Frage an Lothar Binding bezüglich Finanzen

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Lothar Binding
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Frage an Lothar Binding von Simon E. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

die Milliardenhilfen an marode Banken sind mir sehr suspekt. In der Öffentlichkeit werden diese immer als "alternativlos" dargestellt. Jedoch ist für mich keine öffentliche Debatte zu erkennen die diese "Alternativlosigkeit" erklärt oder in Frage stellt.

Nach meinem Verständnis der freien Marktwirtschaft gehen schlecht wirtschaftende Unternehmen pleite und verschwinden vom Markt (Reinigung des Marktes). Dies wird zur Zeit durch massive Verwendung von öffentlichem Geld unterbunden.

Mir ist klar das, bei gleichzeitigem Untergang vieler Banken das Finanzsystem kollabieren könnte. "Könnte" weil dies m.E. auch keine unabänderliche Folge wäre und selbst wenn, wem würde dies Schaden?

Würde dies nicht diejenigen am härtesten Treffen die an der derzeitigen Misere am meisten "verdient" haben?

Unsere Volkswirtschaftlichen Werte gingen doch nicht auf einen Schlag verloren. Es wird so getan, als ob wir dann mit sofortiger Wirkung wieder in der Steinzeit anfangen müssten.

Wäre es nicht intelligenter mit einer Währungsreform nochmals von vorne zu beginnen? Man könnte auch einen Blick auf alternative Geldsysteme wie z.B. eine umlaufgesicherte Währung werfen. Vor allem aber könnte man aus den gemachten Fehlern lernen.

Ich habe mit Interesse Ihre Antworten zum Thema Finanzkrise gelesen und bin von den Verbesserungsvorschlägen doch sehr enttäuscht. Am Grundlegenden Problem, dass immer mehr Menschen (und somit nebenbei auch Konsumenten) immer weniger Geld zur freien Verfügung haben ändern schärfere Regeln am Kapitalmarkt zunächst nichts. Autos kaufen keine Autos, Arbeitslose kaufen keine asiatischen Konsumgüter und die Asiaten brauchen folglich auch keine Maschinen mehr.....

Es kommt mir zur Zeit so vor, als ob man hier einen hirntoten Patient mit viel technischem Aufwand künstlich am Leben erhält und das nur weil es angeblich keine Alternativen gibt.

In gespannter Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich,

mit freundlichen Grüßen
Simon Elsäßer

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Sehr geehrter Herr Elsäßer,

für Ihr Schreiben zur gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise danke ich Ihnen recht herzlich. Einigen Ihrer Argumente stimme ich zu; bei der Abwägung einiger anderer Überlegungen komme ich zu unterschiedlichen Ergebnissen, wie ich Ihnen gerne erläutern möchte.

Grundsätzlich teile ich Ihre Auffassung, dass „schlecht wirtschaftende Unternehmen“ mit verfehlten strategischen Entscheidungen der Geschäftsführung, nicht konkurrenzfähigen Produkten oder ungenügendem Krisenmanagement nicht mit staatlichen Krediten und auf Kosten des Steuerzahlers gestützt werden sollten. Unser Wirtschaftssystem ist allerdings nicht nur eine „freie“, wie Sie schreiben, sondern auch und in erster Linie eine Soziale Marktwirtschaft.

Die Ausrichtung an diesem sozialdemokratischen Leitbild der Solidarität und der gesellschaftlichen Verantwortung für den Einzelnen stellt meiner Ansicht nach einen stabileren Orientierungspunkt für das eigene Handeln dar als abstrakte Begriffe wie „Reinigung des Marktes“, „volkswirtschaftliche Werte“ oder „alternative Geldsysteme“.
Diese Verantwortung lässt sich verdeutlichen, wenn man sich vor Augen hält, wie groß der Schaden beim Zusammenbruch einer Großbank oder sogar des gesamten Bankensystems ist – und wer davon betroffen ist. Es sind Bürgerinnen und Bürger, die ihr Sparguthaben ihrer Hausbank anvertraut haben; es sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Unternehmen nur noch schwer Kredite für Investitionen bekommen; eventuell sind Zwangsversteigerungen in großer Zahl, ausbleibende Lohn- und Gehaltszahlungen oder der Verlust von Arbeitsplätzen die Folge; oder es sind private Kleinaktionäre und institutionelle Anleger wie etwa Versicherungen, Rentenfonds oder Pensionskassen, denen durch Abschreibungen hohe Verluste entstehen, weil sie ihre Renditeerwartungen aus den Wertpapiere nicht einlösen können, die sie bei Banken gekauft haben.

