Warum sollen Menschen die arbeiten könnten aber Arbeiten verweigern Geld bekommen ? Sollte man nicht gemeinnützige Arbeit dann verrichten!?

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Sibylle Röth
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Frage von Susanne K. •

Warum sollen Menschen die arbeiten könnten aber Arbeiten verweigern Geld bekommen ? Sollte man nicht gemeinnützige Arbeit dann verrichten!?

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DIE LINKE

Liebe Frau Koch,

Vielen Dank für Ihre Frage. Bitte verstehen Sie es nicht als Angriff, wenn ich sie in meiner Antwort etwas zuspitze. Inhaltlich sollte es ja den Kern dessen treffen, was Sie interessiert. 

Ich halte das Bild von arbeitsverweigernden Hartz IV-Empfänger:innen großteils für einen Mythos. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sind 28% der Leistungsbeziehenden überhaupt nicht erwerbsfähig – etwa Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Hinzu kommt der erschreckend hohe Anteil von 24 %, die erwerbsfähig, aber eben auch -tätig sind, also Aufstocker:innen, die trotz Arbeit nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu sichern. D.h. über die Hälfte der Leistungsbeziehenden kommt für den Vorwurf der Arbeitsverweigerung schon prinzipiell nicht in Frage.

Vom Rest muss man dann die ständig durchwechselnde Menge derjenigen abrechnen, die tatsächlich nur kurzfristig arbeitslos sind, in dieser Zeit einen Job suchen und finden. Daneben gibt es dann eine Anzahl von Menschen mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen. Darunter sind Fälle, die über Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ausgeglichen werden können: Diese Menschen sind also erwerbslos, aber nicht untätig. In anderen Fällen handelt es sich um Umstände, die nicht kurzfristig auszugleichen sind: Alleinerziehende können dem Arbeitsmarkt vielfach nicht so zur Verfügung stehen, wie dieser es erfordern würde, weil ja zugleich das Betreuungssystem in Deutschland nicht so ausgebaut ist, wie man es sich wünschen würde. Dasselbe gilt für Menschen, die Angehörige pflegen müssen. Auch schlicht ein fortgeschrittenes Alter macht für den Arbeitsmarkt mitunter so unattraktiv, dass es für die Betroffenen kaum eine Aussicht gibt, wieder arbeiten zu können. Und schließlich gibt es die Vielzahl der Langzeitarbeitslosen, die gerade durch die Langzeitarbeitslosigkeit ihre Arbeitsfähigkeit verloren haben. Denn wie man weiß, ist die Zahl psychischer Erkrankungen, die sich bei längerem Hartz IV-Bezug ausbilden, signifikant. Auch diese Menschen dürften also nicht gemeint sein, wenn die Rede von denjenigen ist, die schlicht nicht arbeiten wollen.

Bei wie vielen derer, die dann übrig bleiben, die Arbeitslosigkeit selbstgewählt – und damit gewissermaßen Faulheit auf Kosten der Steuerzahlenden – ist, dazu gibt es natürlich keine exakten Zahlen. Das Hartz IV-System ist so aufgebaut, dass es zumindest schwer sein dürfte: wird eine zumutbare Arbeit ausgeschlagen, drohen immerhin Sanktionen. Und diese Sanktionen geben uns zumindest Anhaltspunkte: Setzen wir mal voraus, dass die Arbeitsagenturen da nicht dazu neigen, ein Auge zuzudrücken, so fällt auf, dass Sanktionen aufgrund der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit einen nur geringen Teil ausmachen. Die meisten erfolgen für Formfehler wie Meldeversäumnisse (77% in 2018, also vor Corona und auch vor dem BVerfG-Urteil).

Für mich kommt bei der Betrachtung unterm Strich raus, dass wir nicht den Druck, sondern unsere Solidarität ausbauen sollten. Denn neben diesem ganzen statistische Klein-Klein steht das Menschenrecht auf Existenz, dass gesichert werden muss. Als Gesellschaft sind wir es unseren Mitgliedern schuldig, sie vor existenzieller Not zu sichern! Als reiche Gesellschaft können wir uns das auch problemlos leisten! Das ist für mich eine Frage des Prinzips. Wenn wir damit nicht nur die überwiegende Menge an Menschen, die völlig unverschuldet in Armut sind, unterstützen, sondern eben auch die paar Ausnahmen, die es geben mag, halte ich das für verkraftbar. Was ich hingegen unumwunden befürworten würde, wären mehr Möglichkeiten, sich über gemeinwohlorientierte Arbeit sinnstiftend einzubringen. Nicht auf Basis eines Zwangs, sondern als Angebote jenseits des ersten Arbeitsmarktes und in dem Umfang, in dem es die Betroffenen leisten können und wollen. Denn für viele, die der Arbeitsmarkt als nicht weiter "verwertbar" aussortiert hat, sind die Untätigkeit und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, zusätzliche Leidensfaktoren.

Herzliche Grüße,

Sibylle Röth