Frage an Ulla Jelpke bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Ulla Jelpke
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Frage von Frank L. •

Frage an Ulla Jelpke von Frank L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Jelpke,

ihrer Homepage entnehme ich eine Pressemitteilung, welche im Hinblick auf den "Zwischenbericht Nr.1 Gewalt gegen Polizeibeamte" folgende Meinungsäußerung enthält:

Zitat:
Vollkommen unsachlich ist zudem Schünemanns Verweis auf den sogenannten Linksextremismus. Offenbar versucht er, nebenbei sein politisches Süppchen zu kochen und die Gefahr durch Neonazis zu relativieren.
Zitatende

Dies bezieht sich wohl auf folgende Aussage von Herrn Schünemann (siehe Homepage Innenministerium Niedersachsen)

Zitat
"Gerade der Gewalt aus dem linksextremen Lager, bei der wir zurzeit einen deutlichen Anstieg verzeichnen, muss klar entgegengetreten und bekämpft werden. Brandsätze oder Steine auf Polizisten zu werfen ist die bewusste Inkaufnahme von Todesopfern unter den Beamten und muss auch so bestraft werden"
Zitatende

Wörtlich ist auf Seite 19 in o.g. Bericht festgestellt:

Zitat
Im Hinblick auf Demonstrationen verdient Beachtung, dass fast drei Viertel der schweren Verletzungen (sieben Tage und mehr Dienstunfähigkeit) durch Gewalttaten linker Demonstranten entstanden sind (73,3 %).
Zitatende

Auf Seite 29 und 30 wird die Anzahl der schweren Körperverletzungen mit 65 bei linken Demonstrationen festgestellt. Und dies sind nur die Zahlen von rund 25% der betroffenen Beamten bei 10 Bundesländern.

Wie kommen Sie nun angesichts der o.g. Fakten zu der Bewertung, dass die Aussage von Herrn Schönemann rechte Gewalttaten relativieren würden?

Ergänzend bitte ich Sie um eine eindeutige Darstellung ihrer politischen Position zu der Frage, ob Sie Straftaten gegen Staatsdiener für ein legitimes Mittel einer systemüberwindenden Opposition halten.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Leiprecht,

mit geht es nicht darum, Angriffe auf Polizeibeamte oder andere Staatsdiener zu propagieren oder zu rechtfertigen. Ich frage allerdings, in welchem Zusammenhang es zu solchen Angriffen kam und wieweit die Polizei selber - etwa durch ihr Vorgehen gegen friedliche Demonstrationen - erst zu einer Eskalation beigetragen hat.

Ebenso hinterfrage ich, ob es sich bei den von der Pfeiffer-Studie als links bezeichneten Demonstranten tatsächlich immer um solche handelt. Einer Studie des Kriminologischen Instituts der Freien Universität Berlin zu den Auseinandersetzungen am 1.Mai 2009 in Berlin-Kreuzberg können Sie entnehmen, dass ein Großteil der an den Randalen beteiligten Personen unpolitisch und betrunken war. Zwei Berliner Schüler, die als angebliche Werfer von Brandsätzen lange in Untersuchungshaft waren, sind vom Gericht freigesprochen worden. Es fehlen hier also noch die Täter und damit verbietet sich auch eine vorauseilende Zuordnung zum „linken Lager“. Ich erinnere daran, dass am 1.Mai 2009 auch ein Polizist festgenommen wurde, der Steine auf seine Kollegen war.
Viele Teilnehmer der Kreuzberger Auseinandersetzungen gaben gegenüber der FU-Studie an, erst durch das brutale Vorgehen der Polizei zu Gegenreaktionen provoziert worden zu sein. Doch in die Statistiken fließen solche Auseinandersetzungen als „linke Gewalt“ ein.
Als Angriffe auf die Polizei gelten auch sogenannte Widerstandshandlungen, wenn auf Demonstrationen oder friedlichen Anti-Nazi-Blockaden willkürlich Festgenommene nicht völlig freiwillig der Polizei folgen, sondern sich beispielsweise schleifen lassen. Verletzt wird dabei niemand – außer oft dem Demonstranten. Doch in der Statistik taucht so etwas als Gewalttat gegen die Polizei auf.

Dies alles gilt es kritisch zu hinterfragen, anstatt mit ideologischen Scheuklappen zu agieren.

Und ich bleibe dabei: wer hier das Schreckgespenst der linken Gewalt aufbauscht, verharmlost gleichzeitig die tatsächlich täglich von Faschisten begangenen Gewalttaten. Nur, dass sich diese rechten Gewalttaten eben seltener gegen Staatsdiener richten, sondern vor allem gegen Migranten, Obdachlose oder linke Antifaschisten richten.

mit freundlichen Grüßen,

Ulla Jelpke