Frage an Rüdiger Kruse bezüglich Wirtschaft

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Rüdiger Kruse
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Frage von Birger Z. •

Frage an Rüdiger Kruse von Birger Z. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Kruse,

Sie haben dem ESM-Vertrag zugestimmt. Mich würde interessieren, wie Sie glauben den ESM zukünftig parlamentarisch oder rechtstaatlich kontrollieren zu können? Soweit ich es verstanden habe, sind sämtliche rechtstaatlichen Prinzipien zur Überwachung, dieser mit Steuergeldern finanzierten Institution (Bank), durch den Paragraph 32ff. unterbunden. Des Weiteren würde mich interessieren, wie Sie Einfluss auf die Verwendung der anfänglich 80- und vollends 700Mrd. EUR nehmen wollen? Eine Beteiligung des Privaten Sektors bei den "makroökonomischen Anpassungsprogrammen" wird ausdrücklich nur in Ausnahmefällen erwogen. Wo ist dabei die viel geforderte Beteiligung des Finanzsektors an der Finanzkrise? Mir drängt sich der Verdacht auf, dass Sie und viele Abgeordnete auch, den ESM Vertrag nicht gelesen oder verstanden haben. Leider, denn der Vertrag stellt die Demokratie auf den Kopf. Ich als Wähler habe mit der Einzahlung des Stammkapitals keinen direkten oder indirekten Einfluss mehr auf die Mittelverwendung. Das kann nicht demokratisch sein!

Mit denkwürdigen Grüßen
Birger Zimmermann

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CDU

Sehr geehrte Frau Zimmermann,

vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zu dem ESM.

Ihrer Einschätzung, dass die Mittel-Verwendung des ESM demokratisch nicht legitimiert sei, kann ich nicht zustimmen. Über den Deutschen Bundestag haben Sie, durch die Abgabe Ihrer Stimme bei Wahlen, indirekten Einfluss auf die Mittel-Verwendung. Allerdings kann ich Ihre Bedenken verstehen und nehme diese auch ernst. Auf viele Menschen können die Komplexität der aktuellen Situation und die Dynamik, welche die finanz- und etatpolitische Krise mit sich bringt, recht verwirrend wirken.

Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestags nehmen unsere Haushaltsverantwortung im Zusammenhang mit dem ESM auch weiterhin im vollen Umfang wahr. Alle wesentlichen Entscheidungen, die der ESM treffen kann, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeich¬neten Kapital, müssen einstimmig durch den Gouverneursrat des ESM getroffen werden. Für Deutschland sitzt unser Bundesfinanzminister, Dr. Wolfgang Schäuble, als Vertreter in diesem Gouverneursrat. Bundesminister Schäuble verfügt bei allen wichtigen Entscheidungen des ESM über ein Vetorecht! Wenn Entscheidungen anstehen, die Deutschland schaden würden, dann können wir diese, durch die Veto-Funktion, blockieren. Diese Veto-Funktion haben wir im Deutschen Bundestag als Voraussetzungen gefordert, um dem Vertragswerk zustimmen zu können. Unsere Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies in teilweise schweren Verhandlungen mit den anderen Unterzeichner-Staaten erreichen können. Dem Abstimmungsverhalten Deutschlands im Gouverneursrat ist, als zusätzliche demokratische Legitimierung, der Parlamentsvorbehalt vorgeschaltet. Hat der Bundesfinanzminister, als deutscher Vertreter im Gouverneursrat, kein positives Votum des Bundestages, muss er mit Nein stimmen.

Aufgrund der von uns im Gesetzgebungsverfahren bewusst verankerten Regelung müssen die Abgeordneten des Bundestages immer dann vorher zustim¬men, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Das ist insbesondere bei Entscheidungen über neue Hilfspro-gramme der Fall oder auch bei finanzwirksamen Änderungen von bestehenden Program¬men. Der Haushaltsausschuss, dem auch ich angehöre, begleitet die Umsetzung der Programme. Die Zustimmung meiner dortigen Kollegen und mir ist z. B. dann notwendig, wenn die Bedin-gungen von Hilfsprogrammen geändert werden sollen, auch wenn das Volumen des Hilfspaketes unverändert bleibt. Zudem sind wir vor Auszah¬lungen einzelner Tranchen bereits genehmigter Programme zu beteiligen. Damit haben wir in dem Vertragswerk eine wirksame Rolle des Parlaments sicherstellen können. Wir nehmen unsere Kontrolle ernst und vor allem wahr.

Das von Ihnen angesprochene Kreditvergabevolumen des ESM wird maßgeblich durch seine Kapitalstruktur vorbestimmt, die in Art. 8 des ESM- Vertrags näher geregelt ist. Während die Kapitalstruktur im Vertragstext rechtlich bindend festgelegt ist, da sie die Grund¬lage für die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Kapital darstellt, lässt sich das effektive Kreditvergabevolumen rechtlich nur als Maximalbetrag (Obergrenze) und nicht als Mindestbetrag festschreiben. Denn der ESM verwendet sein Kapital als Absicherung, um selbst am Markt die erforderlichen Mittel für ein Ausleihvolumen von 500 Mrd. Euro aufzunehmen. Das exakte effektive Ausleihvolumen hängt damit auch von Markt-entwicklungen ab.

