Frage an Albrecht Pallas bezüglich Innere Sicherheit

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Albrecht Pallas
SPD
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Frage von Frauke B. •

Frage an Albrecht Pallas von Frauke B. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Pallas,
Ich schreibe Ihnen, weil ich Ihnen meine Bedenken zum geplanten Polizeigesetz mitteilen und eine Antwort von Ihnen als verantwortlichem Politiker erhalten möchte.
Besonders kritisch sehe ich das Konzept des Precrimes, das in diesem Gesetz verfolgt wird. So sollen schwerwiegende polizeiliche Maßnahmen laut Gesetzentwurf bereits präventiv eingesetzt werden. Ausschlaggebend hierfür soll das „individuelle Verhalten einer Person“ sein, das darauf hindeutet, dass sie „innerhalb eines übersehbaren Zeitraums terroristische Straftaten begeht“. Diese vagen Eingriffsvoraussetzungen sollen Maßnahmen legitimieren, die stark in die persönliche Freiheit eingreifen noch im Vorfeld einer konkreten Gefahr: Aufenthaltsverbote, Telekommunikationsüberwachung u.a.
Diese Eingriffsvoraussetzungen sind äußerst vage. Diese -an das (Vor)urteil Einzelner gebundene - Rechtslage ist für mich keine Grundlage für demokratisches Engagement. Ich fürchte um meine grundrechtlichen Freiheiten, z.B. an Demonstrationen teilzunehmen, wenn ich befürchten muss, überwacht oder als Gefährderin eingestuft zu werden. Insbesondere für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, wird dieses Gesetz vermutlich mehr vermeintlich anlasslose Kontrollen bedeuteten, und damit kann diese Regelung nicht im Interesse der SPD liegen.
Ich bin gegen das Gesetz und möchte von Ihnen wissen: Wie gedenken Sie präventive Polizeimaßnahmen, die mit dem neuen Polizeigesetz legitimiert werden, zu kontrollieren, in ihrer Willkür einzuschränken und institutionellem Rassismus (den es in Sachsen und auch anderswo unstreitbar gibt) zu begegnen?
Erwartungsvoll,
F. B.

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Sehr geehrte Frau B.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte. Ich bin innenpolitischer Fachsprecher der SPD-Landtagsfraktion und begleite das geplante Polizeigesetz schon über einen langen Zeitraum. Ich kann mich noch sehr gut an die Vielzahl von Bedenken, Vorschlägen und Forderungen, aber auch Begehrlichkeiten erinnern, die in diesem Entscheidungsprozess diskutiert wurden. Vor diesem Hintergrund halte ich das Polizeigesetz in der Fassung, welche demnächst im Landtag beschlossen werden soll, für ein sehr ausgewogenes Ergebnis, das vor allem auch ein Plus an Transparenz und Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Polizeiarbeit schafft.

Das neue Polizeigesetz wird einerseits der Polizei ermöglichen, sich mit neuen oder gewachsenen Kriminalitätsphänomenen (z.B. schwere Eigentumskriminalität, Gewalt oder religiös bzw. politisch motivierte Kriminalität bis hin zu schwersten terroristischen Straftaten) angemessen zu befassen, um diese Phänomene zu bekämpfen. Andererseits verzichtet es im Gegensatz zu anderen Polizeigesetzen auf plakative, jedoch verfassungsrechtlich fragwürdige Befugnisse wie die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, den Online-Trojaner und einen unbegrenzt möglichen Polizeigewahrsam, wie sie etwa der Freistaat Bayern eingeführt hat.

Denn wir als SPD wollen, dass die sächsische Polizei auch in Zukunft handlungsfähig bleibt und für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sorgen kann. Gleichzeitig sollen die Menschen aber nur denjenigen polizeilichen Eingriffsmaßnahmen unterworfen werden, die für eine effektive Aufgabenerfüllung geeignet, erforderlich und in ihrem Grundrechtseingriff angemessen sind. Die Polizei muss nicht alle technisch möglichen Befugnisse bekommen, sondern die richtigen. Und je tiefer eine Befugnis in die Grundrechte eingreift, desto höher müssen auch die gesetzlichen Hürden sein. Deswegen haben viele der Polizeibefugnisse einen Richtervorbehalt.

Und vor allem muss sichergestellt sein, dass das polizeiliche Handeln - sowohl von den Behörden, aber auch von den einzelnen Polizeibediensteten - einer gesellschaftlichen Transparenz und wirksamen Kontrolle unterliegt. Der Staat muss in begründeten Fällen in die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen dürfen. Aber dies muss mit möglichst offenem Visier geschehen und gerichtlich überprüfbar sein.

