Frage an Henning Otte bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Henning Otte
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Frage von Martin H. •

Frage an Henning Otte von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Otte,

Bundespräsident Köhler hat zum Volkstrauertag Klarheit über die Ziele des Afghanistankriegs gefordert (http://www.dradio.de/nachrichten/200911151900/4). Mir sind diese Ziele sehr unklar: Manchmal wird mit Menschenfreundlichkeit und Menschenrechten argumentiert (ähnlich wie beim Kosovo-Krieg), manchmal mit Terrorismus-Bekämpfung (obwohl Al-Qaida-Terroristen in Afghanistan gar nicht mehr aktiv sind, und obwohl sich Deutschland an Enduring Freedom kaum beteiligt), und manchmal mit Bündnistreue gegenüber den USA. In der Tat würde Deutschland stark an politischem Gewicht in Washington verlieren, wenn die Bundeswehr sich nicht mehr an dem Krieg beteiligen würde.

Meine Frage an Sie ist: Welchen Stellenwert hat für Sie das Argument der Bündnistreue innerhalb der NATO? Ich finde die Frage deshalb so wichtig, weil es trotz der oft beschworenen "gemeinsamen Werte" auch gravierende Differenzen zu den USA gibt: Die USA sehen sich als weltweite Ordnungsmacht, die ohne viel Rücksicht auf das Völkerrecht ihre Interessen durchsetzt (z.B. im Irak), während Deutschland sich an das Völkerrecht gebunden fühlt und unsere Verfassung Angriffskriege verbietet. Schon insofern muss die Bündnistreue also Grenzen haben, wenn wir unseren Werten treu bleiben wollen.

Wie sehen Sie diese Spannung zwischen NATO-Bündnistreue und unseren Werten in Afghanistan, wo der US-General McChrystal eine Strategie der massiven Aufstandsbekämpfung (jenseits aller Terrorismusbekämpfung) fordert, an der sich die Bundeswehr schon aus verfassungsrechtlichen Gründen eigentlich gar nicht beteiligen könnte?

Ich freue mich auf Ihre Antwort und hoffe, dass Sie damit zu der von Horst Köhler geforderten größeren Klarheit der Kriegsziele beitragen, die Deutschland so dringend braucht, um der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung zu begegnen.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath

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Sehr geehrter Herr Professor Dr. Haspelmath,

vielen Dank für Ihre Anfrage, in dem Sie die Bündnistreue innerhalb der NATO ansprechen.
Die Außenpolitik trägt die Herausforderung in sich, dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Dennoch müssen wir Antworten finden auf Fragen, die uns berühren und deshalb in jedem Einzelfall klären, warum es uns angeht, was außerhalb unseres Landes geschieht. Bei europäischen Fragen fällt uns das nicht mehr schwer, bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland dagegen umso mehr. Ich meine, wir müssen definieren, welche Interessen wir verfolgen, wenn wir die Bundeswehr zu Auslandseinsätzen entsenden und wir müssen uns darüber klar werden, welche Kapazitäten wir an Personal, an Material und an Finanzen dafür bereithalten wollen.
Um auf Ihre erste Frage zu kommen - „welchen Stellenwert hat das Argument der Bündnistreue innerhalb der NATO“, möchte ich Ihnen sagen, dass die transatlantischen Beziehungen die Grundlage deutscher und europäischer gemeinsamer Sicherheit bleiben. Die NATO hat sich den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet.
Die globalen Herausforderungen für die deutsche Sicherheit sind ohne ein leistungsfähiges und auf gegenseitigem Vertrauen der Mitgliedstaaten beruhendes transatlantisches Bündnis dauerhaft nicht zu bewältigen. Die freundschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den USA sind historisch gewachsen und beruhen auf gemeinsamen kulturellen Wurzeln mit einer vielfach erprobten Werte- und Interessengemeinschaft. Aufgrund des politischen Anspruchs, des wirtschaftlichen Gewichts, der militärischen Fähigkeit und des daraus resultierenden Einflusses nehmen die USA im Bündnis seit jeher eine herausragende Rolle ein. Dies wird insbesondere bei dem durch die Vereinten Nationen mandatierten Einsatz zur Unterstützung der afghanischen Regierung (ISAF) deutlich. Der internationale Terrorismus bedroht Freiheit und Sicherheit und ist eine zentrale Herausforderung. Die Anschläge vom 11. September 2001, die seither verübten Terrorakte in Europa, Asien und Nordafrika sowie die vor der Bundestagswahlen veröffentlichten Drohbotschaften haben dies deutlich gemacht.
Deutschlands Sicherheit ist somit untrennbar mit der politischen Entwicklung Europas und der Welt verbunden. Zu den Konstanten unserer Außen- und Sicherheitspolitik gehören dabei auch die internationalen Verpflichtungen, die sich insbesondere aus unserer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der NATO ergeben. Dieser Verpflichtung werden wir durch unseren fortgesetzten Einsatz in Afghanistan gerecht und schützen dadurch unmittelbar auch Deutschland. Ihre zweite Frage: „Wie bewerten Sie die durch den USA General McChrystal eingebrachte Strategie der „massiven Aufstandsbekämpfung“? Der in Ihrer Frage gewählte Begriff „massive Aufstandsbekämpfung“ suggeriert fälschlicherweise, es handle sich bei „Counterinsurgency“ um eine besonders massive Form der Gewaltanwendung. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um die Art und Weise, wie die NATO erfolgreich die afghanische Regierung im Kampf gegen regierungsfeindliche Kräfte unterstützt. Ziel des Engagements der NATO ist es dabei, dass Afghanistan nie wieder zum Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus wird. Dieses Ziel ist erst erreicht, wenn die afghanische Regierung selbständig in der Lage ist, die Sicherheit im ganzen Land zu gewährleisten. Hierzu hat die NATO vier Prioritäten für die kommenden 12 Monate: Schutz der afghanischen Bevölkerung, Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte, Unterstützung von guter Regierungsführung und Entwicklung sowie Einbindung Pakistans. Dies erfordert einen ganzheitlichen, vernetzten Ansatz, der zivile und militärische Mittel miteinander verknüpft.
Das COMISAF gewählte Prinzip der „Counterinsurgency“ wird diesem Ansatz gerecht. Es stellt den Schutz der Bevölkerung an oberste Stelle, um so die Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten. Sollte der Einsatz militärischer Gewalt trotzdem zur Erfüllung unabdingbar sein, so ist dies durch die zuletzt am 8. Oktober 2009 verlängerte Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und des darauf fußenden Bundestagsmandats legitimiert.
Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, wir müssen klare Ziele zum Abzug unserer Soldaten aus Afghanistan definieren. So wurde auf der Londoner Afghanistan-Konferenz am
28. Januar 2010, der Einstieg in eine schrittweise Übergabe der Verantwortung für Wiederaufbau und Sicherheit in afghanische Hände ab 2010 vereinbart. In diesem Zusammenhang wird die internationale Gemeinschaft den Aufbau der afghanischen Sicherheitsorgane und die zivile Hilfe verstärken. Die afghanische Regierung verpflichtet sich zu besserer Regierungsführung und wirksamerer Korruptionsbekämpfung, sie will binnen 5 Jahren die Sicherheitsverantwortung vollständig übernehmen.

Mit dieser Strategie soll Afghanistan schrittweise mehr Verantwortung und die internationale Schutztruppe immer mehr eine unterstützende Rolle übernehmen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen verdeutlichen, dass wir mit unserem Einsatz in Afghanistan einen wichtigen Beitrag zur Bündnistreue der NATO leisten.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Otte

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