Frage an Nadja Hirsch bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Portrait von Nadja Hirsch
Nadja Hirsch
FDP
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Nadja Hirsch zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Jay S. •

Frage an Nadja Hirsch von Jay S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

am Silvester las ich, dass ab Neujahr 2010 die Richtlinie "DIN EN 115" gilt. Diese regelt wohl, dass Kinderwägen neu zugelassene Rolltreppen nicht mehr benutzen dürfen.
http://www.sueddeutsche.de/G5t38r/3212929/MVG-missachtet-EU-Richtlinie.html

1. Können Sie den o.g. Bericht bestätigen?
2. Wer hat diese EU-Richtlinie veranlasst?
3. Muss der Bundestag ein Gesetz veranlassen, um die Richtlinie umzusetzen?
4. Stimmen Sie selber der Richtlinie zu und wenn nein, wie lässt sich die Richtlinie rückgängig machen?
5. Angeblich soll, dass Verbot auch auf vorhandene Rolltreppen ausgedehnt werden. Da die meisten Städte in der EU für Kinderwägen und Rollstühle jetzt schon schlecht ausgestattet sind, würde mich hierzu Ihre Meinung interessieren.

Mit freundlichen Grüßen

Scharff

Portrait von Nadja Hirsch
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Scharff,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Nachdem diese Regelung nicht vom Europäischen Parlament beschlossen wurde, mussten wir auch erst recherchieren wie es zu diesen Umständen gekommen ist.

1. Können Sie den o.g. Bericht bestätigen?

Leider wirft der von Ihnen beigefügte Artikel viele Begrifflichkeiten und Verantwortlichkeiten durcheinander, so dass ich ihn so nicht bestätigen kann. Dazu werde ich weiter unten ausführlicher zurückkommen.

Praktisch gesehen ist es allerdings seit Ende letzten Jahres wirklich so, dass Kinderwägen auf Rolltreppen nicht mehr benutzt werden sollten. Es handelt sich allerdings nicht um ein Verbot, sondern um einen nachdrücklichen Warnhinweis, welcher durch den Sticker an der Rolltreppe zum Ausdruck kommt. Es drohen auch keine Strafen. Problematisch ist es allerdings, wenn es zu einem Unfall durch einen Kinderwagen kommt. Denn je nach Situation kann die Person, welche einen Kinderwagen benutzt hat und dadurch „fahrlässig“ gehandelt hat, von der verletzten Person haftbar gemacht werden.

Nun zum Artikel:

- Zu allererst handelt es sich hierbei um eine Norm und nicht um eine Richtlinie. Die betreffende europäische Norm (EN 115) baut allerdings auf einer Richtlinie, der sog. Maschinenrichtlinie auf.
- Die Richtlinie wendet sich primär an die Hersteller der Rolltreppen und benennt Anforderungen an die Herstellung. Sobald der Hersteller diesen Anforderungen nachgekommen ist (im Fall der Kinderwägen durch die Anbringung eines Stickers, bzw. Warnhinweisaufklebers), geht die Haftbarkeit (z.B. bei Unfällen) auf den Betreiber über. Es liegt also im Interesse des Betreibers MVG den Sticker anzubringen bzw. nicht zu entfernen.
- Weiter unten im Text heißt es, dass keine Strafe drohe, weil es sich lediglich um eine Richtlinie handelt, nicht um ein Gesetz. Wie oben gesagt, handelt es sich um eine Norm, nicht um eine Richtlinie. Da es eine Norm ist, können keine Sanktionen/Strafen verhängt werden.

Richtlinien werden in der Tat von der Institutionen der EU (der Kommission, dem Rat und dem Europaparlament) geschaffen und legen gewisse Ziele vor, die die Mitgliedstaaten erfüllen müssen. Damit sie wirksam werden, müssen die Mitgliedstaaten Richtlinien in nationales Gesetz umwandeln. Als solche sind sie dann rechtlich verbindlich. Wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht umsetzt oder nicht einhält, kann die Kommission ein Verfahren gegen den Mitgliedstaat einleiten, was ggf. zu Strafen führen kann.

Normen sind grundsätzlich Dokumente, die den Stand der Technik widerspiegeln und Empfehlungen aussprechen, wie allgemeine und wiederkehrende Anwendungen vereinfacht werden können. Sie basieren auf einem freiwilligen Verfahren und auch ihr Einsatz ist grundsätzlich freiwillig. Es kommt somit auch nicht zu Strafen oder Sanktionen.