Deswegen wird der Gesetzentwurf der Staatsregierung durch den am 28. März vom Innenausschuss beschlossenen Änderungsantrag von SPD und CDU auch in wesentlichen Punkten geändert:

* die Zentrale Vertrauens- und Beschwerdestelle (§ 98 PVDG) wird aus dem für die Polizei zuständigen Innenministerium ausgegliedert und bei der Staatskanzlei angesiedelt, um ihre Unabhängigkeit zu stärken
* die Kontrollrechte des Sächsischen Datenschutzbeauftragten (§ 94 PVDG) werden auf zwei zusätzliche Polizeibefugnisse ausgeweitet: § 57 (Offener Einsatz technischer Mittel zur Bild- und Tonaufnahme und -aufzeichnung, inkl. Bodycam) und § 58 (Anlassbezogene automatisierte Kennzeichenerkennung)
* auch die Berichtspflichten an den Landtag (§ 107 PVDG) werden auf mehr Befugnisse ausgeweitet: § 57 Abs. 4 u. 5 (Bodycam) und § 58 (Anlassbezogene automatisierte Kennzeichenerkennung); die Berichte werden als Parlamentsunterlagen auch der Öffentlichkeit zugänglich sein
* es wird eine Evaluation folgender neuer Polizeibefugnisse vorgesehen: Aufenthaltsverbot und Kontaktverbot (§ 21 Abs. 2 u. 3 PVDG); Bodycam (§ 57 Abs. 4 u. 5 PVDG); stationärer Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennung (§ 58 Abs. 5 PVDG); elektronische Aufenthaltsüberwachung (§ 61 PVDG)
* bei der neu eingeführten Bodycam (§ 57 PVDG) wird im Gesetz klargestellt, dass die Betroffenen ein Einsichtsrecht in die Aufnahmen haben.

Leider konnten wir bei der CDU keine Polizei-Kennzeichnungspflicht durchsetzen. Das finde ich nicht nur als Sozialdemokrat, sondern auch als gelernter Polizeibeamter sehr ärgerlich. Denn es geht bei der anonymisierten Kennzeichnungspflicht darum, polizeiliche Handlungen einzelnen Bediensteten im Nachhinein zuordnen zu können. Denn die Bürger/innen müssen die effektive Möglichkeit haben, polizeiliche Maßnahmen auf Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit.

Dass die von Ihnen erwähnten Polizeibefugnisse präventiv, also vor dem nachweislichen Begehen einer Straftat, zum Einsatz kommen können - sofern die im Gesetz enthaltenen Vorgaben erfüllt sind - ergibt sich aus der grundsätzlichen Aufgabe des Polizeivollzugsdienstes. Demnach hat die Polizei neben der durch die Strafprozessordnung geregelten Strafverfolgung die Aufgabe der vorbeugende Abwehr von Gefahren, was auch die Verhinderung von Straftaten mit einschließt. Das ist bereits jetzt in § 1 des Sächsischen Polizeigesetzes geregelt.
Dem Polizeigesetz kommt daher die Aufgabe zu festzulegen, ab welcher Gefahrenschwelle für welches Rechtsgut welche Polizeibefugnis unter welchen Vorgaben eingesetzt werden darf.

Lassen Sie mich das am Beispiel des von Ihnen erwähnten Aufenthaltsverbots darstellen:
Das klassische Aufenthaltsverbot ist bereits im gegenwärtigen Polizeigesetz in § 21 Absatz 2 Satz 1 enthalten. Dieser lautet: „Die Polizei kann einer Person für höchstens drei Monate den Aufenthalt in einem Gemeindegebiet oder -gebietsteil untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird.“

Falls der Polizeigesetzentwurf mit den von der CDU-Fraktion und SPD-Fraktion vorgesehenen Änderungen beschlossen wird, wird es hinsichtlich dieser polizeilichen Standardbefugnis künftig Einschränkungen geben. Denn der neue § 21 Absatz 1 des Entwurfs erlaubt diese Untersagung nur, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person dort innerhalb absehbarer Zeit eine ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird. Durch die Beschränkung auf Straftaten von erheblicher Bedeutung wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen. Bisher waren Art und Schwere der zu verhütenden Straftat nicht weiter eingegrenzt. Und die Ergänzung des Tatbestandsmerkmals „innerhalb absehbarer Zeit“ soll verhindern, dass die Polizei bei der Prüfung, ob die ihnen bekannten Tatsachen für eine hinreichende Gefährdungslage sprechen, einen unverhältnismäßig langen Zeithorizont zugrunde legt.

Klar ist allerdings auch: Bei der polizeilichen Gefahrenabwehr bedarf es regelmäßig einer Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit welcher Schaden an einem geschützten Rechtsgut eintreten wird. Und je mehr Gewicht das gefährdete Rechtsgut hat, je größer der zu befürchtende Schaden an ihm ist, desto weniger wahrscheinlich muss der tatsächliche Schadenseintritt nach verfassungsrechtlicher Rechtsprechung sein.

