Frage an Bettina Hagedorn bezüglich Finanzen

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Bettina Hagedorn
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Frage von Anton H. •

Frage an Bettina Hagedorn von Anton H. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Hagedorn,

da es keine Möglichkeit gibt, auf abgeordnetenwatch.de eine Frage direkt an Herrn Scholz stellen, wende ich mich an Sie.

Wie Sie wissen, gibt es seit langem die Möglichkeit für Konzerne und große Industriebetriebe, Firmen Banken, inklusive der DAX-Unternehmen sowie Internetfirmen auch mit Sitz außerhalb Deutschlands, sich vom regulären Steuerzahlen zu drücken. Man nennt dies ja leider nach geltendem Recht nicht "kriminelle steuerbetrügereien", die schwere Haftstrafen nach sich ziehen, sondern euphemistisch "Steueroptimierungen".

Dabei verwenden die dafür Verantwortlichen, die ich hier ausdrücklich nicht als "kriminelle, asoziale Subjekte" abstempeln möchte, obwohl diese viele Bürger wohl dafür halten und der Justiz Untätigkeit vorwerfen gegenüber diesen und gegenüber allen Politikern, die diese Zustände nicht abschaffen, oftmal sogenannte "Scheinfirmen". Scheinfirmen sind Firmen von denen jeder, auch Politiker, allgemein weiß, dass sie keine echten Firmen, sondern Fake-Firmen sind, die ausschließlich dafür gegründet werden, um eine Firmentätigkeit vorzutäuschen, damit man sich einer legalen Steuerzahlung, ohne Täuschungsfirmen, entziehen kann.

Nun frage ich Sie, ob Sie dieses Modell nicht auch für alle Bürger einführen möchten, die beispielsweise auch in Luxemburg oder Delaware oder Panama Mietbriefkasten-Firmen-Konstrukte einrichten könnten, um damit für "Schein-Kinder" Zahlungen vom deutschen Staat zu erhalten oder für sonstige "Schein-Ausgaben" (beispielsweise für Lizenzgebühren für ihr Vornamenslogo) steuerliche Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen? Damit können einfache Bürger eben auch ihre Steuern und ihre Einnahmen "optimieren".

Dann gäbe es doch gleiches Recht für alle.

Oder setzen Sie sich dafür ein, Steuerkriminelle, die derzeit noch "Steueroptimierer" heißen, in Haft zu nehmen und "Steuertricks"/"Steueroptimierungen" mit "Scheinfirmen" zu Straftaten zu deklarieren?

Könnte man die betroffenen Firmen nicht enteignen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetewatch.de vom 14.04.2018. Finanzminister Olaf Scholz können Sie auf dieser Plattform nicht erreichen, da auf abgeordnetenwatch ausschließlich Abgeordnete zu finden sind. Insofern antwortete ich Ihnen heute ersatzweise, da ich seit Mitte März 2018 als Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium – und damit immer noch gleichzeitig als Abgeordnete für Ostholstein – für Olaf Scholz arbeite.

Wie aktuell das Thema „Steuerhinterziehung“ ist, zeigt die jüngste Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 19. April 2018. Das Parlament hat eine neue Richtlinie zur Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorfinanzierung beschlossen: EU-Bürger haben nun das Recht zu erfahren, wer die wahren Eigentümer von Briefkastenfirmen sind, die gegründet wurden, um Geld zu waschen, Steuern zu vermeiden oder Vermögen zu verstecken. Die neuen Vorschriften sollen auch die Anonymität bei Geldgeschäften im Internet verhindern, um diese Art der Terrorfinanzierung einzudämmen. Umtauschplattformen für Kryptowährungen wie „Bitcoins“ müssen künftig ihre Kunden kontrollieren, diese Plattformen müssen außerdem zugelassen oder eingetragen sein.

