Frage an Detlef Müller bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Detlef Müller
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Frage von Anka F. •

Frage an Detlef Müller von Anka F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Müller,

mit Interesse habe ich Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Koppe vom 18.09.2008 zur Kenntnis genommen. Einige Details Ihrer Antwort haben mich nicht überzeugen können, so dass es für mich immer noch offene Fragen gibt. So behaupten Sie, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht finanzierbar wäre. Können Sie mir Quellen nennen, die dies belegen? Tatsache ist auch, dass es verschiedene Grundeinkommens-Modelle gibt. Kennen Sie ein Modell, in dem die Sozialversicherungen abgeschafft und die Arbeitsförderung eingestellt werden sollen oder ist es nicht eher so, dass ein Grundeinkommen ein zusätzliches und unterstützendes Instrument sein soll? Wäre da nicht die Politik gefragt, um äquivalente Rahmenbedingungen zu schaffen? Weiter schreiben Sie, ein Grundeinkommen wäre ungerecht, unsozial. Kann ich daraus schließen, dass die SPD der Meinung ist, dass ihre Agenda 2010 Programme (Hartz I-IV), die Millionen Menschen von der Teilhabe am öffentlichen Leben ausschließen, Kinderarmut verschärfen, Altersarmut erzeugen, Arbeitnehmer enteignet und Menschen in prekäre Beschäftigung treiben gerechter, als ein Grundeinkommen wären? Ist es denn nicht denkbar, dass ein Grundeinkommen die Bürger am Reichtum Deutschlands partizipieren lässt und gerade entgegen Ihrer Behauptung, Leistung und Kreativität gefördert würden und vor allem existentielle Ängste ausschließt?
Wie kommen Sie zu dem Schluss, im Osten Deutschlands von einer „Vererbung“ sozialer Benachteiligung zu sprechen? Haben Sie Belege für Ihre Behauptung, dass mit Einführung eines Grundeinkommens die Motivation der Menschen sich zu qualifizieren sowie die Produktivität der Wirtschaft sinken würden?
Eine letzte Frage hätte ich da noch. Wie definieren Sie Sinn und Wert einer Arbeit? Müsste man nicht heute schon dazu eine Diskussion führen (Erwerbsarbeit, Ehrenamt, Familienarbeit usw.)?
MfG Anka Frackowiak

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Sehr geehrte Frau Frackowiak,

vielen Dank für Ihre Anfrage bei „Abgeordnetenwatch.de“.

Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich nicht zu Ihren Behauptungen hinsichtlich Hartz I-IV äußern möchte, da es sich hierbei eher um eine persönliche Meinung/Suggestivfragen handelt und wir dabei wohl grundsätzlich anderer Meinung sind.

Zu den verschiedenen Modellen des Grundeinkommens: Natürlich existieren mehrere Modelle. Ich kann an dieser Stelle natürlich nicht zu allen Modellen detailliert Aussagen treffen, das würde den Rahmen sprengen. Deshalb möchte ich nur kurz auf das in der Öffentlichkeit bekannteste Modell des thüringischen Ministerpräsidenten Althaus eingehen. Zu diesem Thema hat sich u.a. der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) in seinem Jahresgutachten 2007 kritisch geäußert. Darin heißt es: "In der von Althaus vorgeschlagenen Version ist das bedingungslose Grundeinkommen nicht finanzierbar, es reißt eine Finanzierungslücke von rund 227 Mrd. € in die öffentlichen Haushalte." Und weiter: "Passt man die einzelnen Elemente des Konzepts so an, dass eine Finanzierbarkeit prinzipiell gewährleistet ist, lösen sich die vermuteten positiven ökonomischen Auswirkungen in Luft auf" (SVR 2007: 224).

