Frage an Jan Philipp Albrecht bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Jan Philipp Albrecht
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Frage von Arvid K. •

Frage an Jan Philipp Albrecht von Arvid K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Albrecht,

Sie haben auf dieser Seite schon ihre Postition zum ESM erläutert.
Meine Frage Frage beziet sich jedoch eher auf die Bedingungen des Vertrags, denn mir wurde von einigen Leuten ein Video auf Youtube gezeigt. Hier einige Punkte:
"Sie ESM-Mitglieder sagen hiermit bedingungslos und unwiderruflich zu bei Anforderung jeglichem ... Kapitalabruf binnen 7 (sieben Tagen nachzukommen"
Wie ist hier mit unbedingt und unwiderruflich gemeint? auf welchen Zeitraum ist das Ausgelegt?

"Der Gouverneursrat kann Änderung des Grundkapitals beschließen [...]"
Im Video wird es so ausgelegt, dass dieser Gouvernörsrat folglich die Beitragsleistungen beliebig erhöhen und einfordern kann, stimmt das?

"Der ESM, sein Eigentum, seine Finanzmittel und Vermögenswerte genießen unabhängig von ihrem Standort und Besitzer umfassende gerichtliche Immunität, jedoch nicht, soweit der ESM für die Zwecke eines Verfahrens oder aufgrund der Bedingungen eines Vertrags, einschließlich der Unterlagen der Gründungsurkunden, ausdrücklich auf seine Immunität
verzichtet."
und
"Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, von Zugriff durch Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jede andere Form der Inbesitznahme, Wegnahme oder Zwangsvollstreckung durch Regierungshandeln oder auf dem Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzesweg befreit."
Wie darf man sich das Vorstellen? Sind die einzigen Personen die über den ESM bestimmen können die von den Ländern entsandten Gouverneure und das Aushandeln der Auslegung des Vertrags vor dem europäischen Gerichtshof?
Das Video ( http://www.youtube.com/watch?v=rPHzruEbQtE ) bezieht sich auf eine im Internet erhähtliche inofizielle Arbeitsübersetzung eines Entwurfs für einen Vertrag zum ESM. ( http://www.peter-bleser.de/upload/PDF-Listen/E-Mail-Info_Eurostabilisierung/Entwurf_Vertrag_ESM.pdf )

Mit freundlich Grüßen (ich habe keine Zeichen mehr)
Arvid Krein

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Krein,

vielen Dank für Ihre Nachricht zum Europäischen Stabilitätsmechanismus.

Die derzeitigen Entwicklungen in der Finanz- und Wirtschaftskrise sind besorgniserregend. Einer der größten Fehler der Regierung ist es allerdings, dass sie den Menschen Europas nicht erklärt worum es geht. So entstehen Gerüchte, die nicht der Wahrheit entsprechen. Im Video werden einzelne Aspekte des ESM populistisch verzerrt wiedergegeben. Ich begrüße es daher ausdrücklich, wenn sich interessierte Bürgerinnen und Bürger ein differenzierteres Bild von der Politik machen wollen.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus wird ab Juni 2013 den ESFR ablösen. Verglichen mit dem ESFR wird es einige Neuerungen geben. Der ESM bietet die Grundlage für eine geordnete Insolvenz eines Mitgliedsstaates. Kredite werden von dem ESM nur vergeben, wenn sichergestellt ist, dass der Euro-Staat diese in Zukunft auch wieder begleichen kann. Ist dies nicht der Fall, muss der Schuldenstand zuerst auf ein tragfähiges Niveau reduziert werden - und zwar durch einen teilweisen Verzicht der privaten Gläubiger.

Insgesamt soll der ESM verbindliche Regeln schaffen, die chaotische Einzelrettungen zum Höchstpreis verhindern.

Zur Ihren konkreten Punkten:

Es ist nicht der Fall, dass der Rettungsschirm ein "Fass ohne Boden" darstellt und Deutschland beliebig einzahlen muss. Das ist eine vollkommen falsche Annahme!

