Warum treibt man weiter Handel mit einem Machthaber, der in Europa einen Angriffskrieg führt? Auf welche Eskalation wartet man noch für härtere Maßnahmen? Wir nehmen Lockdown hin, aber gegen Putin??

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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Dr. Carsten S. •

Warum treibt man weiter Handel mit einem Machthaber, der in Europa einen Angriffskrieg führt? Auf welche Eskalation wartet man noch für härtere Maßnahmen? Wir nehmen Lockdown hin, aber gegen Putin??

Sehr geehrte Frau Bruder, wir sind bereit für den Kampf gegen das Corona Virus harte Maßnahmen und Einschränkungen unserer Freiheit hinzunehmen um älteren und schutzbedürftigen Menschen zu helfen. Ok - unterstützt die breite Mehrheit der Deutschen. Es wurden hunderte von Milliarden dafür bereitgestellt. Warum sind wir nicht in der Lage auf ein paar Milliarden aus dem Außenhandel zu verzichten und den Handel mit Putin-Rußland komplett einzustellen. Was gibt es schlimmeres als einen Angriffskrieg und die Drohung mit Atomwaffen. Putin muss sofort Einhalt geboten werden. Wenn Deutschland etwas aus der Geschichte gelernt hat, dann sollte man einem Hassardeur nicht vertrauen und einsehen, dass man nun alles Diplomatische versucht hat, und nun aber harte Maßnahmen zu ergreifen sind, oder andere europäische Länder die nächsten Opfer sein sollen. Das darf auch nochmal hundert Milliarden kosten....das Geld wäre sehr gut für unsere Zukunft angelegt. Kohle und Öl kann man auch wo anders kaufen.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. S.

vielen Dank für Ihre Frage. Auch wenn in den letzten Tagen viel von einer bröckelnden Unterstützung die Rede war, zeigen mir nicht nur zahlreiche Gespräche mit den Bürger*innen im Wahlkreis wie auch die letzten Umfragen: nach wie vor sind viele Menschen in unserem Land erschüttert und sehr solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, die unter dem ungerechtfertigten, unprovozierten und völkerrechtswidrigen Krieg und auch der brutalen Gewalt leiden. Sie fühlen mit denjenigen, die um ihr Leben fürchten, ihre Liebsten verloren haben oder aus ihrer Heimat flüchten. Sie spüren aber auch, dass sich mit diesem Angriffskrieg fundamentale Konstanten auf unserem Kontinent verschoben haben. Diese betreffen auch unsere eigene Sicherheit wie auch die Sicherheit unserer Verbündeten.

Es war ein großer Fehler, dass Deutschlands Wirtschafts- und Energiepolitik der letzten Jahre zu viel zu großer Abhängigkeit von russischen Gas-, Öl- und Kohleexporten und somit auch zu Verwundbarkeit gegenüber Wladimir Putin geführt hat. Insbesondere das Vorhaben Nord Stream 2 war nicht nur klimapolitisch falsch, sondern auch sicherheitspolitisch riskant, da der Kreml dies stets als Prestige-Objekt und nicht wie die letzte Bundesregierung als rein privatwirtschaftliches Vorhaben betrachtet hat. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung Nord Stream 2 gestoppt haben. Jetzt müssen wir alles tun, um so schnell wie möglich unsere Abhängigkeit von russischen Energie- und Rohstoffimporten zu beenden. Kurzfristig heißt es, auf Lieferungen aus anderen Staaten zu setzen und auch stärker auf LNG-Gas zu setzen, um zu kompensieren und die Bezugsquellen zu diversifizieren, ebenso muss es schon jetzt darum gehen, wo immer möglich Einsparungen und mehr Effizienz zu ermöglichen. Mittel- und langfristig muss es darum gehen, unsere Energieversorgung so schnell wie es nur irgendwie geht sicherer und klimafreundlicher zu gestalten und auf Erneuerbare Energien zu setzen.

Die Bundesregierung hat dazu beschlossen, in den kommenden vier Jahren 200 Milliarden Euro in eine konsequente Energiewende und mehr Energiesouveränität zu investieren. Dazu haben wir in der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause ein großes Gesetzespaket im Bund auf den Weg gebracht. Mehr Informationen dazu finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/energie/endlich-vorrang-fuer-die-erneuerbaren.

Mit den Entscheidungen im Bundestag wird das Osterpaket von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zum bislang größten Beschleunigungsvorhaben für den Ausbau Erneuerbarer Energien: Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren bezogen werden, damit wird der Anteil innerhalb von weniger einem Jahrzehnt fast verdoppelt. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass unsere Stromversorgung bis 2035 nahezu vollständig auf Erneuerbaren Energien beruht. Die Geschwindigkeit des Ausbaus der Erneuerbaren Energien zu Wasser, zu Land und auf dem Dach wird deutlich beschleunigt, indem unter anderem neue Flächen für Photovoltaik und Windenergie bereitgestellt und die Rahmenbedingungen für den Ausbau von Photovoltaikdachanlagen verbessert, Hemmnisse abgebaut und Planungs- und Genehmigungsverfahren verschlankt werden.

