Sind EU und NATO Kriegsparteien in der Ukraine?

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Birgit Sippel
SPD
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Frage von Heike R. •

Sind EU und NATO Kriegsparteien in der Ukraine?

Sehr geehrte Frau Sippel,
die EU und die NATO unterstützen die Ukraine gegen den Aggressor Russland,
Dazu nutzt die EU auch ihre Embargopolitik.
ABER, weder EU noch NATO sind Kriegsparteien, dass wird ganz klar betont.
Selnsky fordert, dass durch das Embargo beschlagnahmte russische Vermögen zu enteignen und der Ukraine als Reparation zu geben.
Frau Sippel, muss die EU, nach einem Frieden und Ablauf des Embargos, die Gelder wieder den Russen freigeben?
Darf die EU, als Nicht Kriegspartei, einfach Enteignen und die im Embargo beschlagnahmten Vermögenswerte der Ukraine geben?
Gibt es dafür einen internationalen Präzedenzfall?
Können wir dann nicht auch, nur beispielsweise für mein Verständnis, Saudi Vermögen beschlagnahmen, bis sie Frieden mit Jemen schließen und dann das Beschlagnahmte dem Jemen geben?
Gibt es dafür eine Rechtsgrundlage? Versucht Selensky die EU zu einer Art "Inkassoeintreiber" zu machen?
Wie ist Ihre Position zu dieser Frage? laufen dahingehende Planungen?

H. R.

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Vielen Dank für Ihre Anfrage.

Bislang gibt es kein Modell für das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Übergabe von Vermögenswerten an eine geschädigte Kriegspartei. Die europäischen Sanktionen sehen zwar das Einfrieren russischer Vermögenswerte, nicht aber die Beschlagnahme oder Übergabe vor. Politisch und moralisch kann man überlegen, ob es sinnvoll und gewollt ist, dass russische Vermögenswerte nicht nur eingefroren, sondern auch beschlagnahmt und an die Ukraine übergeben werden. Dabei ginge es um etwa 20 Milliarden Euro private und 300 Milliarden Euro staatliche Vermögenswerte. Das würde zwar bei weitem nicht reichen, um den gesamten Wiederaufbau zu finanzieren, wäre aber trotzdem ein signifikanter Beitrag.

Bei privaten Vermögenswerten müsste man im Falle einer Beschlagnahme einen Straftatbestand nachweisen, da sonst Eigentumsrechte potenziell verletzt würden. Der Besitz von Reichtum durch Russen, die dem Regime nahe stehen, ist nicht illegal. Russische Oligarchen würden vermutlich vor Gericht klagen und dadurch einen Nachweis für die Verbindung der Beschlagnahme zum russischen Angriffskrieg oder anderweitiger Kriminalität erfordern. Die EU liefe hier also Gefahr, sich zu blamieren, sollten Gerichte Beschlagnahmen rückgängig machen.

Eine weitere Idee besteht darin, die eingefrorenen Vermögenswerte aktiv zu verwalten und nur die Einkünfte und Zinsen auf das Kapital zu beschlagnahmen. Inwieweit dies möglich ist, prüft gerade eine von der schwedischen Ratspräsidentschaft gegründete EU-Taskforce.

Insgesamt bleibt es aber ein enorm großer Aufwand, privates russisches Vermögen zu beschlagnahmen und der Ertrag wäre selbst bei einer erfolgreichen vollständigen Beschlagnahmung mit etwa 20 Milliarden Euro nur ein Bruchteil dessen, was die Ukraine für den Wiederaufbau benötigt.

Auch die Beschlagnahme staatlicher Vermögenswerte ist rechtlich schwierig, denn der Grundsatz der Staatenimmunität schützt russisches Vermögen tendenziell an dieser Stelle. Theoretisch könnte das Verfahren der US-Regierung, die Reserven der afghanischen Zentralbank beschlagnahmte, damit die Taliban keinen Zugriff darauf erhielten, als Blaupause für die Verwendung russischer Vermögenswerte dienen. In diesem Fall stellte die US-Regierung das Geld unter die Kontrolle eines internationalen Gremiums bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Eine weitere Idee wäre, die Sanktionen aufrecht zu erhalten und die russischen Vermögenswerte eingefroren zu lassen, bis Russland die Ukraine entschädigt hat bzw. das Aufheben der Mechanismen an Reparationszahlungen in einem abzuschließenden Friedensvertrag zu binden.

Insgesamt muss die EU aufpassen, dass sie mit ihren Maßnahmen keinen Präzedenzfall schafft und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt wird. Für eine Beschlagnahme russischer Vermögenswerte bräuchte es deshalb eine wasserdichte juristische Begründung, denn Sanktionen und das Einfrieren von Vermögen sind als temporäre Maßnahmen gedacht.

 

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