Frage an Ute Vogt bezüglich Verkehr

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Ute Vogt
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Frage von Jens I. •

Frage an Ute Vogt von Jens I. bezüglich Verkehr

Eilverfahren? Grundgesetzänderung zur Autobahnprivatisierung am Donnerstag, 01.06.2017 in 2. und 3. Lesung im Bundestag am Freitag, 02. Juni 2017

Es gibt bereits Teilstücke von Autobahnen und Straßen, die privat betrieben werden und/oder durch ÖPP finanziert und betrieben werden.

Verstoßen diese etwa derzeit gegen das (noch geltende) Grundgesetz?
1. Falls ja, müsste dieses Praxis schnellstmöglich gestoppt werden (oder vielleicht nachträglich legalisiert werden, so wie beim BND-Gesetz geschehen?)

2. Falls nein, welchen Grund gibt es dann, jetzt im Eilverfahren das Grundgesetz zu ändern, wenn es nicht darum geht, auf Verfassungsniveau Hintertürchen zu schaffen und weiterreichende Privatisierungen zu ermöglichen? Warum sollte ein solcher Aufwand in einer solchen Eile betrieben werden?

Es fällt mir keine andere Erklärung ein, als dass hier Tatsachen geschaffen werden sollen, bevor die Parteibasis ein umdenken bewirken kann.

Mir ist jedenfalls klar, dass eine SPD, die den Ausverkauf des Tafelsilbers aus der Daseinsvorsorge mit betreibt (und das anscheinend auch noch trickreich), den ersten Buchstaben ihres Namens nicht mehr verdient, sondern zu einem Mehrheitsbeschaffungsanhängsel der Union geworden ist.

Ich möchte mein verlorenesn Vertrauen nicht dazu nutzen, rechtspopulistische Parteien durch meine Wählerstimme zu stärken, aber der SPD kann ich so unmöglich meine Stimme geben.

Mit freundlichen Grüßen,

Jens Intorp

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Intorp,

da Sie sich am 31. Mail auch direkt per E-Mail am mich gewandt hatten und ich Ihnen direkt am 1. Juni geantwortet habe, stelle ich hier meine damalige Antwort ein.

Viele Organisationen und vereinzelt auch Journalisten sind derzeit bei diesem Thema mit fragwürdigen Argumenten unterwegs. Gerne nutze ich daher die Gelegenheit, Ihnen den Sachverhalt aus meiner Sicht zu erläutern.

Durch die geplante Änderung im Grundgesetz wird eine Privatisierung effektiv verhindert. Dies ist ein großer Verhandlungserfolg der SPD-Bundestagsfraktion. Die derzeit geltende Fassung des Art. 90 unseres Grundgesetzes erlaubt Projekte in öffenlich-privater Trägerschaft (ÖPP) bereits - und dies ohne jegliche Begrenzung. ÖPPs sind auf Deutschlands Autobahnen Realität, wie die Beispiele der A1 von Bremen nach Buchholz, der A4 zwischen Gotha und Eisenach, der A5 zwischen Baden-Baden und Offenburg, der A7 zwischen Göttingen und Salzgitter oder der A8 zwischen Augsburg und München zeigen. Die Verkehrsminister Ramsauer und Dobrindt haben in der Vergangenheit diese Lücke jedenfalls genutzt und insgesamt 11 solcher Projekte in Deutschland umgesetzt. Und dies vollkommen rechtmäßig und ohne Beteiligung des Parlaments. Wer also am 1. Juni mit NEIN gestimmt hat , hat für den Status Quo der Auftragsverwaltung gestimmt, was künftig die Anzahl dieser ÖPP-Projekte weiter erhöht hätte, weil dann die jetzige Rechtslage bestehen geblieben wäre.

Vieles, was bislang bei der Einbeziehung privater Betreiber und institutioneller Investoren rechtlich möglich gewesen wäre, ist jetzt erstmals rechtlich ausgeschlossen. Manche Kritiker und manche Kampagne hat absurderweise gerade uns als SPD in den letzten Wochen unterstellt, mit den Grundgesetz-Änderungen würden wir die Türen für eine Privatisierung öffnen. Das Gegenteil ist richtig! Wir schließen Türen, die bislang offen standen. Dies bestätigt uns auch ganz aktuell der Bundesrechnungshof, der das Gesetzgebungsverfahren mit mehreren Berichten begleitet hat.

Künftig werden Einzelprojekt-ÖPPs zwar weiter erlaubt sein, aber diese ÖPP wären immer nur dann erlaubt, wenn sie wirklich wirtschaftlicher wären als die herkömmliche Projektumsetzung. Am Beispiel der österreichischen Autobahngesellschaft ASFINAG sehen wir, dass dort kein einziges ÖPP-Projekt durchgeführt wird, obwohl es rechtlich möglich wäre. Weiterhin - und dies ist sehr wichtig - bleibt ÖPP auf Einzelprojekte unter 100 km beschränkt. Und es ist zudem durch die von uns durchgesetzte Grundgesetz-Änderung dauerhaft verboten, ein ÖPP-Projekte an das andere zu setzen. Damit wird vermieden, dass irgendwann möglicherweise wesentliche Teile des Autobahnnetzes oder des Bundesstraßennetzes in einem Bundesland als ÖPP betrieben werden könnten.