Um unabhängiger zu werden und die Finanzierung des Kreml-Regimes deutlich zu reduzieren, haben wir bereits erste wichtige Schritte getan: Bis Herbst 2022 wird Deutschland unabhängig von russischen Kohle-Lieferungen sein, im Jahr 2021 bezogen wir noch mehr als 50% unserer Kohle-Einfuhren aus Russland. Den kompletten Kohleausstieg wollen wir wie im Koalitionsvertrag vereinbart bis 2030 erreichen. Die Abhängigkeit von Ölimporten konnten wir von 35 Prozent vor Beginn des Ukraine-Krieges halbieren. Ziel der Bundesregierung ist es, bis zum Ende des Jahres nahezu unabhängig von russischen Ölimporten zu sein. Den Anteil russischer Gaslieferungen nach Deutschland haben wir von 55 Prozent im letzten Jahr auf aktuell 35 Prozent gesenkt. Bis zum Sommer 2024 will die Bundesregierung eine schrittweise Reduzierung auf 10 Prozent erreichen. Gleichzeitig bereitet sich die Bundesregierung mithilfe des Notfallplans auf mögliche Liefereinstellungen Russlands nach Deutschland vor, die zu einem jetzigen Zeitpunkt zu gravierenden wirtschaftlichen Folgen führen würde. Dazu hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 21.07.2022 ein weiteres Energiesicherungspaket vorgelegt: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2022/07/20220721-bundesministerium-fur-wirtschaft-und-klimaschutz-legt-zusatzliches-energiesicherungspaket-vor.html.

Gleichzeitig ist es elementar, dass alle Sanktionen gegen Präsident Putin und seine Aggression auch so angelegt sind, dass wir sie langfristig aufrechterhalten werden können und sie in einer möglichst breiten europäischen und internationalen Allianz umsetzen können. Dabei gilt es eine Reihe von komplexen Fragen zu beachten: aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Systeme ist dies sowohl juristisch anspruchsvoll, politisch ist es bei vielen Maßnahmen auch eine Herausforderung den europäisch notwenigen Konsens herzustellen oder auch die Folgen auf die ärmsten Länder der Welt zu berücksichtigen.  Die Bundesregierung ist auch dafür verantwortlich sicherzustellen, dass auch im kommenden Herbst und Winter die Strom- und Wärmeversorgung in Deutschland gewährleistet ist. Es wird derzeit alles unternommen, um hier schnelle Alternativen zu fossilen Energien aus Russland sicherzustellen.

Unser Ziel muss es auch sein, unsere Energieversorgung langfristig unabhängig zu machen: durch Diversifizierung unserer Bezugsquellen, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen, durch den zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien und insbesondere indem wir alle Möglichkeiten, unsere Energieeffizienz zu steigern und Einsparungen voranzutreiben, vorrangig, konsequent und zügig ausschöpfen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, den Endenergieverbrauch bis 2030 um 24 Prozent zu senken – nachdem in den letzten zehn Jahren gerade einmal zwei Prozent eingespart wurden.  Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am 17. Mai einen Arbeitsplan Energieeffizienz vorgelegt, der wichtige Maßnahmen der Bundesregierung definiert, wie mehr Energie eingespart werden kann: mit finanziellen Anreizen, gezielter Förderung und Anpassung des regulatorischen Rahmens. Und der Bundeswirtschaftsminister und die gesamte Regierung arbeiten Tag für Tag daran, unsere Abhängigkeit noch schneller zu reduzieren.

Zudem hat die Bundesregierung in den Wochen vor Kriegsausbruch nichts unversucht gelassen, damit der russische Angriffskrieg am Verhandlungstisch und nicht mit Waffengewalt fortgeführt wird. Aktuell ist sehr offensichtlich, dass von russischer Seite nach wie vor kein Wille zu echten Verhandlungen und einem Ende der Gewalt vorhanden ist, sondern die Kriegsführung wird immer brutaler und skrupelloser. Es ist richtig, dass die harten Reaktionen auf diesen aggressiven Völkerrechtsbruch in einer breiten internationalen Allianz erfolgen.  Die Bundesregierung tut mit ihren internationalen Partnern alles dafür, mit härtesten Sanktionen im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich das System Putin mit voller Wucht zu treffen und es weltweit politisch zu isolieren. So erfolgen viele der historisch harten Sanktionen nicht nur von EU-Seite und in Absprache mit den USA, sondern in einem breiten Bündnis mit vielen anderen Staaten auf der ganzen Welt. Sehr früh hat das Auswärtige Amt neben seinen vielen Aufgaben in diesen schwierigen Tagen auf unserem Kontinent, in einer weltweiten Demarchenaktion mit dafür gesorgt, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit eine Resolution verabschiedet hat, die diesen Krieg von Wladimir Putin verurteilt und ein sofortiges Ende der Gewalt fordert. So konnte Russland durch sein bereits eingelegtes Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht verhindern, dass sich die Weltgemeinschaft in aller Klarheit und Eindeutigkeit positioniert hat. Die EU arbeitet auch nach den sieben bereits beschlossenen Sanktionspaketen kontinuierlich daran, Lücken zu schließen und an weitere Sanktionen auf den Weg zu bringen.

Nicht nur der Deutsche Bundestag hat mit seinem interfraktionellen Beschluss der von den Ampel-Fraktionen und der Union gefasst wurde, eine breite und entschlossene Unterstützung der Ukraine auf den Weg gebracht, die ähnlich wie der umfassende Kurs der Bundesregierung auch jenseits der nach wie vor dringend notwendigen Waffenlieferungen und Sanktionen eine Reihe von Hilfsmaßnahmen für die Menschen auf den Weg gebracht hat. Den Beschluss können sie hier nachlesen: https://dserver.bundestag.de/btd/20/015/2001550.pdf

Gleichzeitig gibt es im Angesicht des brutalen russischen Vernichtungskrieges, der nun seit fünf Monaten andauert, auch niemals ein genug getan und wir müssen uns diesen Kurs jeden Tag entschieden auf allen Ebenen fortsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

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