Frage an Agnieszka Brugger bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas S. •

Frage an Agnieszka Brugger von Thomas S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Frau Brugger,

Seit Jahren leiden Menschen, darunter ein hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen in Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln unter inhumanen Lebensbedingungen. In Moria ist zwischenzeitlich das dortige Lager abgebrannt. Die griechische Regierung hat ein neues Zeltlager errichtet, das aber den Herausforderung des aktuellen Winters in keinster Weise gerecht wird. Die Bewegungsfreiheiten der Asylsuchenden wurden weiter eingeschränkt und für die Presse ist es unmöglich ins Innere des Camps zu gelangen.

https://www.arte.tv/de/videos/094279-173-A/asylsuchende-auf-lesbos-das-neue-moria-ist-schlimmer-als-das-alte/

Bundesentwicklungsminister Müller prangert die Lage im Lager Kara Tepe auf der Insel Lesbos an. Babys müssen dort gegen Tetanus geimpft werden, weil sie in nassen Zelten von Ratten gebissen werden.

https://www.sueddeutsche.de/panorama/kara-tepe-moria-lesbos-fluechtlingslager-1.5153097

Geflüchtete in Bosnien hungern und frieren in den dortigen Lagern. Doch ihr Schicksal berührt laut einer Meldung der Hamburger Morgenpost die Politiker in Brüssel wenig.

"Wer sich die Situation in Bosnien oder in Griechenland anschaut, sieht neben dem Elend vor allem eins: Diese Menschen sind nicht willkommen – nicht in Bosnien und nicht in der EU. Deutlicher könnten es weder die Politik, noch die Einheimischen vor Ort machen.(...) Und genau das ist auch die Strategie der EU. Für sie ist die Flüchtlingsbewegung ein Geschäft: Sie zahlt hohe Beträge, um sich das Problem, mit diesen Menschen umgehen zu müssen, vom Hals zu halten. "

https://www.mopo.de/hamburg/meinung/gefluechtete-in-bosnien-untaetige-mittaeter--eu-geld-kann-tatenlosigkeit-nicht-verdecken-37892362?dmcid=push

Kümmert Sie Frau Brugger, die prekäre Situation der Flüchtlinge?

Wie gehen Sie mit den oben genannten Vorwürfen gegenüber der EU um?

Machen Sie politisch etwas um das Leiden dieser Flüchtlinge zu beenden?

Wenn ja, was machen Sie?

Viele Grüße T. S.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schüller,
vielen Dank für ihre Nachricht. Die Situation der Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen um das abgebrannte Lager Lipa in Bosnien oder auf den griechischen Inseln ist dramatisch und mehr als beschämend, denn sie verletzt nicht nur unsere europäischen Werte, sondern auch völkerrechtliche Verpflichtungen. Viele Menschen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, teils ohne sauberes Wasser, Strom, beheizte Zelte oder feste Unterkünfte, was gerade bei den eisigen Temperaturen im vergangenen Winter lebensbedrohlich war. Deshalb haben wir als Grüne auf allen Ebenen – vom Europaparlament bis zur kleinen Gemeinde eine Reihe von Initiativen ergriffen, um für mehr Aufmerksamkeit zu Sorgen und politischen Druck für konkrete Maßnahmen auszuüben.

Bereits zu Beginn der humanitären Katastrophe rund um das Lager Lipa in Bosnien haben wir uns als Grüne dafür eingesetzt, dass die Geflüchteten schnellstmöglich über ein UN-Resettlement-Programm in der EU verteilt werden. Einmal mehr haben sich nicht wenige Kommunen zur Aufnahme bereit erklärt. Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer ignoriert diese Botschaften der Solidarität immer weiter. Ähnliches gilt für die Aufnahme von Geflüchteten von den griechischen Inseln. Auch wenn die Bundesregierung hier vereinzelt Aufnahmen von besonders Schutzbedürftigen ankündigte und jedes aus diesen schrecklichen Verhältnissen gerettete Leben ein richtiger Akt ist, so bleibt es doch zu wenig und fällt hinter die Aufnahmebereitschaft einer großen Zahl an Kommunen und Bundesländern zurück. Die zahlreichen lokalen Initiativen und die Beschlüsse von Hunderten Kommunen in ganz Deutschland zeigen, dass die Gesellschaft viel weiter als diese Bundesregierung ist, die wenn überhaupt nur auf den Druck aus der Zivilgesellschaft und Opposition handelt.

