Frage an Stephan Thomae bezüglich Recht

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Stephan Thomae
FDP
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Frage von Gerd H. •

Frage an Stephan Thomae von Gerd H. bezüglich Recht

Sehr geehrte/r Kandidat/in,

ich möchte Sie mit einem auf dem ersten Blick regionalem, auf dem zweiten Blick aber nationalem Problem vertraut machen und Ihnen dazu einige Fragen stellen. Möglicherweise ist Ihnen das Problem bekannt.

Es geht um das so genannte „Bombodrom“. Auf einem ehemals sowjetischen Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide (100 km nördlich von Berlin) möchte das Verteidigungsministerium seit dem Jahre 1992 den größten Luft- Boden- Schießplatz (144 qkm) Europas einrichten. Geplant von der Bundeswehr sind bis zu 1700 Übungseinsätze jährlich, hinzukommen möglicherweise Übungseinsätze der Nato-Partner. Diese Einsätze bedeuten mehrmaliges Überfliegen (Tiefflüge unter 300 m, im Zielgebiet bis 30 m) des Müritz-Nationalparkes und anderer Naturschutzgebiete. Die Menschen in der Region kämpfen seit Beginn der Pläne dagegen und fürchten um ca. 2000!! Arbeitsplätze in der Tourismusbranche (Aussage der IHK zu Neubrandenburg). Viele Investoren stehen vor der Tür und möchten in den Tourismus investieren, warten aber eine endgültige Entscheidung der Gerichte und/oder Politik ab. In der Länderübergreifenden Region ist der Tourismus die einzige Branche mit positiven Erfolgsaussichten für die Entwicklung der Region und dem Arbeitsmarkt. Der Senat von Berlin sowie die Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich für eine zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide ausgesprochen. Der militärische Nutzen des Boden-Luft-Schießplatzes wird mittlerweile selbst von Militärfachleuten in Frage gestellt. Weitere Informationen finden Sie unter www.freier-himmel.de oder www.freie-heide.de .

Nun meine Fragen:

1.) Wie würden Sie bei einer Endscheidung im Bundestag entscheiden, für die zivile oder militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide?
2.) Würden Sie sich der Meinung Ihrer Fraktion anschließen oder einzig Ihrem Gewissen bei dieser Entscheidung folgen?
3.) Wenn Sie sich für die militärische Nutzung entscheiden würden, könnten Sie bei dem Gedanken, mehr als 2000 Arbeitsplätze vernichtet zu haben, ruhig schlafen?
4.) Können Sie angesichts der hohen Kosten die Verantwortung für den noch jahrelangen Gerichtstreit übernehmen?
5.) Wenn Sie sich für die zivile Nutzung aussprechen, wie wollen Sie den 13 Jahre langen Protest der Bürger in der Region unterstützen?
6.) Nehmen Sie den größten Bürgerprotest in der Bundesrepublik Deutschland ernst?

Mit freundlichen Grüßen

Gerd Hernacz

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hernacz,
 
zunächst vielen Dank für Ihre Fragen. Um sie zu beantworten, wäre im Grunde eine intensive Beschäftigung mit dem Thema vonnöten. Ich will trotzdem versuchen, bestmöglich zu antworten.
 
Zu Frage 1.) Wie würden Sie bei einer Entscheidung im Bundestag entscheiden, für die zivile oder militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide?
 
Diese Frage läßt sich m. E. ohne eingehende Beschäftigung mit den Pro- und Contra-Argumenten nicht beantworten. Ihrer Darstellung kann ich insbesondere die Argumente der Bundeswehr nicht entnehmen. Ohne diese Argumente zu kennen, ist aber eine Abwägung der Argumente völlig unmöglich. Ihr Schreiben beleuchtet nur eine Seite, auch die von Ihnen genannten Internet-Seiten repräsentieren die Gegner einer militärischen Nutzung, sind also nicht ausgewogen.
 
2.) Würden Sie sich der Meinung Ihrer Fraktion anschließen oder einzig Ihrem Gewissen bei dieser Entscheidung folgen?
 
Diese Frage finde ich etwas theoretisch. Zunächst einmal: "Die" Fraktion gibt es ja nicht. Es gibt Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion und aus anderen Fraktionen, Referenten, Wissenschaftliche Mitarbeiter, die Menschen vor Ort, die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums usw. Wie sonst im Leben auch gibt es überall Menschen, die Sie im Großen und Ganzen für vernünftig und vertrauenswürdig halten, und die Sie in Ihren Meinungsbildungsprozeß einbeziehen, sie nach ihrer Ansicht fragen werden etc. Oft hat "die" Fraktion auch gar keine geschlossene Meinung, und bei weitem nicht immer wird in den Fraktionen diskutiert, bis eine einheitliche Meinung hergestellt ist, oder gar sog.. "Fraktionszwang" ausgeübt, der i. ü. auch gar nicht durchsetzbar ist. Selbstverständlich würde ich immer nach meiner Überzeugung abstimmen. Ich kenne jedenfalls aus der FDP-Bundestagsfraktion überhaupt niemanden, der dies nicht täte. Oft, aber weit weitem nicht immer, vertraut man natürlich bei komplizierten Sachfragen der Kompetenz eines Fraktionskollegen, der sich mit einem Thema beschäftigt hat. Anders ist das gar nicht praktikabel.
 
