Ist es nicht Zeit anzuerkennen, dass das von den blockfreien Staaten Indien und Jugoslawien unterstützte UN-Minderheitsvotum von 1947 der einzig gangbare Weg zur Lösung des Palästina-Konfliktes ist?
Sehr geehrter Herr Ahmetovic, der UN-Teilungsplan hat nichts gebracht außer zusätzlichen Opfern auf beiden Seiten und zusätzlichen Hass, die schon 1947 von Indien und Jugoslawien geäußerten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Das Gegenteil davon sehen wir in Ruanda. Nach dem Genozid mit über 1 Million Opfern hat Präsident Kagame es durch "kwibuka", d.h. "sich (an die Opfer) erinnern" geschafft, die Gesellschaft weitgehend zu befrieden. Daher meine o.g. Frage. Freundliche Grüße, Bettina M.
Sehr geehrte Frau M.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht. Sie sprechen zwei große Themen an: den UN-Teilungsplan von 1947 samt dem damals vorgelegten Minderheitsvorschlag (föderaler/bi-nationaler Staat) und die Frage, ob Versöhnungsprozesse wie in Ruanda übertragbar sind. Gerne möchte ich mit Ihnen meine Gedanken dazu teilen.
Wie Sie vollkommen zurecht schreiben, lag neben dem Mehrheitsvorschlag zur Teilung 1947 ein Minderheitsplan für einen föderalen Staat vor, der von Indien, Iran und Jugoslawien unterstützt wurde. Sein Kern: ein gemeinsamer Staat von Arabern und Juden mit gleichen Rechten, erhaltener wirtschaftlicher Einheit und voller repräsentativer Teilhabe aller Bürger. Der Plan argumentierte gegen die Teilung und setzte darauf, dass Kooperation unter festen Rahmenbedingungen wachsen kann. Historisch scheiterte er jedoch an fehlender Akzeptanz der maßgeblichen Akteure, Sicherheitsfragen und Umsetzungsmechanismen.
Zu Ihrem Vergleich mit dem Genozid in Ruanda: Ruandas „kwibuka“ steht für in erster Linie für Erinnerung, umfasst aber auch die Anerkennung von Leid, Rechenschaft und die Wiedereingliederung; Elemente, die jeder Friedensordnung guttun.
Die Kontexte beider Kriege sind von Grund auf verschieden. Während der Völkermord in Ruanda primär innerstaatlich war, ist der Nahostkonflikt ist ein seit Jahrzehnte andauernder Konflikt mit regionalen Dynamiken.
Daher bleibt für meine politische Arbeit das konsequente Vorantreiben der Zwei-Staaten-Lösung das primäre Ziel: eine friedliche Koexistenz zweier souveräner und lebensfähiger Staaten, Israel und Palästina. Jeder ernsthafte Friedensvorschlag muss diesen Pfad konkret stärken, mit Sicherheitsgarantien für Israel, verlässlichen Institutionen auf palästinensischer Seite und klaren Reformschritten.
Ermutigend ist, dass die Palästinensische Autonomiebehörde diese Perspektive zuletzt unterstützt hat. Auch der Friedensplan der US-Regierung bekennt sich unter der Bedingung einer reformierten Palästinensischen Autonomiebehörde zur Zwei-Staaten-Lösung. Hieran sollten wir weiter anknüpfen.
Es ist gut, dass eine diplomatische Lösung nun greifbarer wird – bei der nicht nur die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen beendet werden kann, sondern auch die Geiseln freikommen und die Hamas entmilitarisiert wird. Entscheidend ist, dass alle Seiten sich strikt an Völkerrecht und vertragliche Absprachen halten. Dazu gehört zwingend, dass es keine Annexion der Westbank geben darf. Angesichts der bitteren Erfahrungen der letzten Monate ist allerdings weiterhin Skepsis angebracht. Daher brauchen wir unverzüglich internationalen Druck und eine starke Rolle der UNO und anderer Vermittler, damit die vereinbarten Ziele glaubwürdig und schnellstmöglich erreicht werden. Deutschland und Europa müssen jetzt im diplomatischen Raum aktiv werden, um diesen Wendepunkt zu sichern.
Gern bleibe ich dazu im Austausch.
Mit freundlichen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB
