Frage an Martin Dolzer bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Martin Dolzer
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Frage von Gerald G. •

Frage an Martin Dolzer von Gerald G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dolzer,

leider geht es meiner Meinung in Deutschland und der EU sehr ungerecht und unfair zu.

Das Evangelli Gaudium von Papst Franziskus ist meines Erachtens sehr aufschlussreich. Ich möchte Ihnen einen Link dazu mitsenden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelii_gaudium

Zwei Zitate des aus meiner Sicht sehr weisen Heiligen Vater:

" Für die Wirtschaft und für den Markt ist Solidarität fast ein Schimpfwort"
( Papst Franziskus)

" Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht"

( Papst Franziskus)

Welche Schlüsse zieht die Politik aus diesen Worten?

Ein Bericht zur ungleichen Vermögensverteilung in Deutschland sende ich Ihnen mit:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/vermoegen-in-deutschland-ungleicher-verteilt-als-im-rest-der-eurozone-a-955701.html

Wie Sie anhand dieses Berichts sehen, ist die Einkommensungleichheit in Deutschland von allen Ländern in der Euro-Zone am extremsten.
Von dem Vermögen welches vererbt wird ( vererben kann man nicht als Leistung bezeichnen oder?) könnten reiche Erben der Allgemeinheit doch mehr zurück geben, oder?

Was tut die Politik um das zu ändern? Braucht man nicht Mindeststandards für Arbeit, Gesundheitsfürsorge, Bildung, Mobilität und Einkommen in ganz Europa?
Brauchen wir nicht Mindestlöhne, Mindesteinkommen, Mindestrenten und ein Recht auf wohnen in der gesamten EU?

Mit freundlichen Grüßen,
Gerald Grzybowski

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DIE LINKE

Sehr geehrter Gerald Grzybowski,

vielen Dank für Ihre sehr interessante Frage.

Sie haben Recht wenn Sie sagen, dass es in Deutschland und der EU sehr ungerecht und unfair zugeht.

Auf meiner Homepage finden Sie dazu meine Position:

"Im Rahmen der Umverteilung der weltweiten Machtverhältnisse, machen die Europäische Union und die Regierung der Bundesrepublik jedoch eine Politik, die nicht an den Interessen der Mehrheit der Menschen orientiert ist. Sie betreiben vielmehr eine Politik die unsozial und undemokratisch ist und darüber hinaus die Menschenrechte und das Völkerrecht missachtet. Das zeigt sich in allen Bereichen – in der Wirtschaftspolitik, die hauptsächlich an den Interessen der großen Konzerne und Banken orientiert ist, am Abbau von funktionierenden Sozialsystemen und einer zunehmend aggressiven Außen-, Kriegs-, Sicherheits-, Flüchtlings- sowie Innenpolitik der EU.

Ich setze mich seit langer Zeit intensiv für die Menschenrechte, das Völkerrecht, Frieden, eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik, soziale Gleichheit, und ein respektvolles Zusammenleben ein. Die Vielfalt der Menschen und Kulturen ist ein großer Reichtum, wenn wir solidarisch miteinander leben und voneinander lernen."

Dass die Verwertbarkeit von Menschen oft im Zentrum des Handelns von Politikerinnen und Politikern steht, finde ich sehr grausam.

DIE LINKE setzt sich für soziale Gleicheit ein. Wir wirken für ein Wirtschaftsprogramm, das in die Zukunft investiert, das Arbeit schafft und Bildung, Gesundheitsversorgung und die öffentliche Infrastruktur stärkt und die Energiewende sozial gestaltet. Wir wollen ein Recht auf Ausbildung und Übernahme der Auszubildenden. Ich denke, dass die die Möglichkeit eines jeden Menschen mit Würde am Leben teilzuhaben im Zentrum der Politik stehen muss.

In der gesamten EU ist weniger als die Hälfte aller Arbeitsverhältnisse unbefristet und tariflich bezahlt. Deshalb müssen prekäre Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Wir wollen verbindliche Mindestlöhne in der ganzen EU einführen – von mindestens 60 Prozent des Durchschnittslohns des jeweiligen Landes. Wir streiten für eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine gesetzliche Mindestrente in Höhe von 60 Prozent des jeweiligen mittleren Einkommens vor Ort. Das Grundrecht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe ist unantastbar. In der Praxis wird z.B. durch das Hartz 4 System in Deutschland die Würde der Menschen angegriffen. Es muss endlich abgeschafft werden.