3.) Wenn Sie sich für die militärische Nutzung entscheiden würden, könnten Sie bei dem Gedanken, mehr als 2000 Arbeitsplätze vernichtet zu haben, ruhig schlafen?
 
Die Frage nach meinem Schlaf ist eine sehr persönliche Frage. Ob die Zahl stimmt, kann ich nicht nachprüfen. Da würde ich zunächst einmal die Berechnung sehen wollen und auch die andere Seite anhören. Auch vom Militär leben übrigens direkt und indirekt jede Menge Menschen. Auf einem Militärflugplatz arbeiten Zivilangestellte, die dort stationierten Soldaten kaufen in ihrer Garnisonsstadt bei den örtlichen Händlern Lebensmittel, Schlafzimmerschränke, Kinderspielzeug und Autos, sie mieten Wohnungen, bauen sich Häuser, gehen ins Kino und in die Diskothek, usw. usw. Im Rahmen der Truppenreduzierung wurden in Deutschland zahlreiche Garnisonen aufgelöst. Soweit mir bekannt, haben die Städte und Gemeinden überwiegend versucht, die Schließung der Kasernen in ihrem Gebiet abzuwenden, eben weil damit oft hunderte zivile Arbeitsplätze weggefallen und Soldatenfamilien mit sicherem Einkommen weggezogen sind. Inwieweit dagegen wirklich 2000 Arbeitsplätze im Tourismus gefährdet sind, müßte man sich genauer anschauen.
 
4.) Können Sie angesichts der hohen Kosten die Verantwortung für den noch jahrelangen Gerichtstreit übernehmen?
 
Wenn ich zu einer Überzeugung gelangt bin, bin ich selbstverständlich auch bereit, die Konsequenzen dafür zu tragen. Wenn ich immer vor einer Entscheidung zurückschrecken würde, wenn die Gefahr besteht, daß dagegen jemand Klage erhebt, was im übrigen ja auch sein gutes Recht ist, dann könnte ich niemals eine Entscheidung durchsetzen, gegen die jemand eine Klage androht. Menschen ohne Rückgrat gibt es genug. In der Politik muß man zu seinen Überzeugungen und Entscheidungen stehen. Eine Klage kann ja auch von einer Minderheit oder einer Einzelperson erhoben werden. Es wäre nicht zu verantworten, vor einer Entscheidung, die vielleicht von der Mehrheit gewünscht wird, nur deshalb zurückzuschrecken, weil eine Minderheit oder vielleicht auch nur eine einzelne Person dagegen ist.
 
5.) Wenn Sie sich für die zivile Nutzung aussprechen, wie wollen Sie den 13 Jahre langen Protest der Bürger in der Region unterstützen?
 
Indem ich versuche, den verteidigungspolitischen Sprecher meiner Fraktion davon zu überzeugen, daß der Truppenübungsplatz nicht gebaut, sondern das Gelände einer zivilen Nutzung überlassen werden sollte. Falls es nach den nächsten Bundestagswahlen zu einer CDU/CSU/FDP-Regierung kommen sollte, würde der Verteidigungsminister wahrscheinlich aus den Reihen der CDU kommen. In diesem Fall wäre der verteidigungspoltische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion der zweitwichtigste Mann in der Regierungskoalition. Denn wenn der sagt, die FDP ist einverstanden, dann wird er wahrscheinlich von seiten seiner Fraktionskollegen hinreichende Zustimmung signalisiert bekommen haben. Also müßte ich versuchen zu erreichen, daß der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sich der Zustimmung der FDP-Bundestagsfraktion nicht sicher sein kann, oder aber der Sprecher selbst dagegen ist. Dann wird er dem Minister signalisieren müssen, daß die FDP nicht mitmacht, und der Minister hätte wahrscheinlich Schwierigkeiten, im Bundestag die notwendige Mehrheit zu finden.
 
6.) Nehmen Sie den größten Bürgerprotest in der Bundesrepublik Deutschland ernst?
 
Ich nehme Bürger immer ernst. Schließlich bin ich selber einer. Ob es der größte Bürgerprotest in der Bundesrepublik ist, weiß ich nicht. Wer hat das denn festgestellt? Offen gestanden höre ich von einem Bürgerprotest gegen einen Truppenübungsplatz Kyritz-Ruppiner Heide zum ersten Mal. Das kann natürlich auch an meiner Unaufmerksamkeit liegen. Doch auch der größte Bürgerprotest repräsentiert möglicherweise nicht die Mehrheit. Auch eine Minderheit kann, wenn sie geschickt vorgeht und gut organisiert ist, sehr laut und sehr wirkungsvoll sein, und selbstbewußt wie eine Mehrheit auftreten. Im konkreten Fall kann ich das nicht beurteilen.
 
Ich hoffe, Ihre Fragen vollständig, wenn auch vielleicht nicht immer zu Ihrer vollen Zufriedenheit beantwortet zu haben. Ich würde es aber vor mir selbst nicht vertreten können, Ihnen eine Antwort zu geben, die nur darauf abzielt, Ihnen zu gefallen. Doch hoffe ich, daß Sie ein offenes Wort ebenso schätzen wie ich.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Stephan Thomae

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