Die in den letzten Jahren aufgedeckten Methoden der Steuerhinterziehung sind im Deutschen Bundestag – aber auch in anderen Parlamenten – Gegenstand von Untersuchungsausschüssen gewesen, um zu verstehen, wie mittels krimineller Energie offenbar vorhandene Gesetzeslücken genutzt wurden und – vor allem – wie diese „Lücken“ erfolgreich „geschlossen“ werden können. Das kann mitunter nicht national, sondern nur international gelingen.
Denn entgegen der Behauptung in Ihrer E-Mail („…ob sie dieses Modell nicht AUCH für alle Bürger einführen möchten…“) – haben wir es bei diesen Steuerhinterziehungen nicht etwa mit bewusst von der Politik etablierten Machenschaften zu tun, sondern mit von dubiosen Kanzleien und verschiedenen Konzerne erdachten und kreierten „Geschäftsmodellen“, die mit Unterstützung bestimmter Banken und sogenannter „Steueroasen“ umgesetzt wurden.

Am 23.02.2018 habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen, dem SPD-Finanzexperten Lothar Binding in Timmendorfer Strand eine Veranstaltung unter dem Titel „Oh wie schön ist Panama – Kampf den schmutzigen Geschäften der Steuerhinterzieher“ durchgeführt. Dort informierte Lothar Binding sehr umfangreich über die Panama– und Paradise Papers sowie über so genannte „Cum-Ex-Geschäfte“. Das Besucherinteresse war enorm und spiegelte das Bedürfnis vieler Menschen deutlich wider, diese komplexen Zusammenhänge, die dem ehrlichen Steuerzahler zu Recht so viel Frust bereiten, besser zu verstehen. Ihre Enttäuschung und auch die vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Justiz, die vielfach nicht erfolgreich und scheinbar nicht hartnäckig genug diese Form der Steuerkriminalität bekämpft, ist natürlich trotzdem verständlich.

Für die SPD ist dieses Thema schon lange von besonderer Wichtigkeit: Bereits im Regierungsprogramm 2013 und im Wahlprogramm zur Europawahl 2014 fordert die SPD eine strengere Beaufsichtigung der „Helfershelfer“ der Steuerhinterzieher in den Banken und eine Verschärfung der rechtlichen Konsequenzen. Allerdings ließen sich unsere Vorstellungen nicht exakt in der großen Koalition mit der CDU/CSU umsetzen. Am 11. Dezember 2017 hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag (Drs. 19/233) zur Bekämpfung von unfairem Steuerwettbewerb innerhalb und außerhalb der EU in das Plenum des Deutschen Bundestages eingebracht, der aktuell in den Fachausschüssen des Bundestages weiter beraten wird. Das Vorhaben beinhaltet verschärfte Kriterien für unfairen Steuerwettbewerb, Mindeststeuersätze in der EU und stärkere nationale Abwehrrechte.

Auch im aktuellen Koalitionsvertrag sind diese Vorhaben festgehalten: Eine Forderung lautet z.B.: „Wir wollen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung, unfairen Steuerwettbewerb und Geldwäsche effizient und unbürokratisch im nationalen, europäischen und internationalen Rahmen bekämpfen.“ (Koalitionsvertrag S.69) Das wollen wir in den nächsten vier Jahren umsetzen!
Außerdem verabschiedete die Bundestagsfraktion in einem Antrag vom 12. April 2016 ein Maßnahmenpaket mit dem Namen: „20 Maßnahmen für die sofortige Beendigung von Steuerbetrug, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“. Dieses Papier ist auch auf der offiziellen SPD Website unter folgenden Link zu finden: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/160411-massnahmenplan-steuerbetrug-geldwaesche.pdf
Das Paket fordert vorweg die lückenlose Aufarbeitung der aufgedeckten Steuerhinterziehungsmachenschaften, die durch die „Panama Papers“ ans Licht gekommen sind. Hierzu empfiehlt es internationale, europäische und nationale (Sofort-)Maßnahmen, die heute - zu weiten Teilen - bereits erfolgreich umgesetzt sind.

