Frage an Sevim Dağdelen bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Sevim Dağdelen
BSW
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Frage von Frank B. •

Frage an Sevim Dağdelen von Frank B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dagdelen,

Es gibt Fragen, um die wie um den heißen Brei herum geredet wird, so auch in der Sendung des Deutschlandfunks, an der sie beteiligt waren.

1. Mit wie vielen "Flüchtlingen" müssen wir in den nächsten 5 Jahren rechnen? Mit Sicherheit werden es ja in jedem Jahr mehr als 1 Million werden, denn die im Schnellverfahren anerkannten jungen Asylanten können ihre Familienangehörigen - Eltern, Geschwister usw nachholen (und diese wieder ihre Verwandten, Ehefrauen, Kinder usw). Außerdem müssen wir künftig mit Hunderttausenden von Muslim Brüdern aus Ägypten rechnen, die ja auch religiös/politisch verfolgt werden

2. Wie viele neue Sozialarbeiter, Lehrer, Gesundheitspersonal, Polizeibeamte, sonstiges Personal, Wohnungen usw. werden dann gebraucht?

3. Was kostet das, und wie wird das finanziert? Als immigrationspolitische Sprecherin der Linken müssten Sie darauf eine Antwort - zumindest eine Schätzung - haben.

Mit freundlichen Grüßen
Becher

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Antwort von
BSW

Sehr geehrter Herr Becher,

Zuerst muss man sagen, dass 2014 rund 627.000 Flüchtlinge einen Asylantrag in einem EU-Land gestellt haben - davon 203.000 in Deutschland. Das entspricht knapp einem Drittel aller Anträge. Damit steht Deutschland in realen Zahlen zwar an der Spitze der europäischen Länder; vor Schweden mit 81.000 Flüchtlingen. Setzt man die Zahl der Asylsuchenden allerdings in Relation zur Größe der Bevölkerung, sehen die Verhältnisse anders aus: Den höchsten Flüchtlingsanteil pro Einwohner hatte 2014 laut Eurostat Schweden (8,4 Asylanträge pro Tausend Einwohner), gefolgt von Ungarn (4,3 Anträge). Das wirtschaftlich starke Deutschland belegt mit 2,5 Asylbewerbern pro tausend Einwohner in Europa Platz acht, weltweit Platz 13.

Es ist naiv zu glauben, dass sich die Situation mittels abgeriegelter Grenzen lösen ließe. Überhaupt ist die Idee, Migration kontrollieren oder einschränken zu wollen, absurd. DIE LINKE. fordert, dass der unsägliche Dublin-Mechanismus für Flüchtlinge in einem ersten Schritt generell und grundsätzlich ausgesetzt werden muss. Schutzsuchende sollen ihr Zufluchtsland entsprechend bestehender familiärer Kontakte oder vorhandener Sprachkenntnisse von vornherein selbst bestimmen können ("free choice"-Modell). Entstehende Ungleichverteilungen innerhalb der EU sollten auf finanzieller Ebene ausgeglichen werden, Länder mit geringen Aufnahmezahlen müssen beim Aufbau eines attraktiven Asylsystems unterstützt werden.

Sieht man sich die Hauptherkunftsregionen der Flüchtlinge in den letzten Jahren an, kamen diese vor allem aus Ländern wie Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen sowie aus den Balkanländern. Das sind genau jene Länder, in denen mittels sog. "humanitären Intervention" ein regime-change - unter Beteiligung auch Deutschlands - mit der Folge der totalen Zerstörung der Länder herbeigeführt wurde. Dort bekämpfen sich nun radikale Kräfte auch mit deutschen Waffen und führen in Folge von mindestens bürgerkriegsähnlichen Situationen zu Flucht und Vertreibung.

Die Unterbringung in Massenunterkünften ist wegen der Bürokratie- und Kontrollkosten teurer als die Übernahme von Mietkosten für Privatwohnungen. Sollte die prognostizierte Zahl von 800.000 Flüchtlingen in Deutschland zutreffen, wären ca. 8 Mrd. Euro notwendig. Der Bund muss die vollen Kosten übernehmen. Länder und Kommunen sind damit überfordert. Allein DIE LINKE fordert, dass dies nicht auf Kosten von sozial Benachteiligten geht, sondern mit einer Millionärssteuer gerade von denen mit finanziert wird, die am meisten von einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung profitieren, die Flüchtlinge "produziert". Zudem: solange es kein Rüstungsexportverbot gibt, müssen sich deutsche Rüstungskonzerne an den Kosten für Flüchtlinge beteiligen. Immerhin sind vor allem auch sie Profiteure der Konflikte vor denen Flüchtlinge fliehen.

Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/solidarita-t-hilfe-fu-r-flu-chtlinge-erfordern-grundsa-tzliches-umdenken/

Beste Grüße,

Sevim Dagdelen

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