Dass in Griechenland 60% der Jugendlichen ohne Arbeit und Perspektive sind und Menschen nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit das Anrecht auf Krankenversicherung verlieren ist zynisch und unsozial. Dass die Schere zwischen in Arm und Reich in der Bundesrepublik immer weiter auseinandergeht liegt an einer verfehlten neo-liberalen Wirtschaftspolitik unter Angela Merkel. Wir setzen der unsozialen Politik der Bundesregierung und der Troika aus EZB (Europäischer Zentralbank) IWF (Internationaler Währungsfond) und EU Kommission eine Vision eines sozialen Europa mit Mechansimen des sozialen Ausgleichs entgegen.

Allen Menschen in der EU soll ein kostenfreies Grundkontingent an Wärme, Wasser und Energie, Telefon- und Internetzugang zustehen. Die Privatisierung der Rentensysteme lehnen wir ab. Die Renten dürfen nicht weiter gesenkt werden und das Renten-Eintrittsalter darf nicht erhöht werden!

Das Vermögen allein der Millionärinnen und Millionäre in Europa ist größer als alle Staatsschulden in der EU zusammen. Wir streiten für eine einmalige Millionärsabgabe in allen EU-Staaten. Um Steuerdumping und ruinöse Standortkonkurrenz zu verhindern, brauchen wir einen EU-weiten Mindeststeuersatz bei der Unternehmensteuer. Steuerflucht muss europaweit bekämpft und Steueroasen müssen trockengelegt werden.

Auch das die Hilfskredite für verschuldete Staaten fast vollständig an die Banken zurückgeflossen sind, ist nicht akzeptierbar. DIE LINKE will in der ganzen EU den Finanzsektor regulieren und Spekulationsgeschäfte verbieten. Private Großbanken wollen wir vergesellschaften und unter öffentliche Verwaltung stellen. Wenn neue Kredite vergeben werden, müssen sie an soziale Bedingungen geknüpft werden. Die Reichen des
jeweiligen Landes müssen an den Kosten beteiligt werden, die Banken müssen stärker kontrolliert werden und die Ausgaben fürs Militär müssen gekürzt werden.

Wir wollen auch die Privatisierungen stoppen und die öffentlichen Dienstleistungen stärken. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) lehnen wir ab. Das Abkommen wird ohne die Öffentlichkeit und die Parlamente verhandelt. Es bedroht die Sicherheit unserer Lebensmittel wie unsere soziale Sicherheit. Durch dieses
Abkommen werden soziale und ökologische Standards gefährdet. Dass Konzerne Kommunen und Staaten aufgrund von befürchteten Renditeverlusten verklagen können sollen, ist inakzeptabel.

Ich stimme Ihnen zu, dass Pabst Franziskus im Evangelli Gaudium in vielen Passagen eine sehr mutige und kluge Botschaft formuliert hat.

Folgende Passagen finde ich sehr bemerkenswert:

"Angst und Verzweiflung ergreifen das Herz vieler Menschen, sogar in den sogenannten reichen Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude, nehmen Respektlosigkeit und Gewalt zu, die soziale Ungleichheit tritt immer klarer zutage. Man muss kämpfen, um zu leben – und oft wenig würdevoll zu leben. (...) Ebenso wie das Gebot „du sollst nicht töten“ eine
deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um
zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit.

Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die
„Wegwerfkultur“ eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“. (...)

(...) Die Mechanismen der augenblicklichen Wirtschaft fördern eine Anheizung des Konsums, aber es stellt sich heraus, dass der zügellose Konsumismus, gepaart mit der sozialen Ungleichheit das soziale Gefüge doppelt schädigt. Auf diese Weise erzeugt die soziale Ungleichheit früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst,
noch jemals lösen wird. Er dient nur dem Versuch, diejenigen zu täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüssten wir nicht, dass Waffen und gewaltsame Unterdrückung, anstatt Lösungen herbeizuführen, neue und schlimmere Konflikte schaffen."

Im Grunde ist das ja ein Plädoyer gegen die Auswirkungen des Kapitalismus.

