Frage an Franziska Brantner bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Franziska Brantner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Lothar M. •

Frage an Franziska Brantner von Lothar M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Frau Dr. Brantner,

Sie äußersten in der Bildzeitung Verständnis für einen aktiven Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien (Idlib).
Bitte begründen Sie Ihre Meinung/Position welche diametral zum Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags steht und einen möglichen Vergeltungsschlag als völkerrechts- und verfassungswidrig beschreibt.
Ist es nicht Ihre Aufgabe - gerade als Mitglied der Grünen - hier dem Grundgesetz zu folgen?

Ich bin verwundert.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihr Interesse an der Position von Frau Brantner zu der Situation in Idlib; sie hat mich gebeten ihnen wie folgt zu antworten:

Nachdem ich mich bereits im April zu der furchtbaren Situation in Idlib geäußert habe, um für eine diplomatische Offensive Europas zu werben (http://www.spiegel.de/politik/ausland/europa-muss-in-syrien-eingreifen-meinung-a-1204564.html), habe ich mich Anfang der Woche in der Debatte um die bevorstehende Einnahme der Region Idlib durch die Truppen Assads wie folgt zu Wort gemeldet:

"Für die über 3 Mio Menschen in Idlib gibt es keinen Rückzugsort mehr. Sie sitzen zwischen Assad und Erdogan in der Falle. Die letzten sieben Horror-Jahre sind auch dem Versagen des demokratischen Westens geschuldet, keine Antwort auf die Allianz von Putin, Iran und Assad gefunden zu haben. Das Ziel muss sein, die Menschen in Idlib zu schützen. Daraufhin müssen alle Optionen überprüft werden."

Damit habe ich mich weder grundsätzlich gegen einen militärischen Einsatz positioniert, noch mich für einen Einsatz der Bundeswehr ausgesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, dass man zu diesem Zeitpunkt nichts ausschließen sollte.

Warum? Dazu ein paar Gedanken:

1. Aufgrund der Situation in Idlib, das schwieriger einzunehmen ist als Ost-Ghouta, Daara etc, scheint ein Chemiewaffeneinsatz Assads als Teil seiner Kriegsstrategie wahrscheinlich, obwohl - wenn es nach der VN Sicherheitsratsresolution 2118 geht - Assad gar keine Chemiewaffen mehr besitzen dürfte. Wenn mit Luftschlägen Chemiewaffenlager und für deren Einsatz notwendiges Equipment zerstört werden, erschwert das zumindest weitere Chemiewaffeneinsätze und dient damit auch dem Schutz der Menschen in Idlib.

2. Bei der Kritik an meiner Positionierung wird auf das Völkerrecht und die Grüne Programmatik bzgl. Bundeswehrmandaten verwiesen. Allerdings ist das nur die eine Seite der Medaille. Massive und dauerhafte Verletzungen dieser Regeln (z.B. der Einsatz von Chemiewaffen, das gezielte Bombardieren von Krankenhäusern, Foltergefängnisse oder der Einsatz von Fassbomben) beschädigen auch internationales Recht. Wir haben ja als Partei eine Geschichte bei der Frage des VN-Mandats, nämlich Kosovo. Die Partei war damals gespalten, aber ich stehe dazu, dass der Einsatz damals richtig war, auch ohne VN Sicherheitsratsmandat. Das entledigt uns nicht des Ziels eines Sicherheitsratsmandats, aber entledigt uns eben auch nicht von schwierigen Abwägungsprozessen.

3. Dazu kommt, die Verantwortung - ja die verdammte Pflicht - Menschen in Not zu schützen. Auch das ist ein zentraler Wert der VN. Idlib und die seit Jahren festgefahrene Situation im VN-Sicherheitsrat zeigen leider sehr deutlich, dass sich die Grundwerte einer internationalen Ordnung im Sinne der VN oft nicht zufriedenstellend in Einklang bringen lassen.

Umso mehr gilt, dass es in besonderen Situationen eine Abwägungsfrage ist, die dann geklärt werden kann, wenn alle Fakten auf den Tisch liegen. Das ist aber in der aktuellen Frage nicht der Fall. Deshalb sollten wir uns zu diesem Zeitpunkt dafür entscheiden, keine Option auszuschließen - und dies auch so sagen. Wohl wissend, dass es völkerrechtlich keine bereits vorgezeichneten Wege gibt, etwas zu tun - aber eben auch wissend, dass es für die 3 Mio. Menschen in Idlib sehr wahrscheinlich keinen Ausweg mehr gibt, wenn Europäer und Amerikaner militärische Optionen nicht in Betracht ziehen - denn auch humanitäre Korridore oder gar Schutzzonen bedürften der militärischen Absicherung.

Man wird in den nächsten Tagen und vielleicht auch Wochen sehr genau hinschauen müssen - und man sollte es immer unter der Prämisse machen, alles sorgfältig zu prüfen, was den Menschen in Idlib vielleicht doch noch helfen kann. Und wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren: der Umgang mit der Situation in Idlib wird eine wichtige Rolle dabei spielen, welche Rolle Europas in den nächsten Jahren in Syrien und der Region sein wird.

Mit freundlichen Grüßen,
Asta Mandelsloh

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Büro
Dr. Franziska Brantner, MdB

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