Frage an Sevim Dağdelen bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Sevim Dağdelen
BSW
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Frage von Ursula N. •

Frage an Sevim Dağdelen von Ursula N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dagdelen,

ich stimme Ihnen zu, dass dieses Land über die entsprechenden Mittel verfügt, um mehr Lehrer und Lehrerinnen einzustellen oder um es generell in bessere Bildungssysteme zu intvestieren. Mir wäre das lieber, als Großkonzernen großzügige Steuergeschenke oder Subventionen zu genehmigen.

Jedoch bin ich auch der Meinung, dass es in erster Linie die Verantwortung eines jeden Menschen ist, gleich welcher Herkunft sich mit der Landessprache eines Landes vertraut zu machen, in dem man zu arbeiten und zu leben gedenkt. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit und nicht ausschließlich für die Verfehlung des Landes, in das Menschen gehen. Dies ist m. E. doch etwas zu simpel gestrickt.

Mir käme es z. B. nicht in den Sinn, nach Australien oder in die USA zu gehen, ohne vorher Englisch zu lernen. Wie sollte ich dort arbeiten, wenn ich nicht einmal die Sprache spreche?

Den Menschen wird m. E. durch die etwas einseitige Blickrichtung mancher Politiker eher die Verantwortung für sich aus der Hand genommen. Die Verantwortung wird in die Hände der Gesellschaft gelegt und ich frage mich und sie, ob das eine gute Lösung ist.

Nun ist die erste Generation der Migranten/Migrantinnen schon einige Jahre her und ich weiß nicht, ob man jemanden erst anbieten muss, die Sprache eines Landes zu lernen oder ob das nicht üblicherweise von dem Individuum selber ausgehen sollte/könnte/müsste?

Ich denke, dass es ganz wichtig für Menschen ist, sich auch ihrer Eigenverantwortung bewusst zu werden.

Mit freundlichen Grüßen
Ursula Nurkowski

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BSW

Sehr geehrte Frau Nurkowski,

mit reichlicher Zeitverzögerung wofür ich mich entschuldige, möchte ich Ihnen folgendes antworten. Ihre Frage(n) vom Kopf auf die Füße gestellt, war es in den Anfangsjahren der BRD ja gerade so, dass die sogenannten Gastarbeiter unbesehen Ihrer Sprachkompetenz angeworben und ins Land gelockt wurden, weil man Sie für den wirtschaftlichen Aufschwung brauchte. Niemand interessierte sich für Sie, denn als Arbeitskräfte. Sie waren nützlich und sollten keine Ansprüche erheben. An den Spracherwerb war für diese Menschen überhaupt nicht gedacht. Warum auch. Sollten Sie doch nach Ableistung wieder gehen. D.h. es durfte geschuftet werden, dass die Konjunktur brummte und die Sozialen Sicherungssysteme durch Arbeitsnehmeranteile gefüllt wurden. Nun aber, einige Jahrzehnte später, stellt man fest, dass die Leute immer noch hier sind aber nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. Ein Überleben in der vermeintlich durch Sprachbarrieren verschlossenen deutschsprachigen Nachbarschaftswelt und Mehrheitsgesellschaft war somit empirisch gesehen offensichtlich möglich. Damit dringen wir zum Kern des Problems vor. Tatsächlich ist es sinnvoll die Sprache einer Mehrheitsgesellschaft zu erlernen. Überlebensnotwendig sind meines Erachtens andere Dinge. Zudem haben deren Kinder die Landessprache in den Schulen sehr wohl gelernt.

Schon von Kindergartenkindern eine entsprechende Sprachbefähigung abzufordern, halte ich denn auch für reichlich überhöht. Ist dieser doch neben der Schule ein frühstmöglicher Lernort, wo durch den spielerischen Kontakt aber regelmäßigen Umgang etwaige Unterschiede ausgeglichen werden können. Schließlich frage ich Sie, wo wenn nicht in Kindergarten und Schule, soll der staatliche Bildungsauftrag beginnen und somit von unterschiedlichen auch sprachlichen Reifegraden hin zu einem allgemeinen Niveau gebildet und gefördert werden?

Mein Fazit lautet daher, das Abstellen auf einseitige Sprachkompetenz wird zu einem künstlichen Instrument der Verhinderung von ernsthafter Integration. Statt allein auf Sprache als Möglichkeit zur Integration zu setzen, wird sie zur scharfen Klinge über die Menschen springen sollen.

Die LINKE. steht deshalb für eine Politik der sozialen Integration die Möglichkeiten erschließt, statt Menschen auszuschließen. Und dies ist eine staatliche und keine individuelle Aufgabe.

Mit freundlichen Grüßen

Sevim Dagdelen

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