eindeutig an ihrem Nutzen für den Klima-, Umwelt- und Naturschutz ausrichten. So fordern wir, dass beim Anbau von Energiepflanzen folgende Kriterien eingehalten werden: mindestens eine viergliedrige Fruchtfolge auf den landwirtschaftlichen Flächen, kein Einsatz von Agrogentechnik, Einhaltung von mindestens 10% ökologisch wertvoller Strukturelemente (Blühstreifen, Hecken, Biotope etc.), Verbot des Grünlandumbruchs und die Begrenzung des Energiepflanzenanbaus auf nicht mehr als 20% der landwirtschaftlichen Nutzfläche in einer Region.

Für diese Maßnahmen ist eine Reform des EEG notwendig. Viele Boni im jetzigen EEG steuern in die falsche Richtung. So fördert der Nawaro-Bonus den Maisanbau gegenüber der Reststoffnutzung und der Güllebonus macht die industrielle Massentierhaltung rentabel. Fachliche Vorgaben zur landwirtschaftlichen Praxis und zu Wärmekonzepten sind unzureichend und werden nicht eingehalten. Statt falsche Anreize für den Maisanbau zu setzen, fordern wir Grüne Förderinstrumente im EEG, die auf eine umwelt-, natur- und tiergerechte Landnutzung ausgerichtet sind. Wir wollen die Veränderungen am EEG (Anhebung des Nawaro-Bonus) durch die große Koalition zurücknehmen und durch eine an klaren ökologischen Kriterien orientierte Förderung ersetzen. Neben der degressiv gestalteten Grundvergütung (kleinere Anlagen bekommen mehr als größere) wollen wir in Zukunft nur noch Vergütungen für eine besonders ökologische Erzeugung und für einen geringen Anteil von Energienutzpflanzen an der Gesamtbiogasproduktion geben. So wird die Verwendung von Grünschnitt, Wildpflanzen und Abfallstoffen lukrativer. Die Gesamtförderung für Neuanlagen ist an den energie- und umweltpolitischen Ausbauzielen sowie dem Anteil an der Landnutzung jährlich neu zu berechnen.

Wir Grüne setzen zudem auf mehr Effizienz bei Biogasanlagen und die Stärkung kleiner und mittlerer Anlagen gegenüber Großanlagen. Neuanlagen müssen grundsätzlich Strom und Wärme nutzen, Kraft-Wärme gekoppelt sein sowie ein vernünftiges Wärmekonzept vorlegen. Die Nutzung der Wärme vor Ort muss grundsätzlich Vorrang vor der energieintensiven Einspeisung haben. Und auch hier sollten Bioenergien in erster Linie als flexible Speicherenergien zur Stromerzeugung eingesetzt werden, wenn Wind- und Solarstrom den Bedarf nicht decken können.
Solange es keine technischen Alternativen gibt oder ein grundlegend verändertes Mobilitätskonzept greift, werden wir biogene Kraftstoffe auch für den Verkehr brauchen. Dies gilt perspektivisch nicht mehr für den Pkw-Verkehr, für den mit der Elektrifizierung des Automobils eine technische Lösung heranwächst, die es erlaubt Wind- und Sonnenstrom für die Mobilität zu nutzen. Wo es technisch möglich ist, ziehen wir diese Nutzung erneuerbarer Energien für den Verkehr ganz klar den Biokraftstoffen vor. Dies ergibt sich schon ans dem Vergleich der Flächenproduktivität: Für die durchschnittliche Jahresfahrleistung von 12.000 km mit Elektroantrieb reicht rechnerisch eine Fotovoltaikanlage mit 20 Quadratmeter Fläche. Für die gleiche Fahrleistung mit einem Verbrennungsmotor müssen zum Beispiel 5000 Quadratmeter mit Raps angebaut werden.
Aus heutiger Sicht gibt es aber absehbar keine Möglichkeit, z.B. die Schifffahrt und den Luftverkehr zu elektrifizieren. Auch der Lkw-Verkehr auf der Langstrecke ist aus heutiger Sicht technisch vom Verbrennungsmotor abhängig. Zwar wird ein Teil des Straßengüterverkehrs auf die Schiene verlegbar sein, ein Großteil der Transportwege wird aber selbst bei einer ambitionierten Verlagerungspolitik immer noch auf der Straße verbleiben. Auch bei den biogenen Kraftstoffen muss selbstverständlich sichergestellt werden, dass Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Es sind insbesondere die Kraftstoffe – auch steuerlich – zu bevorzugen, die im gesamten Lebenszyklus die geringsten Treibhausgase verursachen.
In Ihrem Brief sprechen Sie außerdem Windgas an, das zum Beispiel Greenpeace Energy seinen Kunden seit Oktober 2011 unter dem Namen „proWindgas“ anbietet. Das Verfahren zur Erzeugung von Windstrom und sein Einsatz als Kraftstoff ist leider mit hohen Wirkungsgradverlusten verbunden, bietet aber energie- und klimapolitisch viele Vorteile. So können Biomethan und Windgas in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden, das auch als langfristiger Energiespeicher für den unstetig erzeugten Wind- und Sonnenstrom dienen kann und damit die Speicherproblematik entlastet. Wird zudem, wie im Falle der Pilotanlage im Emsland, abgeschiedenes CO2 aus einer Biogasanlage verwendet, ergibt sich für das in den Pflanzen gebundene Treibhausgas sogar eine doppelte Nutzung, bevor es wieder in die Atmosphäre entweicht. Wenn diese Technik funktioniert, muss sich zeigen, ob sich dies auch unter Energieeffizienz- sowie Kostengesichtspunkten in größerem Umfang als sinnvoll erweist. Wir Grüne haben jedenfalls in unserem Fraktionsbeschluss vom September 2011 eine Forschungsförderung für die Herstellung von Windgas gefordert. Diesen Beschluss, der sich vollumfänglich mit der stofflichen und energetischen Nutzung von Biomasse befasst finden Sie hier: http://www.gruene-bundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse@de.pdf

Herzliche Grüße,
Sven-Christian Kindler

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