Deswegen wird die zum klassischen Aufenthaltsverbot hinzukommende Befugnis eines gerichtlich angeordneten Aufenthaltsverbots gemäß § 21 Absatz 2 des Polizeigesetzentwurfs einerseits mit geringeren Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und den Kausalverlauf ausgestattet, andererseits werden jedoch höhere Hürden bei den Rechtsgütern gesetzt und zusätzlich ein Richtervorbehalt festgelegt. Ein solches Aufenthaltsverbot soll für den Zeitraum von höchstens zwei Monaten für einen bestimmten Bereich möglich sein, wenn entweder
1. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person innerhalb absehbarer Zeit eine ihrer Art nach konkretisierte Straftat gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, begehen wird,
oder
2. das Verhalten der betroffenen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in überschaubarer Zukunft eine terroristische Straftat begehen wird.

Ein mögliches Fallbeispiel nach Nr. 1 könnte sein: Der Polizei ist bekannt, dass eine Person regelmäßig Orte besucht, in denen verfassungsfeindliche Vorträge gehalten werden und bei denen in der näheren Vergangenheit auch zu Straftaten gegen Menschen aufgerufen wurde. Von der Person wird dann bekannt, dass sie in den vergangenen drei Wochen zweimal den öffentlich zugänglichen Bereich des nahegelegenen Flughafens besucht, dort den Eingangsbereich und die öffentlich zugänglichen Bereiche begutachtet und hierbei Fotos und Aufzeichnungen angefertigt hat. Es ist auch bekannt, dass die Person nichts am Flughafen eingekauft und dort auch keine Personen getroffen hat. Von Beruf ist sie Friseur. In öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken hat sich die Person nach Einkaufsmöglichkeiten für Aceton erkundigt.

Die einzelnen zu der Person bekannten Tatsachen sind jeweils isoliert betrachtet kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass sie eine in Nr. 1 genannte Straftat begehen wird, in der Zusammenschau der einzelnen Tatsachen kann ein objektiver Beobachter jedoch zu der Annahme kommen, dass eine solche Straftat in absehbarer Zeit bevorsteht. Im Ergebnis muss die Polizei ein/n Richter/in davon überzeugen, dass das beantragte Aufenthaltsverbot geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, um die behauptete Gefahr abzuwenden.

Angesichts der hohen Schranken und des expliziten Richtervorbehalts halte ich diese zusätzliche Möglichkeit für das Verhindern von terroristischen Straftaten für sinnvoll und vertretbar. Sie richtet sich eben nicht an einen unbestimmten Personenkreis, sondern erfordert eine konkrete Gefahrenanalyse anhand einer einzelnen spezifischen Person und deren Handlungen.
Insofern halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass die Polizei nur aufgrund von Aktivitäten wie Demonstrationsbesuchen oder auch eines aktiven Engagements bei Demonstrationen versuchen würde, ein solches Aufenthaltsverbot bei Gericht zu beantragen. Genehmigen dürfte es der Richter auch nicht.

Auch die von Ihnen als zweite Befugnis erwähnte Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) halte ich für verhältnismäßig. Die verschiedenen Möglichkeiten im Bereich der TKÜ sind Standardmaßnahmen im Strafrecht, wenn es um die Aufklärung mittlerer oder schwerer Kriminalität geht. Aus meiner Sicht ist es ein wichtiges Ziel, dass die Polizei solche Straftaten möglichst verhindern soll.

Eine Untersuchung präventivpolizeilicher Befugnisse zur Verhinderung schwerer Straftaten 2015 durch die Innenministerkonferenz kam zu dem Ergebnis, dass in den Polizeigesetzen der Länder erhebliche Befugnislücken etwa zur Überwachung der Telekommunikation und für den Einsatz von sog. IMSI-Catchern oder Störsendern (Jammern) bestehen. Dadurch unterscheidet sich das Entdeckungsrisiko, dem sich potentielle terroristische Straftäter ausgesetzt sehen, je nachdem, in welchem Bundesland sie agieren, und kann ihre Handlungsmöglichkeiten begünstigen.

Die TKÜ zur Gefahrenabwehr ist auch verfassungsrechtlich zulässig. So hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit seiner Entscheidung betreffend das BKA-Gesetz konkrete Anforderungen für die Ausgestaltung solcher präventivpolizeilichen Regelungen abgeleitet, die sich auch im sächsischen Polizeigesetzentwurf wiederfinden.

Für den Einsatz dieser Befugnisse bestehen selbstverständlich hohe Hürden. So müssen hochwertige Rechtsgüter (Leben, Leib, der Bestand des Staates oder versorgungskritische Infrastruktur) gefährdet sein. Maßnahmen der TKÜ müssen durch einen Richter angeordnet werden. Es handelt sich im Übrigen nicht, um die sogenannte Quellen-TKÜ oder Online-Durchsuchung, mit denen Mobiltelefone unmittelbar verdeckt ausgespäht werden können. Diese lehnen die SPD und ich für das Polizeigesetz ab.

Ich hoffe, mit meiner Antwort all Ihre Fragen beantwortet und Ihnen aufgezeigt zu haben, wie ausgewogen, das neue sächsische Polizeigesetz ist. Für weitere Fragen auch zu anderen Themen stehe ich Ihnen sehr gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Albrecht Pallas

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