Frage an Fabio De Masi bezüglich Europapolitik und Europäische Union

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Fabio De Masi
BSW
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Frage an Fabio De Masi von Oliver S. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrter Herr De Masi,
ich interessiere mich für ihren Standpunkte zu den DREI für mich bei der Europawahl wichtigsten EU-innenpolitischen Themen:
1. Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit,
2. Welche Grundrechte gelten für den EU-Bürger (NSA Skandal) und Zuwanderer (Aslyrechte/Außengrenzen/Frontex mit Sicherungs- aber ohne humanitären Auftrag)
3. Ausweitung der EU-Umweltpolitik und des Umweltschutzes

Ich bin bisher sehr davon enttäuscht, dass sich viele Politiker auf Nebendiskussionen einlassen und sich nicht stärker durchsetzen können, innenpolitisch zentrale Themen in den Vordergrund der Diskussion zu stellen (die Außenpolitik in Bezug auf die Ukrainekrise oder das Freihandelsabkommen wird ja häufig debattiert).

4. als vierten Punkt interessiert mich (bitte mit ja/nein antworten), ob und wie sie sich dafür einsetzen würden, dass die EU (innerhalb der nächsten 10 Jahre) selbst Steuern erheben kann und somit zu Teilen selbst ihr Budget bestimmen kann.

Besonders freuen würde ich mich natürlich, wenn sie mir zu ihren jeweiligen Vorstellungen auch ihren Eindruck schildern könnten, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie im EU-Parlament zu realisieren sind (z.B.: momentane gibt es dafür (k)eine absehbare Mehrheit).

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BSW

Sehr geehrter Herr Sinhart,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Zu Ihren Fragen:
Jugendarbeitslosigkeit: Der dramatische Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten ist unter anderem auf die Kürzungsdiktate der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zurückzuführen. Die Kürzung von Löhnen und öffentlichen Investitionen bzw. der Massenkaufkraft in Ländern wie Spanien oder Griechenland hat zu einem Einbruch der Wirtschaft, einem Anstieg der Schuldenquote (Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) sowie Massenarbeitslosigkeit geführt. In einem solchen wirtschaftlichen Umfeld werden Unternehmen weder ausbilden noch Arbeitsplätze schaffen. Jüngere Menschen sind davon besonders betroffen, weil sie häufig noch über keine hinreichenden beruflichen Qualifikationen verfügen. Wir schaffen so eine verlorene Generation in Europa, die ihr Leben nicht planen kann und häufig von der schmalen Rente ihrer Großeltern lebt.
Die Jugendgarantie über 6 Mrd. Euro bzw. etwaige Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau sind unzureichend und die gezielte Abwerbung qualifizierter Jugendlicher durch Deutschland ist zynisch. Die EU-Mitgliedstaaten haben etwa 5,1 Billionen Euro in die Rettung von Banken gepumpt. Dabei wurden nicht ausschließlich systemrelevante Bereiche wie die Einlagen von Kleinsparern oder das seriöse Kreditgeschäft besichert, sondern insbesondere Eigentümer und Gläubiger der Banken von jeder Haftung befreit.
Europas Jugend ist wirklich systemrelevant: DIE LINKE kämpft daher für Aufbauprogramme bzw. öffentliche Investitionen, die durch direkte Kredite der EZB ohne Umweg über den privaten Bankensektor sowie eine EU-weit koordinierte Vermögensabgabe auf Vermögen über eine Million Euro finanziert werden sollen. Allein das Vermögen der europäischen Millionäre übertrifft laut Credit Suisse mit 17 Billionen Euro die Staatsverschuldung aller 28 EU-Staaten von 11 Billionen Euro. Darüber hinaus benötigen wir eine Ausbildungsplatzumlage, die Betriebe entlastet die mehr tun und jene belastet, die ihrer Verantwortung zur Ausbildung von Fachkräften nicht nachkommen.

NSA-Skandal: DIE LINKE hat Schutz bzw. Asyl für Edward Snowden in der Bundesrepublik Deutschland gefordert. Snowden ist für mich ein Held, der alle Privilegien geopfert hat, um gegen die Bedrohung unserer Freiheit durch Geheimdienste zu kämpfen. CDU/CSU und SPD waren nicht einmal bereitSnowden - dem wichtigsten Kronzeugen gegen die millionenfache Bespitzelung von Bundesbürgern und 35 Regierungen - vor dem NSA-Untersuchungsausschuss anzuhören. DIE LINKE kämpft in Deutschland sowie in Europa für die Freiheit der Kommunikation, das Recht auf Privatsphäre, den Quellenschutz von Journalisten und gegen die Vorratsdatenspeicherung. Wir fordern Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen die Verantwortlichen der Spionage. So wurden Spionageaktivitäten etwa aus der US-amerikanischen Botschaft heraus betrieben, was ein Verstoß gegen geltende völkerrechtliche Abkommen darstellt und bisher ohne Konsequenzen blieb. In den genannten Bereichen des Grundrechteschutzes und der politischen sowie rechtlichen Konsequenzen gegenüber den USA ist etwa ein Land wie Brasilien viel selbstbewusster und konsequenter aufgetreten als Deutschland und weitere EU-Mitgliedstaaten. Wir fordern auch eine konsequente Aufklärung und Aussetzung der Zusammenarbeit deutscher Geheimdienste mit den US-Geheimdiensten sowie ein Ende dieser kriminellen Aktivitäten.

