Muss die Arbeitsteilung in der Gesellschaft reduziert werden?

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Jan Schalauske
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Frage von Christoph K. •

Muss die Arbeitsteilung in der Gesellschaft reduziert werden?

Sehr geehrter Herr Schalauske,

ich bin ein großer Fan Ihrer Landtagsreden, auch wenn ich Ihren Positionen nicht immer zustimmen kann. Nun aber zu meiner konkreten Frage.

In einer idealen sozialistischen Gesellschaft sollen alle Menschen ein im weitesten Sinne ähnliches Einkommen und gute Arbeitsbedingungen haben. Wenn es aber weiter verschiedene Berufe gibt, so bleiben aber doch "Klassen" bestehen. Es gibt immer attraktive Tätigkeiten (Pilot, Moderator,... nur als Platzhalter zu verstehen) und weniger attraktive Tätigkeiten. Auch in einer sozialistischen Gesellschaft wird es doch eine Auswahl geben müssen, wer mit den attraktiven Tätigkeiten betraut wird und wer mit dem Rest. Prägt einen die berufliche Tätigkeit nicht viel mehr als die Entlohnung?
Die Lösung kann doch nur sein, dass die Arbeitsteilung drastisch zurückgefahren werden muss und jeder auch die lästigen Sachen selber erledigen muss (Kochen, Reparaturen, Anbau von Nahrungsmitteln).
Sehen Sie das als Experte ähnlich?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr K.,

vielen Dank für Ihre spannende Frage, deren Beantwortung gar nicht so einfach ist und allerlei theoretische Überlegungen bedarf. Da ich in Marburg in der Tradition von Wolfgang Abendroth und seiner Schüler wie Frank Deppe und Georg Fülberth studieren durfte, führt mich der Versuch Ihre Frage zu beantworten zunächst direkt zurück zu den Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels.

Für Marx ist die Geschichte der Menschheit eine Geschichte von Klassen und Klassenkämpfen. Damit meint er nicht unterschiedliche Berufsgruppen, sondern soziale Klassen, die aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess bzw. ihrem Privateigentum an Produktionsmitteln sich antagonistisch (mit gegensätzlichen Interessen) gegenüber stehen. Im Kapitalismus sind das Lohnarbeit und Kapital. Erstere müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um sich zu reproduzieren und besitzen keine Produktionsmittel. Letztere beuten die Lohnarbeit aus, weil sie Eigentum an Maschinen, Werkzeugen und Rohstoffen haben.

Nach Marx zielt das Kapital darauf ab, die Lohnarbeitszeit als Quelle von Ausbeutung und Mehrwert immer weiter zu verlängern. Für die arbeitende Bevölkerung und die Gesellschaft hingegen müsse es darum gehen die Arbeitszeit zu reduzieren, um so Zeit für die freie Entwicklung der Individuen zu haben. Auf die Gesamtgesellschaft bezogen ging Marx davon aus, dass mit der Entwicklung der Produktivkräfte (Technologie, Organisation der Produktion, Wissen) der Mehrwert gesteigert werden kann, gleichzeitig aber auch die notwendige Arbeitszeit sinkt. Anders ausgedrückt: Der Reichtum einer Gesellschaft kann in immer weniger Arbeitszeit produziert werden. Damit entstehen Freiräume für die Menschen. Beim späten Marx heißt es: Das „Reich der Freiheit“ beginnt „in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“ Durch die Reduzierung der notwendigen Arbeit entstehen also im „Reich der Freiheit“ Möglichkeiten anderen Tätigkeiten und Interessen nachzugehen. Insofern ist die sozialistische Idee durchaus von der Überlegung geprägt, dass Lohnarbeit zurückgefahren werden kann (etwa durch Arbeitszeitverkürzung) um mehr Zeit für andere Tätigkeiten zu gewinnen. Dennoch wird es auch im Sozialismus eine Arbeitsteilung geben müssen, aber es wäre etwa denkbar, dass vermeintliche oder real lästige Tätigkeiten besser entlohnt würden als angenehme Berufe und Tätigkeiten. Unter kapitalistischen Bedingungen ist es beispielsweise so, dass Altenpflege, Busfahrer*innen oder Entsorgung sehr schlecht entlohnt werden, obwohl diese Tätigkeiten die Gesellschaft am Laufen halten.

Der junge Marx hatte übrigens folgende unkonventionelle Überlegung. Er wollte die gesellschaftliche Arbeit durch freie Tätigkeit ersetzen und schrieb: „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Sein Ziel war eine Gesellschaft „jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“. Marx nannte diesen Zustand eine kommunistische Gesellschaft.

Mir scheint als das es auch im Sozialismus, in dem die Produktionsmittel im gesellschaftlichen Eigentum sich befinden, etwas mehr demokratischer Planung und Arbeitsteilung bedürfe, um die Grundlagen einer Gesellschaft zu organisieren. Wichtig aber ist es, die Grundbedürfnisse, die Grundlagen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, müssen für alle zugänglich sein.

Im übrigen enthält sogar unsere hessische Landesverfassung einige sozialistische Bestimmungen, wie z.B. das es Aufgabe der Wirtschaft sei dem Wohle der Bevölkerung und der Befriedigung ihres Bedarfes zu dienen. Zu diesem Zweck formuliert die Verfassung sogar die Vergesellschaftung einiger Industriezweige in Hessen. Ein Ziel, welches freilich nie verwirklicht wurde, aber zeigt, wie weit sozialistische Gedanken einst bei den Vätern und Müttern der Verfassung verankert waren.

Ich hoffe mit meiner Antwort einen kleinen Beitrag zur Beantwortung Ihrer Frage geleistet zu haben und werde an meiner eigenen Arbeitsorganisation arbeiten müssen, weil ich Ihnen viel zu spät geantwortet habe.

Freundliche Grüße,

Jan Schalauske