Dazu fällt mir ein Abschnitt aus unserem Programm ein:

Die Rüstungsausgaben weltweit sind auf über 1.000 Milliarden Dollar gestiegen. Durch ihre Kolonialgeschichte und den Raubbau an Ressourcen, durch neoliberale Politik und Militarisierung in diesen Regionen ist auch die EU erheblich für Armut, Bürgerkriege, Umwelt- und ethnische Konflikte in einer ganzen Reihe von Weltregionen mit verantwortlich.
Eine Umkehr ist nötig. Unsere Außen- und Friedenspolitik hat ihre Grundlage im Völkerrecht, strebt nach globaler Gerechtigkeit und der Verwirklichung der Menschenrechte, verlangt Abrüstung und das weltweite Verbot von Massenvernichtungswaffen. Nur soziale Gerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung und Demokratie garantieren Stabilität und friedliche Zusammenarbeit. (Aus dem Programm, DIE LINKE)

Dass der Pabst auch klare Worte zum Schutz von Flüchtlingen und kritische Worte über die Ignoranz von "Verantwortlichen" gegenüber Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen bishin zum Tode gefunden hat - und diesbezüglich zu einer Umkehr und Zivilcourage mahnt - finde ich ebenfalls sehr wichtig und gut.

Gemeinsam mit den Flüchtlingen der Gruppe "Lampedusa in Hamburg" habe ich in einem sehr intensiven Prozess der Aufarbeitung eine Ausstellung über die Geschichte ihrer Flucht erarbeitet. Erst am 20. Mai starb einer der Lampedusaflüchtlinge, Francis Kwarmee, auf Hamburgs Straßen. Kwarmee hatte mehrere Jahre in einem deutschen Unternehmen in Libyen gearbeitet. Er selbst hatte die Situation in Libyen folgendermaßen geschildert:
„Meine europäischen Kollegen wurden von ihren Firmen aus dem Land geflogen, die afrikanischen Arbeiter zurückgelassen. Drei Tage später habe ich 24 Raketeneinschläge in Tripolis gesehen. Du hörtest sie kommen, dieses Heulen und dann die Detonation..." Krieg bedeutet immer Leid, Verbrechen, Flucht und Tod.

Der Senat ignoriert seit mehr als einem Jahr die berechtigten Forderungen der 300 libyschen Kriegsflüchtlinge, die im Krieg in Libyen u.a. mit Massakern und Folter durch Al Quaida nahe "Rebellen" und einem mehrere Monate andauernden, völkerrechtswidrigen Bombardement durch die NATO ausgesetzt waren, nach Schutz, ausreichender medizinischer Versorgung und Arbeit.

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es.

"Die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen bildet die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.

Die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte haben zu Akten der Barbarei geführt, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen.

Das höchste streben des Menschen gilt einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen (…) und Frau und Mann gleichberechtigt leben."

Ich denke, dass es wichtig ist die Politikbereiche nicht voneinander getrennt, sondern im Zusammenhang zu betrachten. Es ist genügend Reichtum auf der Welt vorhanden. Es fehlt nur oft an der Bereitschaft diesen zu teilen. Daraus entsteht soziale Ungleichheit, Ausgrenzung und im schlimmsten Fall Krieg. Wir wollen dagegen den Reichtum von Oben nach Unten umverteilen, weltweit faire Handelsbeziehungen und Frieden.

Im Bereich meiner menschenrechtlichen und flüchtlingspolitischen Arbeit bin ich direkt mit den Grausamkeiten des Krieges und dessen physischen und psychischen Folgen konfrontiert. Um Menschenrechtsverletzungen entgegenzuwirken und Krieg zu verhindern verknüpfe ich seit 10 Jahren außerparlamentarische Arbeit mit Interventionen auf Ebene des Bundestags, des Europaparlaments und in weiteren Gremien der EU.In diesem Sinne arbeite ich im Bereich der Flüchtlingspolitik, der Friedenspolitik und der Sozialpolitik mit den Lampedusaflüchtlingen in Hamburg, mit den Flüchtlingsräten, MigrantInnenorganisationen aus mehreren Ländern, weiteren NGO´s, kirchlichen Trägern, Gewerkschaften und Abgeordneten zusammen. Dabei ist mir stets wichtig, dass die Betroffenen selbstbestimmt handeln können. Im Bereich der Sozialpolitik bin ich gerade daran beteiligt in einer Hochhaussiedlung eine selbst organisierte Hartz 4 Beratung aufzbauen.

Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass wir eine Gesellschaft entwickeln in der jeder Mensch die Möglichkeit hat sich an Entscheidungsprozessen und an Kultur zu beteiligen. In einer solchen Gesellschaft könnte Demokratie ihrem Namen gerecht werden.

Für die genannten Ziele möchte ich auch im Europaparlament wirken,

herzliche Grüße

Martin Dolzer

(Weitere Informationen finden Sie unter: http://martindolzer.blogspot.de/
und http://www.die-linke.de/wahlen/europawahlen-2014/europawahlprogramm/ )