Frage an Volker Wissing von Horst D. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Wissing,
in Ihrer Antwort vom 15.06.2012 an Frau Wikzek führen Sie - nur auszugsweise - u.a. Folgendes aus:
1) die BRD hat aktuell ca. 2 Billionen Euro Schulden.
2) lt. Berechnungen der Commerzbank zufolge hat die letzte Finanzkrise infolge der Pleite der US-Bank Lehman Brothers Deutschland rund 237 Mrd. Euro gekostet.
(auf die Zinsen zu Lasten des Volkes - als Steuern - und zu Gunsten der "Bankeigentümer" will ich hier garnicht weiter eingehen, siehe Bundeshaushalt!!! Unverantwortlich, oder ? ... und wer profitiert?)
Meine Fragen/Bitten an Sie:
1) Bitte erklären Sie uns , den einfachen Bürgern der BRD - wo die 2 Billionen Euro geblieben sind? Das Geld ist ja nicht verloren, sondern nur umgeschichtet, oder ...? Umgeschichtet zu Gunsten von .... ??
2) Wie von Ihnen angeführt, ergeben sich nur aus den Aktivitäten der ausländischen Bank Lehmann Brothers Verluste zu Lasten der BRD in Höhe von 237 Mrd Euro. Wieso müssen/sollen wir - die Normalbürger - deratige Verluste zu Gunsten internationaler Banken übernehmen? Wo ist der Fehler im System? Wer profitiert... , und wer unterstütz diese Profiteure?
3) Warum sollen die Bürger unseres Landes mit ihrem Ersparten ( z.B. durch eine zukünftige Inflation oder Währungsreform) die Spekulationsgewinne internationalen Großbanken sicherstellen? Wer sind letztendlich die Eigentümer dieser Banken? Sicherlich nicht die Kleinaktionäre, oder ...?
5) Können Sie den ESM-Vertrag - trotz der verfassungsrechtlichen Bedenken ( siehe Rede des Abgeordneten Herrn Dr. Gysi vor dem Deutschen Bundestag) - auch Ihrem eigenen Gewissen gegenüber - unseren Bürgern und den nachfolgenden Generationen ernsthaft als Lösung anbieten? Wer will dies verantworten?
6) Fänden Sie es nicht ehrlicher, wenn Sie diese Entscheidung den Bürgern - in Form einer Volksabstimmung - überlassen würden? Vielleicht wollen wir ja weder dieses internationalle Finanzsystem noch die angedachte "EU-Demokratie"?
Vielen Dank für Ihre Antworten..
Sehr geehrter Herr Dormann,
vielen Dank für Ihre Frage vom 16. Juni 2012.
1.) Ein Blick auf den Bundeshaushalt zeigt Ihnen sehr schnell, woher ein Großteil der Schulden stammen ( http://bund.offenerhaushalt.de/ ). Der größte Ausgabenposten ist mit 140 Mrd. Euro der für Arbeit und Soziales. Da die Schulden zur Deckung staatlicher Aufgaben aufgenommen werden, können Sie diese anteilmäßig auf die verschiedenen Etatposten verteilen. Das Gros der Staatsschuld dürfte also für die Sozialpolitik ausgegeben worden sein. Wenn Sie diese Ausgaben kritisieren, dann müssen Sie auch sagen, wem Sie etwas wegnehmen wollen. Rund 80 Mrd. Euro entfallen auf die Sozialversicherungen, drastische Einsparungen gerade in diesem Bereich treffen die Betroffenen sehr empfindlich und direkt.
2.) Die Berechnungen der Commerzbank beziehen sich nicht auf die direkten Kosten der Pleite der US-Bank Lehman Brothers, sondern beziehen die ökonomischen Begleiteffekte, wie zum Beispiel die negativen Auswirkungen auf das Weltwirtschaftswachstum mit ein ( http://is.gd/wei3Dm ). Wenn Sie den Beitrag lesen, geht es hier auch um Einkommensverluste von Beschäftigten aufgrund der verschlechterten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies alles sind indirekte Ansteckungseffekte und es dürfte Ihnen enorm schwerfallen, in einem Schadenersatzprozess die direkte Verantwortung von Lehman Brothers nachzuweisen. Sie können sich diesen Kosten auch nicht entziehen, weil Sie bereits entstanden sind, durch Arbeitsplatzverluste, durch ein geringeres Wirtschaftswachstum, etc..
3.) Entgegen gängiger Vorurteile ist ein saubere Trennung zwischen gutem Kleinsparer und bösem Spekulant nicht möglich. Wenn Ihre seriös arbeitende Versicherungsgesellschaft aus Sorge um die von Ihnen eingezahlten Gelder europäische Staatsanleihen veräußert, dann führt das unter Umständen zu einer Verschärfung der Eurokrise, aber würden Sie ihr daraus einen Vorwurf machen? Wenn Sie Banken stabilisieren, dann tun sie das nicht, um die Gewinne von Aktionären abzusichern. Die Kurse nahezu sämtlicher Finanzwerte sind drastisch eingebrochen, so dass gerade auch die Anteilseigner der Banken sehr viel Geld verloren haben. Egal wie Sie zu Banken stehen, trotzdem übernehmen diese wichtige Aufgaben in unserem Wirtschaftssystem. Wenn eine Bank strauchelt, dann kann sie kaum noch Kredite vergeben, darunter leidet die Wirtschaft. Das Problem der Finanzkrise war und ist, das nicht einzelne Banken gefährdet waren, sondern die gesamte Branche. Eine einzelne Bank kann und muss Pleite gehen können, wenn es aber zu einer Massenpleite kommt, ist das eine Katastrophe, da davon auch die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger direkt betroffen wären.
5.) Der ESM-Vertrag ist kein politisches Wunschprojekt, sondern der Eurokrise geschuldet. Man muss daher die Maßnahmen im Kontext der derzeitigen Krise sehen. Ohne Not käme niemand in Europa auf die Idee, irgendwelche Rettungsschirme anzulegen. Wenn wir das tun, dann nur, weil wir befürchten, dass eine sich unkontrolliert ausbreitende Krise, dem Land weit schweren Schaden zufügt, als uns unser Beitrag zum ESM kostet. Wenn wir auf den ESM verzichten und die deutsche Wirtschaft zusammenbrechen sollte, es zu einer Massenarbeitslosigkeit und der Zunahme von Armut käme, könnten Sie das gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern verantworten?
6.) Ich stehe Volksabstimmungen sehr positiv gegenüber. Gerade im Bereich der Europapolitik hat sich die Politik oftmals sehr weit von den Erwartungen und Wünschen der Bürgerinnen und Bürger entfernt. Gerade im Hinblick auf eine weitergehende Integration Europas halte ich eine Volksbefragung für ein sehr wichtiges Instrument. Europa lässt sich nur mit, aber nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger gewinnen. Die Wahl in Griechenland hat gezeigt, dass die Menschen auch bereit sind einer Politik zuzustimmen, die ihnen Opfer abverlangt. Eine Volksbefragung könnte daher der Eurostabilisierung zu zusätzlicher Legitimation verhelfen. Auch die FDP hat einen Mitgliederentscheid zur Eurorettung durchgeführt und auch dort hat sich die Mehrheit für die Politik der Bundesregierung ausgesprochen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Wissing, MdB