Frage an Martin Dörmann bezüglich Soziale Sicherung

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Martin Dörmann
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Frage von Arno S. •

Frage an Martin Dörmann von Arno S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Dörmann,

wie stehen Sie zur außerplanmäßigen Diätenerhöhung für die Bundestagsabgeordneten? Können Sie mir plausibel machen, wieso Ihre Bezüge denen von Bundesrichtern angeglichen werden sollen, obwohl Bundesrichter nicht über die Privilegien von Abgeordneten verfügen und auch nebenher keinem weiteren Beruf nachgehen dürfen?

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Sehr geehrter Herr Schulz,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Zum derzeit im Bundestag diskutierten Gesetzentwurf, der eine zusätzliche Erhöhung der Diäten für Bundestagsabgeordnete vorsieht, vertrete ich folgende Position:

1.
Ich teile die von vielen geäußerte Besorgnis, dass eine erneute Diätenerhöhung innerhalb kurzer Zeit das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik untergräbt und kann das Unverständnis hierüber sehr gut nachvollziehen. Gerade weil wir Bundestagsabgeordnete selbst über die Höhe unserer Einkünfte entscheiden (müssen!), kommt es darauf an, die Frage der Abgeordnetenentschädigung sensibel und nachvollziehbar zu behandeln.

Der von der Fraktionsführung erarbeitete und derzeit im Bundestag zu beratende Gesetzentwurf sieht vor, die Abgeordneten wie die Beamten an den aktuellen ver.di-Tarifabschlüssen für den öffentlichen Dienst teilhaben zu lassen, wenn auch um ein Jahr zeitversetzt zum jeweils 1.1.2009 (3,63 %) und 2010 (2,68 %). Hierüber war ich doch sehr überrascht. Bekanntlich haben wir im letzten Jahr Änderungen am Abgeordnetengesetz und damit verbunden eine Anpassung der Diäten an die Bezüge von kommunalen Wahlbeamten und Bundesrichtern in zwei Schritten zum 1.1.2008 (um 4,7 %) und 1.1.2009 (um 4,48 %) beschlossen. In der Begründung des Gesetzes heißt es:

„Mit der Anhebung um weitere 329 Euro zum 1. Januar 2009, die 4,48 vom Hundert beträgt, wird nicht nur die Orientierungsgröße erreicht, sondern auch die voraussichtliche Steigerung der durchschnittlichen Erwerbseinkommen bis zur nächsten Anpassung der Abgeordnetenentschädigung frühestens im Jahre 2010 berücksichtigt“.

Auch ich habe seinerzeit wie die anderen Kölner SPD-Bundestagsabgeordneten der Reform zugestimmt, auch in der Erwartung, dass damit weitere Diätenerhöhungen vor dem Jahr 2010 ausgeschlossen sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade in dieser Frage glaubwürdig und konsequent handeln müssen.

Aus den vorgenannten Gründen lehne ich die nunmehr vorgeschlagene zusätzliche Diätenerhöhung ab und werde in der Fraktion dagegen stimmen. Da sich viele andere SPD-Bundestagsabgeordnete ähnlich geäußert haben, hoffe ich, dass der Gesetzentwurf noch entsprechend abgeändert wird, so dass die in der Begründung zur letztjährigen Anpassung gemachte Zusage eingehalten werden kann. Ich habe die SPD-Fraktionsführung entsprechend angeschrieben.

2.
Bei aller berechtigten – und ja ausdrücklich von mir geteilten – Kritik an der zusätzlich geplanten Diätenerhöhung will ich aber auch deutlich machen, dass die grundsätzliche Thematik der Abgeordnetenentschädigung differenzierter diskutiert werden sollte, als dies derzeit in der Öffentlichkeit geschieht.

So wird vielfach unterschlagen, dass es vor der Anpassung zum 1.1.2008 seit 2003 keine Diätenerhöhung mehr gegeben hat. Wenn man diese Erhöhung 2008 schon mitberücksichtigt, ist die Abgeordnetenentschädigung in den 10 Jahren zwischen 1998 und 2008 um 9,2 % angestiegen, also unterhalb der Inflationsrate von 14,8 %, während der Gehaltstarifindex um 23,16 % gestiegen ist. Die Erhöhungen bewegen sich somit im relativen Gleichschritt mit den Beamtenbezügen der einschlägigen Besoldungsgruppe B 6 (9,3 %) und liegen nur leicht über den Rentenanpassungen (9,0 %). Als problematisch wird allerdings vor allem die relativ gute Altersversorgung für die Abgeordneten angesehen.

