Frage an Stephan Thomae bezüglich Familie

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Stephan Thomae
FDP
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Frage von Werner H. •

Frage an Stephan Thomae von Werner H. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Thomae,

wie stellen Sie sich zu den steuer- und familienpolitischen Vorschlägen von Prof. Kirchhof, im besonderen:
- Familiensplitting (wie in Frankreich)
- Echte Wahlmöglichkeit für Frauen und Männer in Bezug auf Erziehung und/oder Beruf
- Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht
- Achtung des Elternrechts auf Erziehung nach Art. 6 GG
- Stellvertretendes oder tatsächliches Wahlrecht für Eltern und/oder Kinder zur Beseitigung der strukturellen Benachteiligung von Familien (nur ca. 25 % der Wählerstimmen fallen auf Eltern)
- Abbau der Demokratiedefizite (siehe Eltern/KInder) durch stärkere Betonung direkter Abstimmungen in der BR Deutschland
- Büchergeld, Studiengebühren, Berufsgebühren, Kindertagesstätten-Gebühren, usw.

Dann eine letzte Frage im Blick auf Ihre Glaubwürdigkeit:
Haben Sie selbst eine Familie oder sind Sie wie Westerwelle, Merkel, Wowereit, Roth, Fischer und im Grunde auch Herr Schröder kinderlos?

Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen!

W. Hummel

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hummel,

für Ihre e-mail und Ihr Interesse möchte ich mich zunächst ganz herzlich bedanken.

Ihre Frage zielt darauf, meine Einstellung - bzw. wohl auch die Haltung der FDP - zu den Vorschlägen von Prof. Kirchhof zu erfahren.

Lassen Sie mich vorab festhalten, daß die FDP ein eigenes Steuermodell unter besonderer Berücksichtigung einer finanziellen Entlastung der Familien erarbeitet hat. Hermann-Otto Solms, Steuer- und Haushaltsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, hat dieses Konzept schon im Jahre 2000 vorgestellt und auch bereits als Gesetzesentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht. Der Antrag wurde allerdings von den anderen Bundestagsfraktionen abgelehnt. Erst danach haben Friedrich Merz (CDU) und Paul Kirchhof (parteilos) ihre Modelle vorgestellt. Ich will nun nicht behaupten, daß die beiden bei Solms abgeschrieben hätten. Das haben weder Merz noch Kirchhof nötig. Aber jedenfalls hat Solms mit seinem Entwurf wichtige Weichen gestellt. Den Solms-Entwurf hält die FDP, und ich persönlich sehe das genauso, weiterhin für aktuell und richtig. Deshalb wirbt die FDP nicht für das Kirchhof-Modell, sondern weiterhin für ihren eigenen Entwurf. Insgesamt begrüßt die FDP im wesentlichen die Vorschläge von Prof. Kirchhof. Daß die Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel gegen Widerstände aus ihrer eigenen Partei Herrn Prof.. Kirchhof in ihr Kompetenzteam aufgenommen hat, versteht die FDP als Signal dafür, daß sich Frau Merkel auf die FDP zubewegt. Insbesondere kommen sowohl das Solms-Modell als auch das Kirchhof-Modell ohne Mehrwertsteuererhöhung aus, die v. a. Familien mit ihrem vergleichsweise hohen Bedarf an Verbrauchsgütern belasten würde. Je nachdem, wie stark die FDP aus den Bundestagswahlen hervorgeht und ob sie an der Regierung beteiligt sein wird, sehe ich also durchaus Chancen, daß die FDP zusammen mit Prof. Kirchhof ihre Vorstellungen einer Steuerreform ohne Mehrwertsteuererhöhung auch gegen manche Widerstände aus der Union verwirklichen kann.

Zu Ihren Einzelfragen:

* Familiensplitting (wie in Frankreich)

