Warum sollen sich junge, gesunde Menschen ohne Vorerkrankungen mit den vorhandenen Corona-Impfstoffen gefährden?

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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Marcel B. •

Warum sollen sich junge, gesunde Menschen ohne Vorerkrankungen mit den vorhandenen Corona-Impfstoffen gefährden?

Frau Hagedorn,
98,5% der an oder mit Corona Verstorbenen sind älter als 50 Jahre.
85% der Intensivpatienten sind älter als 50.
80% der Intensivpatienten haben eine Vorerkrankung.
75% der gemeldeten Fälle einer Herzmuskelentzündung nach einer mRNA Impfung treten bei Menschen JÜNGER als 50 Jahren auf.
70% der an oder mit Corona Verstorbenen unter 20 Jahren hatten lt. RKI eine Vorerkrankung.

Wie können Sie bei dieser Faktenlage für eine allgemeine Impfpflicht sein? Warum müssen sich junge, gesunde Menschen ohne Vorerkrankung den Gefahren einer Impfung aussetzen?

Gruß, Marcel B.

Quellen für die o.g. Fakten:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-12-09.pdf?__blob=publicationFile
https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/arzneimittelsicherheit.html
https://www.cdc.gov/

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr B.,

auf Ihre Anfrage vom 14. Dezember zur allgemeinen Impfpflicht, mit der Sie unterstellen, dass ich angeblich uneingeschränkt dafür sei – und zwar auch bezogen auf die Impfpflicht von Kindern und Jugendlichen – möchte ich Ihnen antworten, dass Ihre Unterstellung falsch ist. Mit den von Ihnen in der Anfrage genannten angeblichen „Prozentzahlen“ kann ich auch nichts anfangen, da Sie keine Quelle dafür angeben und diese Zahlen definitiv nicht auf den Seiten des RKI so stehen. Fakt ist außerdem, dass in Deutschland ein Impfstoff NUR dann zugelassen wird, wenn er alle drei Phasen des klinischen Studienprogramms erfolgreich bestanden hat und nationale und internationale Qualitätsstandards voll erfüllt. Die Ständige Impfkommission überwacht diese Qualitätsstandards und wertet alle Studien zu Auswirkungen wissenschaftlich aus, um auf dieser Grundlage ihre möglichen Empfehlungen auch für bestimmte Zielgruppen – wie z.B. Kinder und Jugendliche - abzugeben.

Insofern ist Ihre Frage, „warum sich junge, gesunde Menschen ohne Vorerkrankung den Gefahren einer Impfung aussetzen müssen“, ebenso falsch wie Ihre erste Unterstellung mir gegenüber. Fakt ist lediglich, dass die Bundesregierung in der öffentlichen Debatte zur Einführung einer Allgemeinen Impfpflicht klar gestellt hat, dass ein solcher Gesetzesvorschlag NICHT vom Kabinett vorgeschlagen werden wird, sondern aus der Mitte des Parlamentes auf Initiative von verschiedenen Fachpolitikern aller fünf demokratischen Fraktionen, über die – wie bei allen Gewissensentscheidungen traditionell üblich – frei diskutiert und frei abgestimmt wird. Diese Festlegung wurde am 2. Dezember NUR in  einem Beschluss von Bund und Ländern begrüßt und erwartet, dass der Deutsche Bundestag "zeitnah über eine allgemeine Impfpflicht entscheiden“ werde. Bis heute liegt allerdings kein einziger Gruppen-Antrag für oder gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht schriftlich vor, so dass angesichts der bevorstehenden Festtage auf keinen Fall vor Mitte Januar 2022 die Diskussion im Bundestag darüber beginnen kann.

Fakt ist, dass die Ampelfraktionen sich einig sind, das Thema „Impfpflicht“ nach dem bekannten Muster von Bundestagsentscheidungen, die als Gewissensentscheidungen eingestuft sind, mit über alle Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam erarbeiteten (!), unterschiedlichen Anträgen ab Januar 2022 zu diskutieren. Bei der Bundestagsentscheidung wird es mit Sicherheit nicht nur einen Antrag zur Ablehnung einer allgemeinen Impfpflicht geben, sondern vermutlich auch zustimmende Anträge in unterschiedlicher Ausgestaltung. Als Beispiel sei genannt, dass Bund und Länder aktuell bei einer möglichen Impfpflicht diskutieren, ob die eigentlich ab dem 18. oder schon ab dem 12. Lebensjahr gelten soll.

