Frage an Uwe Kekeritz bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Portrait von Uwe Kekeritz
Uwe Kekeritz
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Uwe Kekeritz zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Jürgen O. •

Frage an Uwe Kekeritz von Jürgen O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Kekeritz,

wie stehen Sie zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan?
Warum muss dort unsere Sicherheit verteidigt werden?
Ist es nicht so, dass der Krieg in Afghanistan eher den westlichen Hegemonialinteressen (strategisch günstiger Truppenstandort zu den Ölländern und zu China und Russland) denn einer wirklichen Befriedung und Schaffung von demokratischen Strukturen dient?
Was müsste Ihrer Ansicht nach geschehen, um diese Region zu befrieden?

Und noch eine Frage zur Sicherheitspolitik: Halten Sie die Angriffsdokrin der Nato, die es seit 1999 gibt und die ja auch praktiziert wird, für vereinbar mit dem Deutschen Grundgesetz und den Genfer Konventionen?

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Osterlänger

Portrait von Uwe Kekeritz
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Osterlänger,

1. Wie stehen Sie zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan?

Ich lehne den Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan ab.

Für mich war es von Anfang ein Fehler, nach dem 11.09.2001, den Anschlägen auf das World Trade Center in den USA, sich mit der Anti-Terror-Strategie der Bundesregierung an den "Krieg gegen den Terror" der Bush-Regierung zu binden.

Betrachten wir die Entwicklung in Afghanistan seit dem Einmarsch der deutschen Truppen Ende 2001 bis heute kann festgestellt werden, dass sich die Gewaltspirale immer schneller und brutaler dreht und eine Ausweitung des Krieges auch auf den vormals relativ friedlichen Norden (Kundus) stattgefunden hat. Die Menschen in Afghanistan haben das Vertrauen verloren, auch deswegen weil eine Unterscheidung der "Operation Enduring Freedom" (OEF) der Amerikaner vom UN-Mandat "International Security Assistance Force" (ISAF) nicht mehr möglich ist. Bewirkt wurde das durch Luftangriffe der ISAF-Truppen auf Taliban unter Inkaufnahme ziviler Opfer und durch den Einsatz von Aufklärungsflugzeugen der Bundeswehr (Tornado-Einsatz).

Die Voraussetzungen für den Einsatz friedlicher und ziviler Maßnahmen sind heute faktisch kaum noch möglich.

Ein weiterer Grund für meine Ablehnung ist, dass die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung die ausländische Militärpräsenz stets abgelehnt hat.

Ebenso haben Mitarbeiter des zivilen Wiederaufbaus für ihre Entwicklungshelfer die Sicherung ihres Einsatzes nicht beansprucht, sondern die direkte Einbindung in militärische Strategien stets abgelehnt.

2. Warum muss dort unsere Sicherheit verteidigt werden?

Die nationale Sicherheit muss weder in Afghanistan noch in irgendeinem
anderen Land der Welt verteidigt werden.

3. Ist es nicht so, dass der Krieg in Afghanistan eher den westlichen Hegemonialinteressen (strategisch günstiger Truppenstandort zu den Ölländern und zu China und Russland) denn einer wirklichen Befriedung und Schaffung von demokratischen Strukturen dient?

Der Hunger der westlichen Industrieländer nach Energie und damit nach Ressourcen wie Erdöl und Erdgas spielen in Afghanistan eine große Rolle. Das Land hat selbst wenig eigene Vorkommen, ist jedoch als Transitland strategisch von Bedeutung, z.B. um Erdgas aus der Gegend des südlichen kaspischen Meeres unter Umgehung des Iran an die Küste zu bringen. Das in Afghanistan verflüssigte Erdgas ist damit für den Export nach Amerika geeignet und kann somit dem Zugriff Chinas und Russlands entzogen werden.

Dr. Matin Baraki schreibt dazu in einem Interview (aus IPPNWforum, Heft
85/2004):
"Afghanistan war stets Opfer seiner geostrategischen Bedeutung. Stellen sie sich nur mal die Karte von Afghanistan vor. Rings um Afghanistan: Iran, ein Öl exportierendes Land, Mittelasien, der Kaukasus, der indische Subkontinent und wir sich auch nicht weit entfernt von Irak oder dem Nahen Osten, wo die meisten Ölquellen sind. Die Bedeutung Afghanistans rührt von der geostrategischen Lage dieses Landes her."

Und weiter: "Man hat von Anfang an keine friedliche Konfliktlösung gesucht, sondern nach militärischen Konfliktlösungen und das ist ein falscher Weg."

Leider wurde dieser Weg eingeschlagen. Es hat sich gezeigt, dass der kriegerische Weg zu immer schwerwiegenderen Konflikten und der Ausweitung des Kriegs führt. Damit fließen wichtige Ressourcen und finanzielle Mittel statt in zivilen Wiederaufbau in Aufrüstung und Militär.

In der Folge hat eine weitere Destabilisierung der gesamten Region stattgefunden, vor allem in der Nachbarschaft Afghanistans in Pakistan und Iran.