Beide Punkte wurden in dem 2007 beschlossenen Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes aufgegriffen. Ich stehe zu der im letzten Jahr als Kompromiss gefundenen Regelung, weil sie ein Schritt in die richtige Richtung ist, auch wenn man sich weitergehende Änderungen denken kann. So wollte die SPD-Fraktionsführung in den Verhandlungen noch größere Einschnitte bei der Altersversorgung erreichen.

Zur Erinnerung: Das 2007 beschlossene Gesetz verfolgt drei zentrale Ziele:

- Der Altersversorgungsanspruch wird deutlich abgesenkt, und zwar um ein Sechstel (2,5 statt 3 Prozent Steigerung pro Jahr der Bundestagszugehörigkeit).

- Die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung auf das 67. Lebensjahr („Rente mit 67“) wird wirkungsgleich umgesetzt.

- Als Orientierungsgröße für die Abgeordnetenentschädigung soll künftig das monatliche Grundgehalt der Bürgermeister kleiner Städte und von Gemeinden mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern (Beamtenbesoldungsgruppe B 6) und der obersten Bundesrichter (Richterbesoldungsgruppe R 6) gelten, und zwar ohne die anteiligen Sonderzahlungen, so dass die Monatsbezüge in zwei Schritten bis zum 1. Januar 2009 auf 7.668 € angehoben werden.

Die Anlehnung verfolgt das Ziel, langfristig den immer wieder erhobenen Vorwurf der „Selbstbedienung“ auszuräumen, indem man als objektiven Maßstab vergleichbare Tätigkeiten im öffentlichen Bereich heranzieht und zukünftig die dortigen Tarifabschlüsse lediglich übernimmt, jedoch ohne Einmal- oder Sonderzahlungen (Abgeordnete beziehen kein 13. Gehalt).

Diese Orientierungsgröße war eigentlich sogar schon seit 1995 in § 11 des Abgeordnetengesetztes vorgesehen. Obwohl im Gegenzug bereits damals die Altersbezüge deutlich (um ein Viertel) gekürzt wurden, ist die vorgesehene Diätenanpassung aber so nie umgesetzt worden. Das Gesetz von 1995 resultierte übrigens aus Empfehlungen der sog. Kisselkommission, die 1993 unter Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Prof. Dr. Otto Rudolf Kissel Vorschläge zu Änderungen des Abgeordnetenrechts erarbeitet hat. Die elf Mitglieder dieser vom Bundestag eingesetzten „Unabhängigen Kommission“ repräsentierten ein breites Spektrum verantwortlicher Persönlichkeiten, von einem Betriebratsmitglied über einen ehemaligen Bundesverfassungsrichter bis hin zur Präsidentin des Bundes der Steuerzahler.

Die o.g. Anlehnung bzw. Orientierungsgröße halte ich grundsätzlich auch für sachgerecht. Aus finanziellen Gründen sollte niemand in die Politik gehen. Die Bezüge sollten jedoch auch sicherstellen, dass Politiker/innen unabhängig agieren können und nicht etwa auf Nebeneinkünfte angewiesen sind (80 % der Bundestagsabgeordneten üben keine bezahlte Nebentätigkeit aus).

Die erwähnte Kisselkommission hat in ihrem Bericht ausgeführt, dass die aus ihrer Sicht verfassungsrechtlich vorgegebenen Kriterien für die Bemessung der Höhe der Entschädigung sind:

1. „die Bedeutung des Amtes im Blick auf die Aufgabe, die der verfassungsrechtliche Auftrag dem Parlamentarier überträgt,
2. die mit der Erfüllung dieses Auftrages verbundene Verantwortung und Belastung, die in Bund und Ländern sicherlich verschieden zu gewichten sind,
3. der Rang des Amtes des Abgeordneten im Verfassungsgefüge von Bund und Ländern.“