Weil dieses Thema zugleich komplex und hochsensibel ist, wird es natürlich auch – wie immer bei Gewissensentscheidungen – nicht nur eine 1. Lesung geben, sondern vermutlich auch eine Expertenanhörung von Vertretern aus Wissenschaft, Ethik, Kinderschutz- und Jugendverbänden sowie den Ländern insbesondere mit Blick auf die Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen in Kitas und Schulen. Erst dann wird der Bundestag in 2./3. Lesung die Anträge in freier Abstimmung aller Bundestagsabgeordneten entscheiden. Es kann darum sehr leicht bis März 2022 dauern, bis diese Entscheidung getroffen sein wird. Niemand weiß heute, wie sich bis dahin die Inzidenzen bundes- und weltweit entwickeln werden, wie dann die Lage auf den Intensivstationen sein wird und wie gut es bis dahin gelingt, die FREIWIILIGEN Impfungen – bis hin zur Booster-Impfung – drastisch zu steigern. Und niemand weiß heute, ob es bis dahin weitere Mutationen neben der Omikron-Variante geben wird und wie sich das auf die Verbreitung der Pandemie und den Erfolg der Impfungen auswirken wird. Aber genau diese Rahmenbedingungen werden die Debatte mit Sicherheit massiv beeinflussen.

Unter welchen Bedingungen ich einer Allgemeinen Impfpflicht zustimmen werde, kann ich erst beurteilen, wenn mir die Anträge dazu vorliegen. Fakt ist allerdings, dass wir eine Impfpflicht leider dann zum Schutz gerade der Kinder, Jugendlichen und der vulnerablen Gruppen brauchen werden, wenn es nicht gelingt, die freiwillige Bereitschaft in der Bevölkerung zur Impfung bis hin zum vollständigen Boostern kurzfristig massiv zu erhöhen. Stand heute (16.12.21) haben wir in Deutschland eine Impfquote von vollständig Geimpften von 69,9 %, aber in Spanien von 79,1%, in Dänemark von 80,3% und in Portugal sogar von 87,7 %. Bis zum Jahresende wird der Ethikrat zur allgemeinen verbindlichen Impfpflicht eine Empfehlung erarbeiten, die für uns Abgeordnete sehr relevant sein wird.

Für mich ist das Impfen nicht nur eine Frage der Vernunft, sondern auch eine des Respekts gegenüber den Menschen, die seit fast zwei Jahren - oft über ihre Kräfte hinaus - in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen arbeiten, um Menschenleben zu retten. Und es ist eine Frage der Solidarität mit all jenen, die unter den Folgen der Corona-Pandemie besonders leiden: unsere Kinder und Jugendlichen und all jene Berufsgruppen, die in der Pandemie nicht etwa im Home-Office arbeiten konnten, sondern unsere Gesellschaft „am Laufen“ hielten wie z.B. die Menschen im Einzelhandel, die LKW- und Busfahrer*innen, die Pflege- und Reinigungskräfte, die Pädagogen in Krippen, Kitas, Schulen und Einrichtungen für Menschen mit Handicap. Wer sich impfen lässt, beweist auch mit denjenigen Solidarität, die durch die Pandemie quasi bis zum Sommer 2021 über 16 Monate mit einem „Berufsverbot“ belegt waren und es jetzt durch die neue Mutationsvarianten schon bald wieder sein könnten: unsere Künstler*innen und Kulturschaffenden sowie die vielen anderen, die als Ton- und Lichttechniker, als Bühnenbauer oder Dienstleister in der Veranstaltungsbranche häufig als Solo-Selbstständige ihr Geld verdient haben, die in ihrer Existenz bedroht sind und deren Schaffen uns als Publikum so sehr fehlt. Auch diesen Berufsgruppen hilft in Wahrheit nur eine massiv steigende Bereitschaft der Menschen sich impfen zu lassen.

 

 

 

 

 

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