Frage an Elvira Drobinski-Weiß bezüglich Verbraucherschutz

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Elvira Drobinski-Weiß
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Frage von Jürgen H. •

Frage an Elvira Drobinski-Weiß von Jürgen H. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrte Frau Dobrinski-Weiß,

im November wurde eine Gesetzesänderung bezüglich der Bewertungsreserven bei Versicherungen durchgeführt.
Waren Sie bei der Abstimmung anwesend? Wenn ja, wie haben Sie abgestimmt?
Vielen Dank für eine Antwort.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Hetzel

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hetzel,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie sich über unser Abstimmungsverhalten zu den Änderungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) erkundigen, die CDU/CSU und FDP im Interesse der Lebensversicherer jüngst vornahmen.

Das Bundeskabinett beschloss am 15. Februar 2012 den Entwurf eines Zehnten VAG-Änderungsgesetzes (BT-Drs. 17/9342), mit dem die europäischen Vorgaben zur Verringerung der Insolvenzrisiken von Versicherungsunternehmen (Europäische Richtlinie „Solvabilität II“) in deutsches Recht umgesetzt werden sollen. Allerdings verzögert sich die Beratung dieses Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag aufgrund fortgesetzter europäischer Abstimmungen.

Einige der geplanten Rechtsänderungen sollten nach dem Willen der Bundesregierung bereits 2012 in Kraft treten. Dies betrifft insbesondere die Umsetzung des sogenannten „Unisex-Urteils“ des Europäischen Gerichtshofs zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Versicherungsbereich und die fraglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Risikotragfähigkeit der deutschen Lebensversicherungsunternehmen.

Um das Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich dieser Bestimmungen zu beschleunigen, übernahmen die Koalitionsfraktionen sie kurzfristig in ein sachfremdes, aber unumstrittenes Vorhaben, das der Finanzausschuss aktuell beriet. Hierbei handelt es sich um den Gesetzentwurf des deutschen Begleitgesetzes zum Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA-Begleitgesetz, BT-Drs. 17/10038), der am 8. November 2012 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde.

Wir, die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion, haben diesem Gesetz nicht zugestimmt, obwohl wir die Verwirklichung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums unterstützen, weil sich die problematischen Neuregelungen im Bereich der Lebensversicherung für die Verbraucher wie folgt auswirken:

- Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 sind die Versicherungsnehmer an den durch ihre Prämienzahlungen geschaffenen Vermögenswerten angemessen zu beteiligen. Hierzu gehören unter anderem die Bewertungsreserven aus der Differenz zwischen dem Markt- und dem Buchwert der Kapitalanlagen. Bisher ist deshalb bei Vertragsende an die Kunden die Hälfte der ihnen zugeordneten Bewertungsreserven auszuzahlen.

Für Bewertungsreserven auf Aktien und Immobilien gilt das auch künftig. Eingeschränkt wird aber die Beteiligung der ausscheidenden Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren, die in der Praxis den Großteil der Kapitalanlagen der Versicherer ausmachen. Nunmehr ist rechnerisch zunächst zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit ein Versicherungsunternehmen diese Reserven zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den verbleibenden Versicherungsverträgen benötigt. In dem Umfang, in dem dies in Niedrigzinsphasen – wie derzeit – der Fall ist, entfällt eine Auszahlung und die Bewertungsreserven verbleiben im Unternehmen. Nach Auffassung der Bundesregierung wird dadurch ein angeblich fairer Interessenausgleich zwischen den ausscheidenden und den verbleibenden Versicherungskunden erreicht.

- Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes für Versicherungen erfolgte in Deutschland eine Trennung zwischen den Bestandsversicherungen, die bis Mitte 1994 abgeschlossen wurden, und den nachfolgenden neuen Versicherungsverträgen. Die damals vorhandenen Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB) wurden vollumfänglich dem Altbestand zugeordnet und haben sich – im Vergleich zu den RfB des Neubestands – überproportional gut entwickelt. Die Funktion der RfB, die Überschussbeteiligung für die Kunden zu stabilisieren und der Garantiezusagen der Versicherer zu sichern, beschränkt sich damit auf die jeweiligen Teilbestände.

Aus Mitteln des Altbestands und künftig anfallenden Überschüssen müssen die Unternehmen nunmehr einen dritten kollektiven RfB-Teil bilden, der die Risikotragfähigkeit des gesamten Versicherungsbestands – unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses – sichern soll. Durch diese Teilkollektivierung der RfB soll einer Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer entgegengewirkt werden. Tendenziell verringert dies die Überschussbeteiligungen der Versicherten mit Altverträgen vor 1994.

Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion übten deutliche Kritik an diesen Bestimmungen. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Versicherungsunternehmen, die langfristige Lebensversicherungsverträge anbieten, ihre garantierten Zinszusagen umsichtig zu kalkulieren und durch adäquate Vermögensanlagen abzusichern. Übliche Konjunkturzyklen mit schwankenden Zinsniveaus sind dabei zu berücksichtigen.

Unstreitig stellt das aktuelle Niedrigzinsumfeld die deutschen Versicherer vor eine wachsende Herausforderung. Nicht nachvollziehbar ist aber, warum die von CDU/CSU und FDP angestrebte Stabilisierung der deutschen Lebensversicherungsunternehmen ausschließlich über Vermögensumschichtungen zwischen den verschiedenen Versichertengruppen erfolgt. Das Interesse der Versicherungskunden, die ihr Vermögen im Vertrauen auf die Sicherheit und Rentabilität in Lebensversicherungen angelegt haben, wird damit nicht hinreichend berücksichtigt.

Sowohl die Neuregelung der Beteiligung an den Bewertungsreserven als auch die Teilkollektivierung der RfB belasten einseitig die Versicherungsnehmer. Eine Kompensation hierfür wurde von der Bundesregierung offenbar weder angedacht noch geprüft. Denkbar wäre es etwa, die Versicherten stärker an den kapitalmarktunabhängigen Gewinnen wie den Kosten- und Risikogewinnen zu beteiligen. Wenn sich die Versicherungsnehmer mit einer geringeren Beteiligung an den Vermögenswerten begnügen sollen, die mit ihren Beiträgen geschaffen wurden, müssen nach Ansicht der SPD zumindest auch die Unternehmen selbst einen Beitrag zur langfristigen Finanzierbarkeit der Versicherungsverträge leisten.

Die Bundesregierung bestreitet, dass die Lebensversicherungen, die kurz nach Inkrafttreten der Neuregelungen ausgezahlt werden, durch den Wegfall von Bewertungsreserven deutlich verringert werden. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Ob die Rechtsänderungen mit dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2005 noch vereinbar sind, muss gegebenenfalls auf dem Rechtsweg geklärt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Elvira Drobinski-Weiß