An erster Stelle ist hierbei das „Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz - StUmgBG)“ (Drs. 18/11132) zu nennen, welches am 23. Juni 2017 in Kraft trat. Dadurch wurde zum einen das Bankgeheimnis aufgehoben, was Ermittlungen vereinfachen soll. Auch haben Banken durch diesen Beschluss die Pflicht „auffällige“ Transaktionen anzuzeigen, ähnlich der Anzeigepflicht bei Erbschaften. Die Finanzbehörde hat nun erweiterte Ermittlungsbefugnisse, was im Konkreten bedeutet, dass die Finanzbehörde Zugriff auf die Daten der Banken und Kunden bekommt, insbesondere um Steuerschlupflöcher zu finden. Ergänzend wurde noch eine sogenannte „Lizenzschranke“ eingerichtet, welche missbräuchliche Gewinnabsaugung durch Lizenzzahlungen ins Ausland verhindern soll.
Weiterhin haben auch die OECD-Staaten diverse Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung durchgesetzt. Unter anderem ein automatischer Informationsaustausch über Finanzkonten, an dem sich mittlerweile mehr als 100 Länder beteiligen. Zudem hat man internationale Großkonzerne verpflichtet, über ihre Gewinne, Umsätze und geleisteten Steuerzahlungen Bericht zu erstatten. Auch die Empfehlungen der OECD bezüglich der Bekämpfung von Gewinnverlagerungen und Gewinnkürzungen multinationaler Konzerne sind von der EU größtenteils bereits in europäisches Recht umgesetzt worden.

Die von Ihnen angesprochenen „Fake-Firmen“ (Briefkastenfirmen) finden sich oftmals vereinigt unter einem „Verwalter“. Bekannt sind vor allem Applesby und Mossack Fonseca. Bei Mossack Fonseca handelt es sich nach Medienberichten um den ehemals weltweit größten Anbieter von Briefkastenfirmen. Fast 40 Jahre soll die in Panama ansässige Kanzlei anonyme Briefkastenfirmen verkauft haben, oftmals ausgestattet mit einem Scheindirektor zur Verschleierung. Insgesamt sollen so mindestens 214.000 dieser Briefkastenfirmen entstanden sein – vorzugsweise in Steueroasen wie den Seychellen oder den britischen Jungferninseln. Die Veröffentlichung der Panama Papers hat jedoch das Ende von Mossack Fonseca eingeleitet! Der Skandal, die daraus hervorgehende Medienkampagne und der irreversible Imageschaden zwangen die Firma im März 2018 zur Schließung. Zudem kam es in vielen Ländern endlich zu einer weitreichenden, kritischen Debatte über Steuerhinterziehung. Der isländische Ex-Ministerpräsident Sigmundur David Gunnlaugsson und Pakistans Ex-Premierminister Nawaz Sharif verloren im Zuge der Enthüllung beispielsweise beide Ihre Ämter als Regierungschefs. Appleby indes soll der Marktführer für „Offshore-Geschäfte“ mit einem Jahresumsatz von rund 100 Millionen Dollar und rund 470 Mitarbeitern gewesen sein, die Büros in nahezu allen Steueroasen besetzten. Gegründet wurde die Firma in Hamilton, der Hauptstadt der Bermudas.

An diesem Netz aus Firmen, Direktoren und Transaktionen sind verschiedenste Akteure (Anwälte, Investoren und Banken) beteiligt. Die mangelnde Kooperation der sogenannten „Steueroasen“ veranlasste die EU zur Verabschiedung einer „Schwarzen Liste“ für Steueroasen (d.h. nicht kooperationswillige Länder) am 15. Dezember 2017. Man erhofft sich durch die Liste, die bisherigen Steueroasen durch das öffentliche Anprangern zu mehr Steuertransparenz zu bewegen. Zudem bestimmte man Kriterien für die Kooperationswilligkeit eines Landes. Zurzeit umfasst die „Schwarze Liste“ elf Länder. In der Kritik stehen zudem weitere 45 Länder, welche sich jedoch als kooperativ erwiesen. Sie landeten auf einer sogenannten „grauen Liste“.
Wie Sie sehen, geht die nationale und internationale Politik stark gegen Steuerhinterziehung und –vermeidung vor.

Viele weitere Maßnahmen sind auf dem Weg. Im Zuge dessen wäre es erfreulich, wenn Sie sich in künftigen Briefen auf einen sachlicheren und angemesseneren Tonfall besinnen würden.

Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn

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