Diese Überlegungen vermitteln Ihnen vielleicht einen Eindruck davon, warum ich viele unserer Maßnahmen – die Garantieerklärung der Bundesregierung für die privaten Sparguthaben, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, die Konjunkturpakete I und II, die Überlegungen zur Neuordnung der internationalen Finanzmärkte – für zwingend erforderlich und richtig halte, um unserer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Ich sage nicht „alternativlos“, denn diese Formulierung würde bedeuten, andere Handlungsoptionen zu kennen und insbesondere deren Auswirkungen für unsere Gesellschaft seriös einschätzen zu können. Die enorme Bandbreite der Diagnosen und der – mitunter sogar konträren – Handlungsempfehlungen der wissenschaftlichen Politikberater, der Sachverständigengremien und politischen Kommentatoren zeichnet hier allerdings ein anderes Bild.

Sie haben Recht: alternative Systeme sind in den Blick zu nehmen. Ihre Anregung, über umlaufgesichertes Geld nachzudenken, also insbesondere über den Zins bzw. einen zinsfreien Geldkreislauf, verstehe ich gut. Ich kenne einige regionale Projekte mit Freigeld. Gesell, Berger oder auch Fisher denken über solche Systeme nach.

Ich halte es auch für lohnend, sich über "Islamic Banking" Gedanken zu machen, auch dort gibt es keinen Zins, Wucherverbot etc. Viele dieser Überlegungen, wollten wir sie in die reale Finanzwirtschaft überführen, bergen allerdings das bisher ungelöste Problem, dass ein Übergang vom heutigen in das zukünftige System nicht beschrieben und ohne jegliche Erfahrung ist.

Natürlich ist auch nicht gesichert, dass solche Systeme tatsächlich funktionieren – sei die Hoffnung auch noch so groß. Außerdem sieht es gegenwärtig nicht gut aus, viele Länder von einem grundlegend neuen System zu überzeugen. Ich beobachte, in welchen Regionen und mit welcher Verbreitung und Wirtschaftskraft Regionalwährungen akzeptiert werden und sich bewähren. So kann ich auch erkennen, ob und wie eine solche Entwicklung von der Gesellschaft getragen wird.

Last but not least brauchen Sie für solche Entwicklungen natürlich Mehrheiten in den Parlamenten…

Dass hinsichtlich der Haftungsfragen von Vorständen, Aufsichträten und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wichtige Änderungen not(!)wendig sind, dass bestimmte Besicherungen weltweit verbindlich geregelt sein müssen (was in Deutschland mit Basel II schon recht gut war, während in den USA Basel II aber nicht angewandt wurde), dass Steueroasen mit all ihren regulatorischen Lücken nicht akzeptabel sind, haben sicher inzwischen auch Länder gemerkt, die sich mit Ihrer Kritik an Steueroasen bisher sehr zurück gehalten haben. Auch die Finanzaufsicht muss verbessert werden – insbesondere hinsichtlich ihrer grenzüberschreitenden Befugnisse. Und so weiter, und so weiter. Es gibt also viel zu tun – aber wenn Sie sich unsere Maßnahmen ansehen, erkennen Sie, dass auch viel getan wird.

Ich hoffe, Ihr Verständnis für meine Überlegungen gewonnen zu haben, und verbleibe

mit freundlichem Gruß, Lothar Binding