Frage an Sven Giegold bezüglich Europapolitik und Europäische Union

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Sven Giegold
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Frage an Sven Giegold von Florian B. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrter Herr Giegold,

das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV ist als primärrechtlich vorgeschriebener Regelfall in der Praxis, aufgrund der oftmals langen Dauer von der Einbringung bis zur Verabschiedung einer Rechtsvorschrift, nur schwer anwendbar.

Die abgekürzte Gesetzgebung in Form des informellen Trilogverfahrens gewinnt daher innerhalb der EU immer mehr an Bedeutung. Da die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, entsteht hierbei jedoch ein Zielkonflikt zwischen einer schnellen und effektiven Gesetzgebung einerseits und einem transparenten Gesetzgebungsverfahren andererseits.

1. Wäre es überhaupt möglich und realistisch alle Vorschriften exakt nach den in der AEUV genannten Gesetzgebungsverfahren zu verabschieden?

2. Sind die Abgeordneten des Parlaments, welche an den Ausschüssen, die die Trilogverhandlungen führen, teilnehmen, gerecht – also nach Partei/Fraktion – verteilt?

3. Ändern diese Triloge etwas an den Machtverhältnissen?

4. Halten Sie dieses Verfahren mit dem primären Gemeinschaftsrecht und den demokratischen Grundsätzen für vereinbar?

5. Könnte in Zukunft solchen Verfahren auch in den einzelnen Mitgliedstaaten
größere Rollen zukommen?

6. Was könnte Ihrer Ansicht nach für mehr Transparenz in einer dennoch
effektiven Gesetzgebung getan werden?

7. 2012 kam es aufgrund von Kritik am Verfahren zu Korrekturen in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Hat sich dies Ihrer Meinung nach positiv ausgewirkt?

8. Sind Sie der Meinung, dass dem Lobbyismus durch derartige Verfahren - da auf weniger Personen Einfluss genommen werden muss - eine bedeutendere Stellung in der Gesetzgebung zukommt?

Vielen Dank für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

F. B.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr B.,

danke für Ihr Interesse an Trilogen, Machtverhältnissen und Lobbytransparenz bei der EU-Gesetzgebung. Meine Antworten finden Sie jeweils unter Ihrer Frage:

1. Wäre es überhaupt möglich und realistisch alle Vorschriften exakt nach den in der AEUV genannten Gesetzgebungsverfahren zu verabschieden?

ad 1.) Mutmaßlich ja, die Ergebnisse wären aber anders, vermutlich schlechter z.B. für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

2. Sind die Abgeordneten des Parlaments, welche an den Ausschüssen, die die Trilogverhandlungen führen, teilnehmen, gerecht – also nach Partei/Fraktion – verteilt?

ad 2.) Ja, in den Trilogverhandlungen sitzen Vertreter der Kommission, die rotierende Präsidentschaft im Rat der Mitgliedstaaten und ein Team von Abgeordneten aus dem Europaparlament zusammen. Zusätzlich zum Berichterstatter gehören dem Team Schattenberichterstatter für alle anderen Fraktionen an. Sie schauen dem Berichterstatter auf die Finger, damit er sich genau an das vom zuständigen Ausschuss des Europaparlaments mit Mehrheit verabschiedete Verhandlungsmandat hält. Trilogverhandlungen haben gegenüber noch kleineren informellen Verhandlungsrunden also den Vorteil, dass die Fraktionen des Europaparlaments alle ordentlich beteiligt sind. Die Mehrheitsverhältnisse werden dabei jeweils respektiert.

3. Ändern diese Triloge etwas an den Machtverhältnissen?

ad 3.) Ja, Triloge haben einen wichtigen Vorteil gegenüber dem üblichen Verfahren. Die Verträge sehen vor, dass das Parlament, wenn es dem Rat der Mitgliedstaaten widersprechen will, dafür eine absolute Mehrheit seiner Mitglieder braucht. Dies ist eine gezielte Schwächung des Parlaments. Gegenüber der für das Trilog-Verhandlungsmandat nötigen relativen Mehrheit der Abstimmenden stärkt so jeder z.B. durch Krankheit fehlende Abgeordnete die Notwendigkeit einer ganz großen Koalition im Parlament. Knappe Mehrheiten und kleine Fraktionen haben so weniger Chancen. Triloge machen die politischen Mehrheiten also beweglicher. Viele Fortschritte für europäische Verbraucherinnen und Verbraucher konnten wir in Trilogen erreichen. Ohne Triloge würden die größten Fraktionen viele Fragen wohl alleine entscheiden, wahrscheinlich mit schlechteren Ergebnissen.