In den letzten Jahren wurden unsere Anträge im Bundestag zur Aufnahme und besseren Versorgung der Geflüchteten vor Ort wiederholt von der CDU/CSU und der SPD abgelehnt. Bundesländer und Kommunen, die bereit und in der Lage sind, mehr Menschen aufzunehmen, werden von Innenminister Horst Seehofer weiter blockiert. Die Bundesregierung zögert und versteckt sich dabei immer wieder auf skandalöse Art und Weise hinter der Untätigkeit anderer EU-Mitgliedsstaaten.

· Unseren Antrag von März diesen Jahres für eine menschenwürdige Unterbringung an den europäischen Außengrenzen und faire Asylverfahren sowie die Rede meiner Kollegin Luise Amtsberg dazu finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/integration-migration-flucht/solidarische-verteilung-gefluechteter-in-europa.

· Den letzten Antrag zur verheerenden Situation in Moria finden Sie hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/226/1922679.pdf. Und unseren Antrag zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger aus dem Mittelmeerraum von März 2020 hier: https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/175/1917513.pdf.

· Als grüne Bundestagsfraktion haben wir gemeinsam mit unseren Kolleg*innen im Europaparlament immer wieder auf die schreckliche Lage von Geflüchteten auf ihren Wegen durch Europa und insbesondere auf den griechischen Inseln aufmerksam gemacht. Vor Weihnachten gab es einen fraktionsübergreifenden Appell, den 245 Abgeordnete des Deutschen Bundestages unterzeichnet haben (https://luise-amtsberg.de/weihnachtsappell-fuer-eine-humanitaere-aufnahme-gefluechteter-von-den-griechischen-inseln).

· Neben der Arbeit meiner Kollegin Luise Amtsberg kann ich darüber hinaus die Arbeit meines Kollegen aus dem Europaparlament Erik Marquardt empfehlen, die beide selbst mehrfach und länger vor Ort waren und immer wieder sehr konkret und öffentlichkeitswirksam auf die Missstände hinweisen (Link zu Homepage Erik Marquardt: https://erik-marquardt.eu/, Link zu Homepage Luise Amtsberg: https://luise-amtsberg.de/). Beide Kolleg*innen machen in beiden Parlamenten, auch mit Blick auf die hochdramatische Situation in Bosnien-Herzegowina immer wieder Druck.
Es ist zutiefst beschämend, dass sich bisher kaum etwas getan hat, während sich die Situation an den europäischen Außengrenzen weiter verschärft und das Leid der Geflüchteten sich derart vergrößert hat. . Für all diese humanitären Krisen an Europas Außengrenzen tragen die EU-Mitgliedstaaten eine Mitverantwortung. Sie müssen dringend umsteuern, um ihrer humanitären Schutzverantwortung gerecht zu werden.

Deutschland hatte im letzten Jahr in seiner Rolle mit der EU-Ratspräsidentschaft eine besondere Verantwortung. Leider hat es die Bundesregierung verpasst, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Ein neuer Vorschlag der Europäischen Kommission zur Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im September letzten Jahres befindet sich seitdem in der politischen Sackgasse. Zudem wiederholt das neue GEAS-Paket lediglich die alten Fehler des Dublin-Systems, ohne die Ankunft, Verteilung, Unterbringung und Asylverfahren für Schutzsuchende substanziell zu verbessern. Die Bundesregierung hat ihre Ratspräsidentschaft auch nicht genutzt, um endlich wieder Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten aufzubauen und einen gemeinsamen Kurs in der europäischen Flüchtlingspolitik zu ermöglichen. Es ist enttäuschend, dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, wenigstens einen Grundkonsens in den Kernfragen der europäischen Asylpolitik zu erzielen.

Wir werden uns weiter auf allen politischen Ebenen für einen umfassenden Kurswechsel in der europäischen Asylpolitik einsetzen, damit solche menschenunwürdigen Zustände endlich der Vergangenheit angehören und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihrer Verpflichtung und Verantwortung endlich gerecht werden.

Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Brugger

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