Für die FDP ist Familie dort, wo Kinder sind. Familien müssen steuerlich entlastet werden. Weshalb Ehegatten durch das Ehegattensplitting steuerlich privilegiert werden müssen, ist nicht recht einzusehen. Der Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. 6 GG verbietet zwar, daß andere Lebensformen stärker begünstigt werden als die Ehe, aber deshalb nicht, daß Ehen gegenüber anderen Lebensformen begünstigt werden müssen. Eine Gleichstellung zwischen Ehe und anderen, nichtehelichen Lebensformen, steht im Einklang mit Art. 6 GG. Deshalb spricht sich die FDP für eine Abschaffung des Ehegattensplittings aus. Das FDP-Modell zur Einkommenssteuerreform sieht hingegen einen Steuerfreibetrag von 7.700 Euro für jede im Haushalt lebende Person, d. h. für beide Ehegatten und für jedes Kind vor (Kirchhof-Modell: 8.000 Euro). Das heißt, daß beispielsweise bei einer vierköpfigen Familie die ersten 30.800 Euro steuerfrei sind. Für ein darüber hinausgehendes Jahresbruttoeinkommen von 15.000 Euro gilt ein Steuersatz von 15 %. Auf weitere 25.000 Euro Jahresbruttoeinkommen wird ein Steuersatz von 25 % angewandt. Erst danach greift der Spitzensteuersatz von 35 % ein. (Kirchhof-Modell: einheitlicher Steuersatz von 25 %, allerdings werde auf einer ersten Stufe nur 60 % des Einkommens versteuert, auf einer zweiten Stufe 80 % des Einkommens und erst auf einer dritten Stufe 100 % des Einkommens.) Beide Modelle sehen demnach die Abschaffung des Ehegattensplittings und statt dessen die Einführung eines Familiensplittings vor, außerdem die Abschaffung aller 418 Ausnahmetatbestände des deutschen Einkommenssteuerrechts. Damit wird das Steuerrecht transparent und durchschaubar. Jeder Bürger kann seine Steuern selbst ausrechnen. Hermann-Otto Solms hat eine Steuererklärung auf einem DIN-A 4-Blatt entworfen, die Sie übrigens, zusammen mit anderen Informationen zum Einkommenssteuermodell der FDP, meiner Website http://www.thomae.fdp-kempten.de entnehmen können.

* Echte Wahlmöglichkeit für Frauen und Männer in Bezug auf Erziehung und/oder Beruf

Die Frage ist etwas unpräzis formuliert, wie ich finde. Zum einen muß ich offen gestehen, daß ich die Vorschläge von Herrn Prof. Kirchhof hierzu nicht kenne. Doch unabhängig davon: Gibt es denn jemanden, der gegen die Wahlmöglichkeit wäre? Wenn Sie allerdings einen Unterschied zwischen "Wahlmöglichkeit" und "echter Wahlmöglichkeit" sehen, dann müßte ich Sie bitten, zunächst zu erläutern, worin Sie den Unterschied sehen und weshalb Sie meinen, daß keine "echte" Wahlmöglichkeit bestehe. Erst dann kann ich auch eine konkrete Stellungnahme abgeben.

* Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht

Auch hier weiß ich, offen gestanden, nicht, welche Vorschläge Herr Prof. Kirchhof macht. Allgemein ist zu sagen, daß Kindererziehungszeiten anerkannt werden und dies auch der Beschlußlage der FDP entspricht. Wenn Sie hier noch Defizite sehen, müßten Sie erläutern, was nach Ihrer Auffassung noch unbefriedigend ist.

* Achtung des Elternrechts auf Erziehung nach Art. 6 GG

Wiederum kenne ich Herrn Prof. Kirchhofs Vorschläge dazu nicht. Ich wußte gar nicht, daß er sich auch damit eingehend befaßt hat. Leider läßt für mich auch diese Frage nicht erkennen, was Sie wissen wollen und weshalb Sie meinen, daß das Elternrecht auf Erziehung mißachtet würde. Natürlich könnte ich, als Vater zweier Kinder, eine ganze Menge allgemeinen Dinge über das Elternrecht auf Erziehung schwadronieren, aber ich fürchte, daß Ihre Frage trotzdem nicht beantwortet wäre. Allgemein kann ich dazu wieder sagen, daß wir als Liberale natürlich der Auffassung sind, daß der Staat sich aus Erziehungsfragen herauszuhalten hat, sofern nicht elementare Menschenrechte und die Menschenwürde von Kindern mißachtet werden.

* Stellvertretendes oder tatsächliches Wahlrecht für Eltern und/oder Kinder zur Beseitigung der strukturellen Benachteiligung von Familien (nur ca. 25 % der Wählerstimmen fallen auf Eltern)

Von Vorschlägen Prof. Kirchhofs hierzu ist mir ebenfalls nichts bekannt. Allerdings hat Klaus Haupt, Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion, in der letzten Legislaturperiode einen übrigens fraktionsübergreifenden Antrag zur Änderung des Bundeswahlgesetzes eingebracht, um Eltern für jedes Kind zusätzlich zur ihrer eigenen Wählerstimme eine weitere Wählerstimme - d. h. jedem Elternteil eine zusätzliche halbe Stimme - zu geben. Ich wollte Klaus Haupt in diesem Jahr zum Liberalen Club nach Kempten einladen, um diesen Vorschlag hier in Kempten zu diskutieren. Wegen einer sehr schweren Erkrankung der Ehefrau von Klaus Haupt und dann wegen der vorgezogenen Neuwahlen, die alle Zeitplanung durcheinanderbrachte, kam es dazu jetzt nicht mehr, aber ich möchte den Liberalen Club zu diesem Thema auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Allerdings gestehe ich, daß ich selbst noch gewisse Vorbehalte gegen diesen Vorschlag habe. Ich selbst kann mir nicht vorstellen, wie ich mich verhalten würde, wenn meine eigenen Kinder selbst politische Meinungen entwickeln, die sich von meinen eigenen abweichen. Soll ich dieses Wahlrecht dann nach meinen eigenen Vorstellungen ausüben oder soll ich mir von meinen Kindern vorschreiben lassen, wie ich das Elternwahlrecht ausübe? Der Vorschlag erscheint mir, offen gestanden, noch etwas unausgegoren.

* Abbau der Demokratiedefizite (siehe Eltern/Kinder) durch stärkere Betonung direkter Abstimmungen in der BR Deutschland

Welche Vorschläge Herr Prof. Kirchhof hierzu macht, konnte ich ebenfalls nicht herausfinden. Die FDP spricht sich jedenfalls bekanntlich für eine Stärkung plebiszitärer Elemente im Verfassungsleben aus. Als konkretes Beispiel sei genannt, daß die FDP-Bundestagsfraktion (sogar zweimal) im Bundestag beantragt hat, eine Volksabstimmung Über die Ratifizierung des Europäischen Verfassungsvertrages durchzuführen. Beide Male haben alle anderen Bundestagsfraktionen den Antrag abgelehnt.

* Büchergeld, Studiengebühren, Berufsgebühren, Kindertagesstätten-Gebühren, usw.

Auch dazu konnte ich in Herrn Kirchhofs Konzept nichts finden.
Die FDP spricht sich für die Gebührenfreiheit der Kindergärten (zumindest aber eines verpflichtenden letzten Kindergarten- bzw. Vorschuljahres) und der Schulen (und damit gegen Büchergeld) aus, allerdings für die Einführung von Studiengebühren durch die Hochschulen selbst (d. h. nicht durch den Staat). Die Gebührenpflichtigkeit der Kindergärten hält viele Familien mit schwachem Einkommen davon ab, ihre Kinder in den Kindergarten zu geben. Damit starten gerade Kinder aus sozial schwachen Familien mit einem Nachteil in die Schule, denn in den Kindergärten wird bereits ein schulvorbereitendes Bildungsprogramm praktiziert. Nachteile in den ersten ein, zwei Grundschuljahren, sind aber für viele Kinder nicht mehr einzuholen. Damit werden Bildungsschranken und somit letztlich soziale Schranken verfestigt.

Im Gegensatz dazu ist es nicht einzusehen, weshalb das Hochschulstudium immer noch gebührenfrei ist. Hochschulen werden in Deutschland zu 80 % von Kindern besucht, deren Eltern selbst bereits eine akademische Ausbildung genossen haben und tendenziell eher höhere Einkommen haben. Das heißt, daß das Studium der Kinder reicherer Eltern subventioniert wird aus Steuermitteln, die von allen Steuerzahlern erbracht werden, also aus Steuerzahlern mit niedrigerem Einkommen. Weshalb das als sozial gerecht empfunden wird, ist mir nie klar geworden. Es ist geradezu paradox, daß die FDP, der so gern soziale Kälte vorgeworfen wird, sich dafür stark macht, daß die Kinder der Reichen ihr Studium bitte selbst zahlen sollen, während die korporatistischen Parteien die Gebührenfreiheit des Studiums der Kinder reicher Leute verlangen.

* Dann eine letzte Frage im Blick auf Ihre Glaubwürdigkeit: Haben Sie selbst eine Familie oder sind Sie wie Westerwelle, Merkel, Wowereit, Roth, Fischer und im Grunde auch Herr Schröder kinderlos?

Wir haben zwei Kinder im Alter von vier Jahren und einem Jahr. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, daß nur Eltern in familiepolitischen Fragen glaubwürdig sind. Auch Kinderlose vertreten in meinen Augen oft glaubwürdig familienpolitische Positionen. Von einer "Bestrafung" Kinderloser oder einer systematischen Benachteiligung halte ich nichts, davon allein hätten Familien auch noch nichts. Für Kinderlosigkeit gibt es viele Ursachen. Manche Paare können aus medizinischen bzw. biologischen Gründen keine Kinder bekommen, manche Menschen finden einfach nicht den richtigen Partner, der ebenfalls "Ja" zu Kindern sagt, wieder andere sehen sich auch beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen daran gehindert. Aber im Grunde braucht sich niemand dafür zu rechtfertigen, ob er Kinder hat oder nicht. Wenn sich jemand aus welchen Gründen auch immer gegen Familie entscheidet halte ich mich nicht für berechtigt, das moralisch zu bewerten. Dies ist für mich als Liberalen Ausdruck eines Lebensentwurfes, den ich respektiere, auch wenn ich persönlich mich anders entschieden habe.

Mit freundlichen Grüßen

Stephan Thomae

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