Frage an Volker Wissing von Ursula K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Wissing,
ich habe soeben den Vertrag zum neuen Rettungsschirm gelesen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, bedeutet er, dass, sobald dieser Vertrag ratifiziert ist, sich die ESM-Mitglieder bedingungslos und unwiderruflich dazu verpflichtet haben, zu zahlen, was auch immer der Gouverneursrat beschließt. Der ESM, sein Eigentum, seine Finanzmittel und Vermögenswerte genießen umfassende gerichtliche Immunität und sind von Zugriff durch Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jede andere Form der Inbesitznahme, Wegnahme oder Zwangsvollstreckung durch Regierungshandeln oder auf dem Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzesweg befreit. Die Archive des ESM und alle ihm gehörenden oder in seinem Besitz befindlichen Dokumente im Allgemeinen sind unverletzlich. Und die beteiligten Personen genießen Immunität.
Der Vertrag gestattet dem ESM somit, jederzeit unbeschränkten Zugriff auf die Haushalte der ESM-Mitglieder, ohne dass in irgendeiner Form eine parlamentarische Kontrolle gegeben ist. Transparenz ist keine gegeben. Niemand kann bei Missbrauch in irgendeiner Form zur Rechenschaft gezogen werden. Dieser Vertrag untergräbt das Haushaltsrecht der Parlamente und somit die Souveränität der beteiligten Staaten. Dadurch ist er in meinen Augen eindeutig verfassungswidrig.
Sie werden im Herbst über diesen Vertrag abstimmen. Wie stehen Sie dazu?
Mit freundlichem Gruß
Ursula Kornelius
Sehr geehrte Frau Kornelius,
vielen Dank für Ihre Frage vom 23. Juli 2011.
Bei dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus handelt es sich um einen multilateralen Vertrag, der auf völkerrechtlichen Vereinbarungen beruht. Um die Arbeitsfähigkeit multinationaler Institutionen nicht zu gefährden, sind diese auf einen gewissen Schutz angewiesen. Damit der ESM tatsächlich einen aktiven Beitrag zur Lösung der Schuldenprobleme eines Landes leisten kann, muss er in die Lage versetzt werden tief, in dessen Souveränität einzugreifen. Dies gilt natürlich vor allem für Schuldnerländer. Die haushaltspolitische Souveränität der Länder wird weniger durch die Arbeit des ESM, als vielmehr durch die Schuldenprobleme eingeschränkt.
Der ESM ist nicht als Standardinstrument der Haushaltspolitik gedacht, sondern für Extremsituationen, um für diese auch wirklich einsatzfähig zu sein, ist es wichtig, dass er mit den notwendigen rechtlichen Möglichkeiten ausgestattet wird und dass die Institutionen sowie ihre Mitarbeiter vor Repressalien geschützt werden. Im diplomatischen Bereich ist die Immunität üblich und auch wenn es immer wieder zu Problemen kommt, so stellt diese doch keinen Freibrief für Rechtsbrüche dar.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Wissing, MdB