Flüchtlingspolitik: Kein Mensch verlässt gerne seine Heimat, Familie und Freunde. Menschen die den Tod in Kauf nehmen um zu uns zu gelangen, haben keine andere Wahl. Sie werden sich auch nicht durch Stacheldraht, Satellitenüberwachung und Patrouillenboote abhalten lassen. Mit der Dublin II Verordnung sind Flüchtlinge - unabhängig von ihren sprachlichen und familiären Bindungen - gezwungen dort Asyl zu beantragen, wo sie das erste Mal ihren Fuß auf europäisches Festland setzen. Dies bedeutet effektiv nur in Küstenstaaten wie Italien, Spanien, Malta oder Griechenland. Diese Staaten sind überfordert und in Ländern wie Griechenland herrschen völlig unhaltbare Zustände. Flüchtlingen wird effektiv mit gefängnisartiger Unterbringung gedroht, wenn sie Asyl beantragen und viele ziehen es dann vor schutzlos vor Ausbeutung in der Illegalität zu leben. DIE LINKE fordert die Abschaffung von Dublin II. Die EU hat 500 Millionen Einwohner. Es wäre ohne weiteres möglich Flüchtlinge gerecht zu verteilen bzw. Länder die mehr tun finanziell zu kompensieren und auf die Unterbringung in anonymen Massenunterkünften, die zur Ghettoisierung der Flüchtlinge beitragen und ihnen soziale Kontakte und den Aufbau einer echten Lebensperspektive verwehrt, zu verzichten. In Hamburg ergreifen wir Partei für eine großzügige Regelung gegenüber der Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge, die vom SPD-Senat verwehrt wird. DIE LINKE lehnt das Grenzsicherungsregime FRONTEX ab. Wenn ein Mensch am Frankfurter Flughafen landet, muss er seinen Pass vorzeigen und kann ggf. Asyl beantragen. Es wird aber nicht auf ihn geschossen. Genau dies passiert aber im Mittelmeer. Flüchtlinge bzw. Menschen in Seenot - darunter etliche Kinder - werden gegen internationales Seerecht durch Push-Back-Einheiten zurück ins Meer gedrängt. Die EU bzw. ihre Mitgliedsstaaten sind dabei zentrale Verursacher von Flucht über die Handels- und Fischereipolitik, Waffenexporte, Klimawandel etc. DIE LINKE will Fluchtursachen nicht Flüchtlinge bekämpfen.

In den drei voranstehend genannten Bereichen dominieren die EU-Mitgliedstaaten und die Rolle des Europäischen Parlaments ist eher beschränkt. Dies liegt an den EU-Verträgen, welche DIE LINKE abgelehnt hat und Volksentscheide hierüber eingefordert hat.

EU-Umweltschutz: Die Umweltgesetzgebung der EU ist sehr komplex und wird etwa im Rahmen der Öko-Designrichtlinien (Normen für Staubsauger, Glühbirnen etc.) maßgeblich von den Industrielobbys der EU-Mitgliedsstaaten beeinflusst. DIE LINKE hat sich unter anderem für strengere Ziele im Bereich des Klimawandels, gegen die Vorgaben bei Biosprit, gegen den Privatisierungsdruck im EU-Wettbewerbsrecht und für die Rekommunalisierungder Energieversorgung, für ein strenges Kartellrecht im Bereich der Energieversorgung und -preise, strengere Abgasnormen, die Verringerung von Verschmutzungsrechten bzw. CO 2 Zertifikaten im Rahmen des Emissionshandels, gegen Atomforschung und Fracking, für eine nachhaltige Handels-, Agrar- und Fischereipolitik, für eine zivile Energieaußenpolitik sowie für hohe Umwelt- und Verbraucherschutzstandards engagiert. Aktuell bedroht vor allem das Freihandelsabkommen mit den USA Regulierungen im Bereich des Umweltschutzes. Im Bereich der Umweltgesetzgebung hat das Europäische Parlament dann einen größeren Einfluss, wenn es sich um vergemeinschaftete Kompetenzen im Rahmen des EU-Binnenmarktes(Produktstandards u.ä.) handelt.

EU-Steuer: Für mich ist die dringendste Aufgabe im Bereich der Steuerpolitik die Beendigung des Steuerdumpings für Konzerne durch Mindeststeuern für Unternehmen bei breiten Bemessungsgrundlagen. Allerdings erteilen die EU-Verträge nur Kompetenzen im Bereich der Mehrwertssteuern. Auch das Budgetrecht des EU-Parlaments ist unzureichend und die EU operiert mit zahlreichen Schattenhaushalten etwa im Bereich der Rüstungs- und Atomforschung. Diese Haushaltstitel sind zwischenstaatliche Haushalte und unterliegen weder einer Kontrolle des Europäischen Parlaments noch der nationalen Parlamente Eine EU-Steuer wird immer wieder im Zusammenhang mit den Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer oder der Flugbenzin- bzw. Kerosinbesteuerung diskutiert (der Flugverkehr wird ggü. umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln wie der Bahn noch steuerlich bevorzugt). Allerdings stehen dem die EU-Verträge entgegen. In den letzten Jahrzehnten wurde die Steuerbelastung von Kapital bzw. Gewinn- undVermögenseinkommen zunehmend auf Arbeitseinkommen und Konsumsteuern verlagert. Eine EU-Steuer wäre meines Erachtens nur sinnvoll und in der Bevölkerung akzeptiert, wenn sie bei Gewinn- und Vermögenseinkommen ansetzte, damit sinnvolle Aufgaben finanziert und diese hinreichend demokratisch kontrolliert würden. Diese Voraussetzungen sind derzeit nicht gegeben.

Beste Grüße,
Fabio De Masi