Frage an Volker Wissing von Andreas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Volker Wissing,
bitte gestatten Sie mir eine Nachfrage:
Sie schreiben, unsere Gesellschaft sei nach wie vor christlich geprägt. Das ist für bestimmte Teile der Gesellschaft sicher zutreffend; so pauschal ist diese Aussage jedoch stark vereinfachend.
Ist sie nicht sicher viel stärker von den Werten und Idealen der Aufklärung, von der französischen Revolution, vom römischen Recht, von der Philosophie der letzten drei Jahrhunderte, von den Errungenschaften der Naturwissenschaften (man denke an Darwin und Einstein), von den Grausamen Kriegserlebnissen, die nun wirklich alles andere als kirchenfreundliche 68er-Bewegung sowie durch die "Politische Korrektheit als Ersatz für den Richter im Himmel" geprägt als nun ausgerechnet von den Werten des Christentums, das in seiner Reinform viele Errungenschaften unserer heutigen Gesellschaft ablehnt, etwa die freie Entfaltung der Sexualität und des Denkens ohne Furcht vor Sünde und ewige Hölle?
Wenn also das Christentum ein anerkannter, aber eben nur ein Baustein ist, wieso erhält er gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung die Sonderrolle als "rechtliche Metainstanz" im Grundgesetz?
Mit besten Grüßen
Andreas Reichhardt
Sehr geehrter Herr Reichhardt,
vielen Dank für Ihre Frage vom 12. Januar 2010.
Sie haben sicher recht, dass die Gesellschaft von vielen Einflüssen geprägt wird. Der Gottesbezug in der Verfassung muss im historischen Kontext betrachtet werden. Die Verfassungsväter haben damit zum Ausdruck gebracht, auf welchem Menschenbild und welchen Werten ihre Überlegungen und die geschaffenen Normen basieren. Auf Grundlage ihres Werteverständnisses haben sie unserem Land eine freiheitliche Verfassung gegeben, die einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass Deutschland heute in Frieden, Freiheit und Wohlstand seinen Platz unter den Völkern Europas einnehmen kann.
Die Beibehaltung des Gottesbezugs ist für mich Ausdruck des Respekts vor unserer Verfassung, ihren Urhebern, deren Werten und Menschenbild. Er begründet keine Sonderrolle des Christentums als "rechtliche Metainstanz" und ist auch keine Statusbeschreibung des religiösen Empfindens in unserer Gesellschaft. Der Gottesbezug diskriminiert niemanden, er besagt nichts anderes, als dass sich das deutsche Volk damals im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt sein Grundgesetz gegeben hat.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Wissing, MdB