Die Festlegung einer Obergrenze für das Ausleihvolumen erfolgt in Art. 39 ESM-Vertrag (Obergrenze von 500 Mrd. Euro für das konsolidierte Ausleihvolumen von EFSF und ESM). Die Eurogruppe hat sich am 30. März 2012 allerdings auf eine vorübergehende Anpassung des konsolidierten Ausleihvolumens von EFSF und ESM auf 700 Mrd. Euro verständigt. Dieser Betrag ergibt sich daraus, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits zur Durchführung von Notmaßnahmen der EFSF zugesagten Finanzmittel in Höhe von 200 Mrd. Euro bei der Konsolidierung nicht angerechnet werden. Nach Rückzahlung der von der EFSF bereitgestellten Mittel verbleibt somit auf Dauer ein maximales, konsolidiertes Darlehensvolumen des ESM von 500 Mrd. Euro. Der politische Beschluss der Eurogruppe vom 30. März 2012 wurde im am 29. Juni 2012 beschlossenen ESM-Finanzierungsgesetz auch gesetzlich umgesetzt.

Der ESM wird somit über ein Stammkapital von insgesamt 700 Mrd. Euro verfügen, aufgeteilt in 80 Mrd. Euro eingezahltes Kapital und 620 Mrd. Euro abrufbares Kapital (Garantien der ESM-Mitgliedstaaten). Der Vertrag sieht vor, dass das eingezahlte Kapital von 80 Mrd. Euro von den ESM-Mitgliedern über einen Zeitraum von fünf Jahren in gleichen jährlichen Raten entrichtet wird. Anfang 2012 wurde das Inkrafttreten des ESM auf Mitte 2012 vorgezogen, ein Jahr früher als ursprünglich vorgesehen. Außerdem wurde beschlossen, in 2012 und 2013 jeweils zwei Tranchen Kapital in den ESM einzuzahlen. Der deutsche Beitrag zum Stammkapital setzt sich zusammen aus rund. 22 Mrd. Euro eingezahltem Kapital und 168 Mrd. Euro abrufbarem Kapital (Garantien). § 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes stellt die gesetzliche Grundlage für den Kapitalbeitrag Deutschlands dar. Die ersten beiden Tranchen des deutschen Kapitalbeitrags in Höhe von 8,7 Mrd. Euro für 2012 wurden durch einen Nachtragshaushalt am 14. Juni 2012 vom Deutschen Bundestag freigegeben. 2013 folgen zwei weitere und die letzte Tranche dann 2014. Nur das bereits genehmigte abrufbare Stammkapital kann entsprechend der Vorgaben des ESM-Vertrags abgerufen werden.

In Artikel 10 Absatz 1 ESM-Vertrag ist vorgesehen, dass das maximale Darlehensvolumen und die Angemessenheit des genehmigten Stammkapitals regelmäßig überprüft werden. Änderungen erfordern einen einstimmigen Beschluss des Gouverneursrats. Ein Beschluss gegen die Stimme Deutschlands ist, wie oben beschrieben, also nicht möglich. Für eine Erhöhung des genehmigten Stammkapitals wäre in Deutschland eine erneute gesetzliche Regelung erforderlich. Artikel 10 Absatz 1 ESM-Vertrag sieht hierzu ausdrücklich vor, dass ein Beschluss des Gouverneursrats zur Änderung des Kapitals erst in Kraft tritt, nachdem die jeweils erforderlichen nationalen Verfahren zur Umsetzung des Beschlusses abgeschlossen sind.

Um eine substantielle Beteiligung des Finanzsektors an der Krise zu gewährleisten, setzt sich die deutsche Bundesregierung für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ein. Diese muss in möglichst vielen europäischen Staaten eingeführt werden, um eine hohe Wirksamkeit zu erzielen. Dabei verfolgt die Finanztransaktionssteuer vor allem zwei Ziele. Zum einen soll sie den Finanzsektor an den Kosten der Krise beteiligen, zum anderen die unerwünschten Formen des Finanzhandels zurückdrängen. Nachdem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf gesamteuropäischer Ebene gescheitert ist – hier gilt das Einstimmigkeitsprinzip – bemüht sich die Bundesregierung derzeit um eine Einführung im Rahmen der „Verstärkten Zusammenarbeit“. Diese „Verstärkte Zusammenarbeit“ erlaubt europäischen Staaten eine engere Kooperation in Bereichen, in denen keine Einstimmigkeit aller EU-Staaten erzielt werden konnte. Die Geschwindigkeit und die Intensität können dabei von den beteiligten Staaten selbst bestimmt werden, allerdings müssen mindestens neun EU-Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten, um den formalen Ansprüchen gerecht zu werden. Derzeit arbeitet die deutsche Regierung an einer solchen Einführung in mindestens neun europäischen Staaten. Zudem sieht der ESM-Vertrag die Beteiligung privater Gläubiger vor. Diese solle in „angemessener und verhältnismäßiger Form“ erfolgen.

Beste Grüße
Rüdiger Kruse