Der ESM stellt Kredite für Staaten zu Verfügung, die zeitweise Schwierigkeiten haben am Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Die Staaten müssen jedoch starke Anstrengungen unternehmen, um das Geld zurückzuzahlen.

Deutschland wird sich mit 27%, also 190 Mrd. am Grundkapital des ESM beteiligen, davon sind 21 Mrd. als Bareinlage zu zahlen. Die restlichen Einlagen sind Sicherungen für die Kredite. Falls diese benötigt werden, können sie vom dem Gouverneursrat eingefordert werden und sind dann bedingungslos zu zahlen.

Eine Erhöhung des Budgets des ESM bedarf der Zustimmung aller Mitgliedsstaaten. In Deutschland kann dies nur durch die Beteiligung des Deutschen Bundestags geschehen. Dies geht auch aus dem Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts hervor, dass den Euro-Rettungsschirm für verfassungsmäßig erklärt hat und auch die Rechte des Bundestags stärkt. Es stellt klar, dass bei der Übernahme von Gewährleistungen der Haushaltausschuss grundsätzlich vorher zustimmen muss. Dadurch ist eine demokratische Kontrolle sichergestellt.

Der Gouverneursrat setzt sich aus den Finanzministern der Eurozone zusammen. Die Mitglieder sind daher als Regierungsmitglieder der jeweiligen Mitgliedsstaaten demokratisch legitimiert und einer Kontrolle unterworfen. Alle Fraktion des Bundestags haben zudem angekündigt festzuschreiben, dass wichtige Entscheidungen nur mit Zustimmung des Bundestages stattfinden können.

Die Mitglieder des ESM genießen Immunität bezüglich ihrer Amtshandlungen, ein durchaus normaler Vorgang. Die Immunität gilt nicht für strafrechtliche Handlungen und kann jederzeit wieder eingeschränkt werden sollte sich ein entsprechender Verdacht erhärten. Immunität ist nicht gleichbedeutend mit absoluter Straffreiheit sondern ist ein notwendiges Instrument um beispielsweise politische Willkürhandlungen zu unterbinden. Gleiches Prinzip findet auch bei Parlamentariern Anwendung.

Die Finanzmittel des ESM sind vor dem Zugriff nationaler Behörden geschützt, da sie für ihren eigentlichen Zweck vorhanden sein müssen und nicht anderweitig, im Interesse Einzelner, verwendet werden dürfen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass zum Beispiel Deutschlands Geld vor einem Zugriff einzelner anderer Ländern geschützt ist und im Gouverneursrat - demokratische legitimiert - gemeinsam über die Verwendung des Geldes entschieden wird. Wichtige Entscheidungen, wie eine Aufstockung der Finanzmittel, müssen vom Bundestag entschieden werden.

Die Grünen sprechen sich für den Europäischen Stabilitätsmechanismus aus. Wir glauben, dass dies ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung der Eurozone ist und den Weg für mehr europäische Integration bereitet. Der internationale Markt ist so verzahnt, dass die Kosten des Nichthandelns für uns noch größer wären. Wir brauchen eine starke und handlungsfähige EU, um den globalen Herausforderungen begegnen zu können. Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht - wir brauchen Europa. Deshalb kann die Antwort auf die Krise nur heißen: mehr Integration.

Wir fordern gleichzeitig eine klare Festlegung der demokratischen Mitbestimmung, durch eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments. Zudem sprechen wir uns für strikte Vereinbarungen über die Umsetzung der EU 2020 Ziele im Zuge der Sparmaßnahmen aus. Es kann nicht sein, dass die Einsparungen nur auf Kosten der ärmsten Bürgerinnen und Bürgern eines Mitgliedsstaats gehen. Es muss eine gerechte Verteilung der Einsparungsmaßnahmen geben.

Der ESM muss schnellstmöglich in Kraft treten. Bisher hat die deutsche Bundesregierung weder dem Bundestag die Gesetzesvorlage vorgelegt, noch einen konkreten Zeitplan genannt.

Mit freundlichen Grüßen,

Jan Philipp Albrecht