Ähnlich sieht es Clemens Fuest vom Finanzwissenschaftliches Institut der Universität Köln, der eine Studie zum solidarisches Bürgergeld durchgeführt hat: „Durch das Grundeinkommen, dass alle (erwachsenen) Staatsbürger unabhängig
von etwaigen Erwerbseinkünften erhalten, wird die Option, nicht bzw. weniger zu arbeiten, attraktiver als im geltenden Steuersystem. Personen, die derzeit ein niedriges Einkommen erzielen, können im Althaus-Konzept weniger oder nicht mehr arbeiten, ohne dabei deutlich Einkommenseinbußen hinnehmen zu müssen. Hinzu kommt, dass die Umsetzung des Konzepts einen hohen finanziellen Aufwand erfordert.“ Und auch bei einer anderen Berechnungsgrundlage bleibt Fuest kritisch: „Erst durch die von uns berechnete Variante mit höherer Transferentzugsrate und höherem Steuersatz wird das Bürgergeld finanzierbar. Dann allerdings fallen die Arbeitsangebotseffekte nochmals deutlich negativer aus, da die Anreize zu arbeiten sich zusätzlich verschlechtern. Zudem würde durch diese Variante mit dem höheren Steuersatz der Mittelstand, also die Steuerzahler im Bereich der höheren mittleren Einkommen, stärker belastet, was die politische Durchsetzbarkeit erschweren dürfte.“ (Fuest: Seite 40).
Im Übrigen geht das Althaus-Modell von einer Abschaffung der Sozialversicherungen (außer der Krankenversicherungs-Kopfprämie in Höhe von 200,- €) und der Arbeitsförderung aus.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Position der Gewerkschaften und der Linkspartei zu einem bedingungslosen Grundeinkommen:
Michael Schlecht, der als Ökonom bei der Gewerkschaft Ver.di tätig ist und Mitglied der Hartz-Protestpartei WASG ist, äußerte sich in der TAZ vom 25.9.2006 folgendermaßen: "In unserer Gesellschaft ist es doch wie in einer Wohngemeinschaft", und weiter: "Niemand darf sich permanent weigern, den Müll runterzubringen." Der deutsche Sozialstaat dürfe keine Leistung ohne Gegenleistung vergeben, meint der Ver.di-Ökonom. Eine bedingungslose Faultierprämie würde nur dazu führen, dass sich Millionen Menschen mehr noch als heute in eine asoziale Parallelwelt verabschiedeten. Nicht nur Schlecht, auch Axel Troost, Wirtschaftspolitiker der Linkspartei, plädiert deshalb für eine "bedarfsorientierte Grundsicherung", die den Arbeitslosen weiterhin Arbeitswillen abverlangt.“

Wir brauchen also ein System von „Fördern und Fordern“ in Deutschland. Wir müssen aber gleichzeitig dafür sorgen, und hier liegt ein großes Problem, dass die Menschen in Zukunft von ihrem Job auch leben können. Dies ist zutiefst sozialdemokratische Politik. Die SPD wird deshalb auch in Zukunft für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns kämpfen.

Zu Ihrer Anmerkung der „Vererbung“ von sozialer Benachteiligung: Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich von einer „Vererbung im Osten“ geschrieben hatte. Das Problem betrifft noch eher einige Regionen in den alten Bundesländern und Westberlins, allerdings wird es in Zukunft leider auch im Osten durch die gebrochenen Biographien nach der Wende zu einem großen Problem werden.

Das es neben der „klassischen“ Erwerbsarbeit auch andere Formen unentgeltlicher Arbeit gibt (z.B. Bürgerschaftliches Engagement, Familienarbeit). Diese Form von Arbeit ist gar nicht hoch genug zu bewerten, und würde man dafür bezahlte Kräfte einstellen, wäre sie wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes „unbezahlbar“. Die Politik ist sich dessen durchaus bewusst und versucht die Rahmenbedingungen (z.B. besserer Unfallschutz, Erhöhung der Übungsleiterpauschalen) weiter zu verbessern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass bürgerschaftliches Engagement der Einbindung in das gesellschaftliche Leben dient, weil es sich auf unterschiedlichste Bereiche, wie z. B. in Heimat- und Kulturvereinen, Stadtteilinitiativen, Selbsthilfegruppen, Sportvereinen, sozialen und kulturellen Einrichtungen bis hin zu klassischen Ehrenämtern, Gremien, Vorständen, Gewerkschaften und in der Politik erstrecken kann.

Ich hoffe, dass damit ich damit einige offene Fragen beantworten konnte und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Detlef Müller, MdB

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