Warum sperrt die Regierung keine islamistischen Haßprediger auf TikTok, denn TikTok macht es ja nicht?

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Lars Castellucci
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Frage von Heike R. •

Warum sperrt die Regierung keine islamistischen Haßprediger auf TikTok, denn TikTok macht es ja nicht?

Sehr geehrter Herr Dr. Castellucci,
derzeit wir durch s.g. Querdenker Haß und Falschinformation verbreitet. Diese Radikalisierung ist für unsere Gesellschaft sehr beunruhigend.
Mich bewegt eine weitere Frage. Die meist genutzte App in Deutschland ist derzeit TikTok, auf der ich auch aktiv bin. Ich stelle eine ganz massive Zunahme von islamischen Haßpredigern fest, die offen gegen unsere Grundordnung predigen. Sie haben sehr starken Zulauf, vor allen an jungen Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund (wie man den Followern eindeutig entnehmen kann), Diese äußern sich teils extrem radikal, fordern als Ziel den Kalifatstaat in Deutschland ! TikTok reagiert nicht auf Beschwerden. Warum unternimmt unser Staat nichts gegen Haßprediger und ihre radikalen Follower in den sozialen Medien? Warum werden die nicht gesperrt, wenn sie TikTok gemeldet werden?
quelle: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/reden/DE/2019/rede-haldenwang-bka-herbsttagung.html

Heike R.

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Sehr geehrte Frau R.,

ich kann Ihre Beunruhigung verstehen und versichere Ihnen, dass wir das Thema sehr aufmerksam und auch mit Sorge verfolgen. In der Tat werden Social-Media-Plattformen für Straftaten wie Hasskriminalität und Volksverhetzung genutzt. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz haben wir Compliance-Vorschriften erlassen, nach denen Plattformen strafbare Inhalte löschen müssen. Zudem tritt ab 01.02.22 eine Pflicht der Netzwerke in Kraft, bestimmte strafbare Inhalte ans BKA zu melden. Allerdings sind hiergegen Klagen von Google (für Youtube), Meta (für Facebook und Instagram) sowie seit wenigen Tagen auch von TikTok anhängig.

Um wirksam gegen gezielte Desinformation und Propaganda vorzugehen, bedarf es eines europarechtrechtlichen Rahmens, da zum einen der nationale Gesetzgeber hier sehr schnell an Grenzen stößt und da das Recht für die digitalen Dienste europarechtlich harmonisiert ist. Gegenwärtig wird auf europäischer Ebene das "Gesetz über digitale Dienste: mehr Sicherheit und Verantwortung im Online-Umfeld" - der Digital-Service-Act (DSA) - beraten, welches die seit 1998 geltende e-Commerce-Richtlinie ablösen soll und welches die zentrale europäische Regelung zur Verantwortlichkeit im Netz werden wird - sozusagen das digitale Grundgesetz. Hierzu hat die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, zu dem das Europäische Parlament kürzlich seine Vorschläge beschlossen hat, sodass nun bald der Trilog beginnt. Weitere Informationen finden Sie hier: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/digital-services-act-ensuring-safe-and-accountable-online-environment_de

Geschaffen werden soll mit dem DSA ein europaweit einheitliches Regelwerk zu den Pflichten und Verantwortlichkeiten von digitalen Diensten im Netz, welches die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger und das hohe Schutzniveau für alle Nutzer/innen sicherstellt, unabhängig davon, wo in der EU sie leben. Ziel des Gesetzes ist ausdrücklich eine strengere demokratische Kontrolle und Aufsicht über systemische Plattformen sowie die Minderung systemischer Risiken wie Manipulation oder Desinformation. Plattformen sollen verpflichtet werden, den Missbrauch ihrer Systeme zu verhindern, indem sie risikobasierte Maßnahmen ergreifen und ihr Risikomanagementsystem von unabhängiger Seite prüfen lassen. Wichtig ist auch, dass die Plattformen den Zugriff der Forschung gewähren müssen, nicht zuletzt um - auch angesichts der Bedeutung für die öffentliche Kommunikation und Willensbildung - das Fortschreiten von Online-Risiken nachvollziehen zu können.

Im Koalitionsvertrag haben wir die Erarbeitung eines „Digitalen Gewaltschutzgesetzes“ vereinbart. Dieses Gesetz würde es ermöglichen, gegen Accounts als Ganzes vorzugehen, statt immer nur gegen einzelne Inhalte eines Accounts, und es würde auch bei Accounts funktionieren, bei denen die Person dahinter nicht identifiziert werden kann oder derer man auf Grund von Aufenthalt außerhalb der EU oder ähnlichem nicht habhaft wird. Es soll die Strafverfolgung nicht (!) ersetzen, sondern zielt darauf, die Followerstarken Hass-Accounts aus den Netzwerken zu verbannen.

Ich teile Ihre Einschätzung, dass in gezielter Desinformation und Propaganda eine große Gefahr für die Demokratie und die offene, freie, demokratische und plurale Gesellschaft liegt.

Freundliche Grüße,

Lars Castellucci

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