4. Halten Sie dieses Verfahren mit dem primären Gemeinschaftsrecht und den demokratischen Grundsätzen für vereinbar?

ad 4.) Triloge selbst widersprechen den Verträgen nicht, aber sie müssen transparenter werden. Aktuell haben finanzstarke und gut vernetzte Lobbyisten entscheidende Verhandlungspapiere schneller und besser verfügbar als Vertreter gesamtgesellschaftlicher Interessen und sogar als mancher Schattenberichterstatter. Das verletzt den Vertragsgrundsatz, dass alle Bürger gleiche Aufmerksamkeit durch die EU-Institutionen bekommen sollen (Artikel 9 EU-Vertrag). Deshalb fordern wir, dass Protokolle und Papiere aus Trilogen genau so öffentlich sein sollen wie andere Papiere in der EU-Gesetzgebung. Zu einem Antrag von uns für die Transparenz der Trilog-Dokumente müssen alle Europaabgeordneten persönlich Farbe bekennen, wahrscheinlich in der Woche 12.-15. Dezember.

5. Könnte in Zukunft solchen Verfahren auch in den einzelnen Mitgliedstaaten größere Rollen zukommen?

In den meisten Mitgliedstaaten steht für die ganze Legislaturperiode klarer fest, wer Regierungsmehrheit und wer Opposition ist. Verhandlungen mit so vergleichbar offenem Ausgang gibt es deshalb weniger. Im Vergleich zwischen EU und Mitgliedstaaten ist die EU meist Gewinner in Sachen Transparenz und Zugang zu Dokumenten. Fast alle Ausschusssitzungen im Europaparlament werden beispielsweise live im Internet gezeigt während sie im Bundestag oft noch hinter verschlossenen Türen ablaufen. Wir fordern eine Allianz der Parlamente von Europaparlament und nationalen Parlamenten, damit wir überall für Volksvertreter und Öffentlichkeit den jeweils höchsten Standard an Transparenz und Rechenschaftspflicht erreichen.

6. Was könnte Ihrer Ansicht nach für mehr Transparenz in einer dennoch effektiven Gesetzgebung getan werden?

ad 6.) Siehe Fragen 4 und 5. Unsere Vorschläge haben wir im Bericht für “Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen”
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-567.666+01+DOC+WORD+V0//DE&language=DEsowie
im “Grünen Plan für Transparenz und Integrität im Europaparlament”
http://www.sven-giegold.de/2016/gruener-plan-fuer-transparenz-und-integritaet-im-europaparlament/ zusammengefasst.

7. 2012 kam es aufgrund von Kritik am Verfahren zu Korrekturen in
der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Hat sich dies Ihrer
Meinung nach positiv ausgewirkt?

ad 7.) Die vielleicht wichtigste Änderung dieser Reform war die Einführung mündlicher Berichte aus den jeweils letzten Trilog-Verhandlungstreffen durch den Berichterstatter an den federführenden Ausschuss. Diese Berichte finden in öffentlicher Ausschusssitzung statt und sind insofern ein Transparenzfortschritt. Ohne unterstützende Dokumente bleiben diese Informationen aber meist unvollständig und sind keine Gewähr für gleichberechtigten Informationszugang. Daher waren die mit dieser Reform erreichten Fortschritte relevant, aber nicht ausreichend.

8. Sind Sie der Meinung, dass dem Lobbyismus durch derartige Verfahren - da auf weniger Personen Einfluss genommen werden muss - eine bedeutendere Stellung in der Gesetzgebung zukommt? ad 8.) Im üblichen Verfahren würden die größten Fraktionen zu Türstehern für fast alle Entscheidungen. Vermutlich würden ohne Triloge noch weniger Menschen europäische Gesetze wirklich entscheiden. Lobbyisten sind deshalb so einflussreich, weil unsere Gesellschaft, unsere Produktion und unsere Finanzmärkte sehr komplex sind. Daher ist Politik auf Fachwissen - u.a. auch der Lobbyisten - angewiesen.

Zwar ist der Austausch von Politik und Interessenvertreter nötig und legitim, aber er muss so transparent und nachvollziehbar wie möglich sein. Dafür fordern wir einen “Legislativen Fußabdruck” der z.B. in Form einer Liste veröffentlicht, welche Lobbyisten jeweils Einfluss genommen haben und dies für jedes EU-Gesetz. Im übrigen fördert das Europaparlament bereits Lobbyisten für Allgemeininteressen wie z.B. FinanceWatch, um ein Gegengewicht zur Übermacht von finanzstarken Lobbyisten zu schaffen.

Mit freundlichem Gruß

Sven Giegold