Frage an Ulla Jelpke bezüglich Innere Sicherheit

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Ulla Jelpke
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Frage von Klaus R. •

Frage an Ulla Jelpke von Klaus R. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrte Frau Jelpke,

Sie argumentieren gegen Abschiebungen nach Afghanistan, weil dort die Zurückgeschickten angeblich nicht sicher seien.

Laut dem Bundesinnenministerium werden zumeist Straftäter zurückgeschickt.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article205044152/Migration-37-Afghanen-nach-Kabul-abgeschoben-darunter-20-Straftaeter.html

Das von diesen Straftätern eine erhebliche Gefahr ausging/ausgeht werden auch Sie mit Sicherheit nicht leugnen.

Wieso ist Ihnen die Sicherheit von diesen Leuten wichtiger, als die Sicherheit der einheimischen Bevölkerung unseres Landes?

Des Weiteren trägt es ja auch nicht gerade zur Stabilisierung dieses Landes bei, wenn selbst Schwer- und Schwerstkriminelle nicht abgeschoben werden. Haben Sie das bei Ihrer Entscheidungsfindung bedacht?

Viele Grüße

K. R.

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Robenek,

gerne beantworte ich Ihr Schreiben.

Es stimmt, dass einige Bundesländer nur Menschen nach Afghanistan abschieben, die wegen einer Straftat verurteilt wurden oder von den Behörden als sogenannte Gefährder eigestuft werden.

Das gilt aber längst nicht für alle Bundesländer. Gerade aus Bayern werden immer wieder junge Männer nach Afghanistan abgeschoben, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, sondern sich im Gegenteil bestens in die deutsche Gesellschaft integriert haben. Sie werden von Freund*innen und Partner*innen getrennt oder aus einem Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis gerissen. Der Bayerische Flüchtlingsrat berichtet regelmäßig über solche tragischen Fälle.

Und auch bei den Kategorien „Straftäter“ und „Gefährder“ muss man genauer hinsehen. Die Einstufung als „Straftäter“ unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Relevant werden zum Teil schon Verurteilungen zu 50 Tagessätzen. Bei mehreren Verurteilungen werden Tagessätze auch addiert, sodass mehrere kleine Verstöße die gleiche Wirkung wie eine größere Straftat haben können. Abgeschoben werden also mitnichten nur „Schwer- und Schwerstkriminelle“, wie Sie es ausdrücken, und es wäre absurd anzunehmen, dass all diese Menschen eine Gefahr für „Deutschland“ darstellen.

„Gefährder“ sind wiederum Personen, bei denen Behörden lediglich davon ausgehen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnten. Der Begriff ist hochumstritten, weil er äußerst unscharf ist und der Polizei ein enormes Ermessen einräumt. Oft liegt gegen die betroffenen Menschen gar nichts gerichtlich Verwertbares vor.

Davon abgesehen möchte ich betonen, dass die Menschenrechte unteilbar sind und unterschiedslos für alle Menschen gelten. Man muss sie sich nicht erst durch besondere Integrationsleistungen oder ähnliches verdienen. Niemand darf in ein Land abgeschoben werden, in dem Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Vor diesem Hintergrund verbieten sich Abschiebungen nach Afghanistan aus meiner Sicht. Afghanistan ist laut Global Peace Index das gefährlichste Land der Welt. Die Gewalt ist ungebrochen und fordert weiterhin Tausende zivile Opfer. Eine Studie der Wissenschaftlerin Friederike Stahlmann ergab, dass ein Großteil der Abgeschobenen Gewalterfahrungen machen musste und viele sich nur durch finanzielle Unterstützung aus dem Ausland über Wasser halten konnten. Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich die Situation noch einmal zugespitzt. Wenn man Menschen in solche Verhältnisse abschiebt, setzt man sie sehenden Auges der Gefahr der Verelendung oder gar eines gewaltsamen Todes aus.

Ich halte Abschiebungen generell nicht für ein geeignetes Mittel im Kampf gegen Kriminalität und terroristische Gefahren. Wer in Deutschland Straftaten begangen hat, muss in Deutschland vor Gericht gestellt werden - wie deutsche Tatverdächtige auch. Wenn die Betreffenden anschließend abgeschoben werden, stellt das eine ungerechte Doppelbestrafung dar, die nur Menschen ohne deutsche Staatsagehörigkeit betrifft.

Übrigens hat selbst der Bundesinnenminister gestern im Bundestag erklärt, man könne das Problem islamistischer Anschläge nicht allein über das Aufenthaltsrecht lösen. Er hat außerdem betont, dass die größte Bedrohung in Deutschland derzeit weiterhin vom Rechtsextremismus ausgeht. Da ist die Abschiebung von „Gefährdern“ wohl ohnehin keine Option.

Ich hoffe, Sie können meinen Standpunkt nun besser nachvollziehen.

Viele Grüße

Ulla Jelpke