Frage an Agnieszka Brugger bezüglich Soziale Sicherung

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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Wolfgang R. •

Frage an Agnieszka Brugger von Wolfgang R. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Brugger!

In der Sendung von Report München (12.10.16), wurde wieder einmal dokumentiert, wie verheerend unsere finanziellen Bedingungen zur Pflege sind. Warum ist das so? Über die gesetzliche Krankenversicherung werden alle notwendigen Behandlungen übernommen. Warum ist das bei den Pflegefällen so katastrophal anders? Geht es nur um den finanziellen Schutz der Industrie? Da die Pflegefälle rapide ansteigen, sollte sich die Politik doch für eine vollständige Pflegesicherung einsetzen. Wie stehen Sie dazu?
Da auch die Altersarmut ansteigt, wir der Staat zu steigenden Kosten kommen. Sehen Sie das anders? Wenn Sie der Meinung sind, dass die Versicherungsleistungen nicht an die entstehenden Kosten angeglichen werden sollten, dann sollte doch wenigstens eine Pflegezusatzversicherung steuerlich vollständig absetzbar sein. Bei den aktuellen Bedingungen können nur 1900 € für die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Zusatzversicherung abgesetzt werden. Dabei sind die Kosten der gesetzlichen Versicherungen meistens schon höher als 1900 €, auch bei mir als Rentner. Ich wollte eigentlich die erste vernünftige Rentenerhöhung für eine Zusatzversicherung nutzen, aber der Staat kassier erst einmal davon. Es wird doch in allen Parteien darüber diskutiert, Steuererleichterungen einzuführen. Warum nicht für einen Schutz der zunehmend älter werdenden Gesellschaft? Das führt zu mehr Zusatzversicherungen was dem Staat Kosten erspart. Wie stehen Sie zu einer vollständig absetzbaren Pflegezusatzversicherung?
In der Sendung wurde auch von einer kommentarlosen Ablehnung einer Klage des Bundesverfassungsgerichts berichtet. Meine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wurde genauso abgelehnt. Die Verfassungsrichter interessieren sich überhaupt nicht für die kleinen Bürger. Das ist frustrierend in einem Rechtsstaat! Kann die Politik etwas dagegen unternehmen?

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Richter

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Richter,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Bitte haben Sie Verständnis für die längere Bearbeitungszeit meiner Antwort. Da ich den Anspruch habe, an mich gerichtete Briefe selbst zu beantworten, kann dies aufgrund der hohen Zahl an Zuschriften zu einiger Verzögerung führen.

Die Pflegepolitik steht angesichts des demografischen Wandels unserer Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Wir Grüne möchten die Pflege umfassend reformieren, das beinhaltet die Ausbildung der Pflegekräfte genauso wie den Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Finanzierung über die Pflegeversicherung.

Die Herausforderungen in der Pflege sind lange bekannt und kamen auch nicht plötzlich über Nacht. Daher ist es umso unverständlicher, dass die große Koalition wie auch ihre schwarz-gelbe Vorgängerregierung hier nicht rechtzeitig die notwendigen Reformprozesse angestoßen haben, damit Menschen in Würde altern können und die Lasten bei der Finanzierung fair verteilt werden. Aufgrund der Aufteilung zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung können sich die wohlhabendsten und leistungsstärksten Bürger*innen der Solidarität entziehen. An dieser ungerechten Trennung hält die Bundesregierung auch mit den aktuellen Pflegestärkungsgesetzen fest.

Wir Grüne möchten diese Ungerechtigkeit mit der Einführung einer solidarischen Pflege-Bürgerversicherung beenden und damit die von Ihnen geschilderten Aspekte grundsätzlich angehen. Unser Konzept der Bürgerversicherung im Pflegebereich sieht vor, alle Bürger*innen – also Angestellte genauso wie Beamt*innen, Selbständige und Abgeordnete – aber auch alle Einkommensarten, d.h. auch Vermögenseinkommen, Gewinne und Mieteinkünfte – einzubeziehen. Dieses Modell ist nicht nur gerechter und entspricht den Einkommensverhältnissen der Bürger*innen, so wird auch der Anstieg der Pflegeversicherungsbeiträge im Rahmen der demografischen Entwicklung gedämpft. Diese Bürgerversicherung soll aber keine Einheitsversicherung sein. Auch weiterhin könnten die Versicherten ihre Versicherung frei wählen und freiwillige Zusatzversicherungen abschließen. Wenn Sie noch mehr Details über die grüne Pflege-Bürgerversicherung erfahren möchten, möchte ich Ihnen unseren Fraktionsbeschluss empfehlen: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/pflegebuergerversicherung.pdf

Dort können Sie auch mehr über die längst überfällige Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nachlesen. Denn nicht nur die Finanzierung der Pflege muss neu geregelt werden, sondern es ist uns wichtig, gute Leistungen für alle Pflegebedürftigen zu ermöglichen. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff in unserem Konzept beinhaltet deshalb die vollständige Erfassung des Pflegebedarfs, der Teilhabebedürfnisse, den Grad der Selbstständigkeit und Potenziale zur Prävention und Rehabilitation. Eine private Pflegezusatzversicherung, deren Abschluss Sie gerade erwägen, würde mit diesem modifizierten Pflegebegriff immer seltener notwendig. Die vollständige steuerliche Absetzbarkeit einer solchen Zusatzversicherung würde allerdings nur diejenigen begünstigen, die in ihrem monatlichen Budget überhaupt den finanziellen Spielraum für so eine zusätzliche Leistung haben, was heute leider auf viele Menschen nicht zutrifft. Den vordringlichen Handlungsbedarf sehen wir in den anderen großen Herausforderungen und größeren Reformen, die wir anstreben.

Die Pflegeberufe stehen ebenso vor einer neuen Herausforderung, da wir für eine gute Versorgung kranker und pflegebedürftiger Menschen in Zukunft mehr und sehr gut qualifizierte Pflegekräfte brauchen. Zu diesem Thema haben wir gerade zu Beginn des Jahres einen Antrag gestellt, den Sie hier nachlesen können: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/078/1807880.pdf .

In der von Ihnen angesprochenen Sendung Report München wird die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Pflege angesprochen. Auch auf diesem Feld muss die Pflegepolitik der derzeitigen Bundesregierung deutlich nachlegen, da dieser Punkt nach wie vor für viele Betroffene eine nur schwer zu meisternde Herausforderung darstellt. Zwar hat die Bundesregierung mit dem 2015 in Kraft getretenen Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf einen ersten Grundstein für pflegende Angehörige gelegt, doch in der Realität bringt dieses Gesetz nur in wenigen Fällen Erleichterung. Die in diesem Gesetz festgelegten Regelungen eines Rechtsanspruchs auf Familienpflegezeit, das statt einer Gehaltsfortzahlung ein zinsloses Darlehen vorsieht, wird von vielen Angehörigen nicht in Anspruch genommen, da die Pflegezeiten zum Teil nicht bekannt sind oder die Angehörigen vor dem finanziellen beziehungsweise dem organisatorischen Nachteil zurückschrecken. Außerdem werden Millionen Menschen ausgeschlossen, weil dieser Rechtsanspruch nur in Betrieben mit über 25 Mitarbeiter*innen gilt. Auch hier bleiben wir dran und setzen uns mit Nachdruck ein, wie Sie zum Beispiel einer kleinen Anfrage entnehmen können: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/091/1809111.pdf .

Falls Sie darüber hinaus noch weitere Fragen haben, empfehle ich Ihnen auch die Website unserer grünen Kollegin Elisabeth Scharfenberg, die Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik ist. http://www.elisabeth-scharfenberg.de/

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

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