Die Ziele, den islamistischen Terrorismus einzudämmen oder die Befriedung des Nahen Ostens wurden verfehlt.

4. Was müsste Ihrer Ansicht nach geschehen, um diese Region zu befrieden?

Nach mehr als 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg in Afghanistan und der damit verbundenen Destabilisierung des Landes und der Region und der wirtschaftlichen Not, muss eine umfassende Transformation zu Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft angestrebt werden.

Mögliche Schritte:
- Einberufung einer demokratischen Loja Dschirga in Afghanistan, die nicht unter dem Kommando westlicher Militärs steht oder der Warlords, der Drogenmafia oder der Neo-Taliban, die mit Gewalt oder Stimmenkauf dorthin kommen.

- Bewährte Friedensarbeit braucht viel mehr Geld, z.B. der bewährte Einsatz von zivilen Friedensfachkräften im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes, die mit traditionellen Ratsversammlungen zusammenarbeiten und den Aufbau demokratischer Dorfräte fördern.

- Der zivile Wiederaufbau muss mit sehr viel größerem finanziellem Einsatz die eindeutige Priorität vor dem militärischen Einsatz bekommen. Zivile Aufgabenstellungen müssen durch zivile Kräfte vorangetrieben werden.

- Die Entwicklungspolitik muss sich nach den wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen der zivilen afghanischen Bevölkerung richten und nicht nach den Interessen der westlichen Besatzungsmächte.

5. Sicherheitspolitik: Halten Sie die Angriffsdoktrin der Nato, die es seit 1999 gibt und die ja auch praktiziert wird, für vereinbar mit dem Deutschen Grundgesetz und den Genfer Konventionen?

Um was geht es in dieser Frage:
Es handelt sich um ein (nicht mehr) neues strategisches Konzept der Nato, beschlossen im April 1999 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs im Nato-Rat in Washington.

Es geht u.a. um "Krisenbewältigungen" bis zu "militärischen Krisenreaktionseinsätzen" und zwar außerhalb des im Nato-Vertrag ursprünglich abgegrenzten Bündnisgebietes.

Damit besteht die Möglichkeit der militärischen Nato-Einsätze "out of area" ohne Legitimation der Vereinten Nationen.

Aus meiner Sicht wurde damit der Grundstein gelegt für den "Kampf gegen den Terror", der aus völkerrechtlicher Sicht nicht akzeptiert werden kann.

Die von den USA nach dem 11. September geführten militärischen Interventionen in erster Linie in Afghanistan und der dazu eingeforderte Bündnisfall, hätte seitens der Bundesrepublik nicht automatisch zum Einsatz der Bundeswehr führen müssen. Die Mitgliedstaaten in der Nato können über ihr militärisches Engagement frei entscheiden.

Das Grundgesetz gibt im Rahmen des "Verteidigungsfalles" eindeutige Vorgaben und zwar in Art 115 a GG Abs 1 und 2. Ob nun der Terrorakt des 11.09.2001 in den USA den Verteidigungsfall im Bundesgebiet rechtfertigen, darüber hat der Bundessicherheitsrat entschieden. Diese Entscheidung erfolgte meines Erachtens nach nicht nach den Vorgaben des Grundgesetzes.

Die Frage nach den Genfer Konventionen als humanitäres Völkerrecht würde sich nicht stellen, wenn die Welt friedlich wäre und es keine Kriege gäbe, bräuchten wir die Genfer Konventionen nicht. Die Genfer Konventionen treten ja erst in Kraft im Falle von Krieg, bzw. kriegerischen Handlungen zwischen Völkern oder innerhalb einer Nation. Sie sind insofern ein wichtiger Bestandteil des Völkerrechts, als sie Verhaltensregeln enthalten, die sowohl die Soldaten, Kriegsgefangene als auch die Zivilisten in Kriegszeiten vor unzulässigen Gewalttaten schützen soll.

Gäbe es keine Kriege, bräuchte man die Genfer Konventionen auch nicht.

Darauf zielt einer meiner Schwerpunkte, die ich mir vorgenommen habe für die Arbeit im Deutschen Bundestag nämlich die Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen in der globalisierten Welt. Damit wird die Grundlage geschaffen, Terror und Kriege zu reduzieren, die heute schon Verteilungskämpfe um natürliche Lebensgrundlagen darstellen. Ebenso werde ich mich für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen, das Atomwaffenarsenal der Nato muss abgebaut werden. Neben der nuklearen Abrüstung muss die konventionelle Rüstungskontrolle konsequent eingefordert werden, die Wehrpflicht abgeschafft und Prestigeprojekte wie das Raketenabwehrsystem MEADS oder die dritte Tranche des Eurofighters unterbleiben und damit hohe Militärausgaben eingespart werden. Massenvernichtungswaffen und der Einsatz von Streumunition und Minen ebenso wie der Einsatz abgereicherter Uranmunition muss weltweit geächtet werden und ein internationales Verbotsabkommen erreicht werden.

Mit freundlichen Grüßen,
U. Kekeritz