Bei einer 60- bis 70-Stundenwoche kommen Bundestagsabgeordnete auf umgerechnet etwa 27 Euro Stundenlohn brutto. Nach Abzug von Steuern, Sozialabgaben und spezifischer, mandatsbedingter Kostenbelastungen wie Wahlkampfrücklagen und Parteisonderbeiträge verbleiben netto weniger als die Hälfte. Ich kann darin keine unangemessene Bezahlung erkennen. Es wäre schön, wenn dies insgesamt stärker als bisher gewürdigt werden könnte. Die steuerfreie Aufwandspauschale stellt – entgegen mancher Ansicht – kein zusätzliches Einkommen dar, sondern dient ausschließlich der Abdeckung mandatsbezogener Mehrkosten. Hierzu zählen beispielsweise die Unterhaltung von Bürgerbüros im Wahlkreis, einer Zweitwohnung in Berlin, Porto- und Reisekosten, Öffentlichkeitsarbeit oder etwa die Finanzierung von Veranstaltungen. Im Gegenzug können Abgeordnete steuerlich keinerlei Ausgaben als Werbungskosten geltend machen.

Die 2007 beschlossene Tarifanpassungsregelung halte ich vor diesem Hintergrund grundsätzlich für sinnvoll, um zukünftige Erhöhungen an einen objektiven und gerechten Maßstab zu binden. Allerdings darf sie nicht – wie oben dargelegt – mit den bereits beschlossenen Anpassungsschritten kumulieren.

Auch ohne die erfolgte Anpassung an die Rente mit 67 ist die prozentuale Absenkung der Altersentschädigung höher als die 2007 beschlossene Anpassung der Diäten 2008/2009, so dass die Abgeordneten bezogen auf das Gesetz von 2007 in einer Gesamtrechnung weniger Geld erhalten und langfristig Einsparungen im Bundeshaushalt erzielt werden.

Leider wird auch in der aktuellen Debatte um die Diätenerhöhung die bereits beschlossene Absenkung der Altersbezüge kaum erwähnt, obwohl nur hierdurch ein gerechtes Gesamtbild entsteht.

3.
Die in der Öffentlichkeit immer wieder vorgetragene Forderung, die Frage der Abgeordnetenentschädigung einer Unabhängigen Kommission zu übertragen, ist bindend nicht möglich, sondern allenfalls beratend, wie 1993. Insofern ist der immer wieder vorgetragene Vorwurf, es handele sich um „Selbstbedienung“, unfair.

Am Ende müssen nun einmal immer die Abgeordneten selbst die Verantwortung für ein entsprechendes Gesetz übernehmen und über ihre Diäten entscheiden. Denn das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lassen insoweit keinen Spielraum. Zudem kann auch das Haushaltsrecht nicht an eine unabhängige Kommission delegiert werden.

Die o.g. Unabhängige Kommission (Kissel-Kommission) führte 1993 hierzu aus, dass eine bindende Entscheidung einer Unabhängigen Kommission auch nicht durch eine Grundgesetzänderung herbeigeführt werden könnte:

„Auch die Unabhängige Kommission hält eine solche Grundgesetzänderung für ausgeschlossen; sie zu beschließen dürfte selbst dem Verfassungsgeber versagt sein. (…) Nicht nur die Grundsätze eines demokratischen Wahlverfahrens, sondern auch die Ausgestaltung des vom Wähler mit dem Wahlakt dem Abgeordneten verliehenen Status muss dem Kerninhalt des Demokratieprinzips zugerechnet werden. Eine Übertragung der diesen Status maßgeblich mitgestaltenden Entscheidung über die Höhe der Entscheidung auf eine demokratisch nicht in gleicher Weise legitimierte Institution – und sei sie von der Öffentlichkeit auch als noch so für sinnvoll angesehen – durchbricht die in Artikel 20 Grundgesetz vorgeschriebenen Grundsätze. Sie könnte deshalb, wie die Kommission nach sorgfältiger Prüfung meint, kaum vor Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz Bestand haben.“

Gerade weil uns niemand die letzte Verantwortung für unsere eigenen Bezüge abnehmen kann, kommt es darauf an, stets eine angemessene, nachvollziehbare und glaubwürdige Entscheidung zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen,
Martin Dörmann, MdB