Außerdem wird die Gesellschaft jetzt zu 100 Prozent staatlich über den Bundeshaushalt finanziert. Sie kann KEINE Kredite aufnehmen und weder mittelbar noch unmittelbar Beteiligungen von Privaten erlauben. Die Kontrolle der Gesellschaft wird künftig durch den Bundesrechnungshof sichergestellt. Damit werden auch wir Abgeordnete den Betrieb und sämtliche Investitionen und Aufträge in Zukunft eher besser kontrollieren und steuern können als heute.

Um das zu schaffen, hat die SPD die eigentlich bereits für den 19. Mai vorgesehene Beschlussfassung in 2./3. Lesung im Bundestag blockiert, um sich bei diesen strittigen Punkten durchsetzen zu können.

Ich habe Ihnen hier die Veränderungen am Regierungsentwurf zusammengefasst, die jetzt dem Parlament zur Zustimmung vorlagen, um eine mögliche Privatisierung der Autobahnen „durch die Hintertür“ zu verhindern:

1
„Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und möglichen Tochtergesellschaften ist ausgeschlossen.“ Dies wird verfassungsrechtlich und einfach gesetzlich geregelt.

2
Eine funktionale Privatisierung durch die Übertragung eigener Aufgaben der Gesellschaft auf Dritte, z.B. durch Teilnetz-ÖPP, wird ausgeschlossen. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird dazu der Satz eingefügt: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“

3
Eine Übertragung von Altschulden auf die Gesellschaft wird ausgeschlossen.

4
Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Damit ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen gebannt. Um effizient wirtschaften und „atmen“ zu können, kann die Gesellschaft aber Liquiditätshilfen (zinslose Darlehen) aus dem Bundeshaushalt erhalten - wie andere Bundesgesellschaften auch.

5
Das wirtschaftliche Eigentum an den Fernstraßen geht nicht an die Gesellschaft über, sondern bleibt beim Bund. Die Übertragung und die Überlassung von (Nießbrauch-)Rechten werden ausgeschlossen.

6
Mautgläubiger bleibt der Bund (für Lkw-Maut und Pkw-Maut). Die Option, dass die Gesellschaft das Mautaufkommen direkt vereinnahmen kann, ist gestrichen. Die zweckgebundenen Einnahmen (Lkw-Maut, Pkw-Maut) fließen der Allgemeinheit wie bisher über den Bundeshaushalt zu.

7
Das Verkehrsministerium kann Befugnisse und Aufgaben der Gesellschaft und des Fernstraßen-Bundesamtes nur dann auf andere vom Bund gegründete Gesellschaften übertragen, wenn diese im ausschließlichen Eigentum des Bundes stehen.

8
Spartengesellschaften sind ausgeschlossen. Zur Herstellung der Präsenz in der Fläche kann die Gesellschaft aber bedarfsgerecht bis zu zehn regionale Tochtergesellschaften gründen, die denselben Restriktionen unterliegen wie die Muttergesellschaft.

9
Die Gesellschaft wird als GmbH errichtet. Die Evaluationsklausel, die eine einfache Umwandlung zur AG ermöglicht hätte, wird gestrichen.

10
Der Gesellschaftsvertrag (= Satzung) der GmbH und wesentliche Änderungen bedürfen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.

11
Eine unabhängige externe Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gesellschaft sowie möglicher Töchter wird sichergestellt, indem entsprechende Prüfrechte des Bundesrechnungshofes verankert werden.

12
Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf Verkehrsinvestitionen bleiben vollumfänglich erhalten.

13
Der fünfjährige Finanzierungs- und Realisierungsplan für Verkehrsinvestitionen der Gesellschaft bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages (während dieser 5-Jahresplan nach heutigem Recht den Ausschüssen vom Verkehrsministerium nur „zur Kenntnis“ und damit ohne Zustimmungsvorbehalt vorgelegt wird).

Nun wird in verschiedenen Berichten noch die Gefahr beschrieben, dass „unter einer möglichen schwarz-gelben Koalition“ genau diese gesetzlichen Restriktionen, die wir heute für diese „Autobahngesellschaft“ beschließen, ausgehebelt werden könnten. Das stimmt nur teilweise. Die wichtige Grundgesetzänderung braucht eine 2/3 Mehrheit. Somit sind die Grundsätze auf alle Fälle gesichert. Bei den normalen gesetzlichen Regelungen verhält es sich allerdings wie bei jedem anderen Gesetz auch. So konnte eine schwarz-gelbe Regierung eben leider auch die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke beschließen und dies nur wenige Monate vor Fukushima. Nur dadurch wurden den vier Energiemonopolisten Klagemöglichkeiten auf milliardenschweren Regress nach der Energiewende eröffnet. Man kann eben leider nicht grundgesetzlich ausschließen, dass künftige Regierungen folgenschwere negative Entscheidungen für die Menschen treffen - aber dafür gibt es Wahlen. Es liegt in der Demokratie und damit auch in der Verantwortung der Wählerinnen und Wähler, wem sie ihre Stimme geben. Aktuell soll Schwarz-Gelb im Bund in den Umfragen der Demoskopen eine Mehrheit haben - helfen Sie mit, dass sich das bis zum 24. September 2017 ändert!

Herzliche Grüße
Ute Vogt