Wo Gesetze allerdings ausdrücklich auf Normen verweisen und umgekehrt, müssen diese Normen auch eingehalten werden, bzw. andere Maßnahmen angewandt werden, welche nachweislich dieselben Funktionen erfüllen. Im vorliegenden Fall der europäischen Norm EN 115 bezieht sich diese ausdrücklich auf die Maschinen-Richtlinie (98/37/EG) bzw. deren Neufassung (2006/42/EG) und die Richtlinie verweist auf Normen. Die EN 115 wurde im CEN (Europäisches Komitee für Normung) ausgearbeitet, deren Mitglieder die nationalen Normungsinstitute (z.B. DIN) sind. Bevor auf europäischer Ebene diskutiert wird, treffen sich in den Mitgliedstaaten die involvierten Akteure. In Deutschland sind das etwa Vertreter der Regierung, des Bundestages, der Länder und Ministerien sowie von Unternehmen, TÜV und DIN. Das Europäische Parlament ist in diesen Prozess nicht eingebunden.

Zusammenspiel der Maschinen-Richtlinie und der Norm EN 115: Laut Maschinen-Richtlinie ist der Hersteller einer Rolltreppe verpflichtet, Risiken für Nutzer zu vermeiden, die durch die Nutzung seines Produkts (also der Rolltreppe) entstehen können. Wo solche Risiken nicht durch technische Maßnahmen vermieden werden können oder wo ein vorhersehbarer Missbrauch Risiken hervorrufen kann, muss der Hersteller notwendige Informationen oder Warnhinweise geben. Die Norm dient nun dazu, diese allgemeinen Anforderungen der Richtlinie in technische Spezifizierungen (z.B. den genauen Maßen, Wortlaut, Farben, Anbringungsort etc. des Stickers) zu übersetzen.

2. Wer hat diese EU-Richtlinie veranlasst?

Die Maschinenrichtlinie wurde im Rahmen der europäischen Harmonisierung des Binnenmarktes ins Leben gerufen. Sie dient zum einen der Umsetzung des freien Warenverkehrs innerhalb der EU, zum anderen dem hohen Schutz von Arbeitern und Bürgern. Zu diesem Zweck vereint sie eine Reihe von verbindlichen Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen und freiwilligen Normen. Gemäß dem allgemeinen Ablauf des Zustandekommens einer Richtlinie unterbreitete die Europäische Kommission dem Rat der EU und dem Europäischen Parlament einen Vorschlag, der dann innerhalb dieser Institutionen diskutiert, überarbeitet und letztlich abgestimmt und in Kraft gesetzt wurde.

3. Muss der Bundestag ein Gesetz veranlassen, um die Richtlinie
umzusetzen?

Wie oben erwähnt, muss eine europäische Richtlinie von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Dies geschieht im Normalfall durch Gesetze. In Deutschland ist dies durch das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) und die darauf gestützte Maschinenverordnung (9. GPSGV) geschehen. Der Bundestag war in diese Gesetzgebung selbstverständlich eingebunden. Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wurde am 9. Juni 2006 veröffentlich. Seit dem 29. Dezember 2009 ist die Richtlinie verbindlich anzuwenden, wodurch auch die Norm zur Anwendung kam.

4. Stimmen Sie selber der Richtlinie zu und wenn nein, wie lässt sich die
Richtlinie rückgängig machen?

Der allgemeinen Zielsetzung der Richtlinie stimme ich zu. Denn diese hat die Absicht, den freien Warenverkehr innerhalb der EU zu gewährleisten und Arbeiter wie Bürger vor vorhersehbaren Gesundheits- und Sicherheitsrisiken zu schützen. Allerdings ist sie sehr vage in der Definition, was eine „normale Betriebsbedingung“ darstellt. Denn meines Erachtens gehört der Transport von Kinderwägen auf der Rolltreppe hier dazu.

Dies scheint allerdings die dazugehörige Norm EN 115 anders zu sehen, welche eine solche Nutzung als „Fehlanwendung“ darstellt. Daher prüfe ich gerade, ob die Norm EN 115 hier und auch mit dem Sticker „Kinderwagen verboten“ nicht zu weit geht. Denn weder eine Richtlinie noch eine Norm kann ein Verbot aussprechen. Dies können nur nationale oder lokale Verordnungen.

5. Angeblich soll, dass Verbot auch auf vorhandene Rolltreppen ausgedehnt
werden. Da die meisten Städte in der EU für Kinderwägen und Rollstühle
jetzt schon schlecht ausgestattet sind, würde mich hierzu Ihre Meinung
interessieren.

In der Tat besagt die Norm, dass der Anwendungsbereich nicht für Fahrtreppen und Fahrsteige gilt, die hergestellt wurden, bevor der Standard veröffentlicht wurde (d.h. vor Juni 2008), empfiehlt jedoch, dass bestehende Rolltreppen an die Norm angepasst werden. Wie gesagt, prüfe ich gerade, ob die Norm nicht zu weit geht. Sollte dies der Fall sein, werde ich die mir als EU-Abgeordneten möglichen Schritte einleiten und mich an die relevanten Stellen wenden.