Welche Vorschläge hat Ihre Partei im Hinblick auf Getrennterziehende (einschl. Getrennterziehen-Wollende) und Getrennterzogene?

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Franziska Brantner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Felix H. •

Welche Vorschläge hat Ihre Partei im Hinblick auf Getrennterziehende (einschl. Getrennterziehen-Wollende) und Getrennterzogene?

Wie viele Alleinerziehende (Alleinerziehen-Müssende und Alleinerziehende-Wollende) gibt es in Deutschland im Vergleich zu Getrennterziehenden u. Getrennterziehen-Wollenden? Auf K. Göring-Eckardts öffentlichen nachhörbaren Appell hin wurde aus dem Wahlprogramm der Grünen ein Textbaustein (Antrag) zu Getrennterziehenden gestrichen. Welche Vorschläge hat Ihre Partei im Hinblick auf Getrennterziehende (einschl. Getrennterziehen-Wollende) und Getrennterzogene u. wie kann man ihre programmatische Unsichtbarmachung in Wahlprogrammen Ihrer Partei oder auch in Definitionskatalogen Statistischer Bundesämter - etwa durch stärkere Orientierung an feministisch-grün mitregierten Ländern wie Schweden - reformpolitisch reduzieren? Lässt sich der "lange Schatten der deutschen Mutter" (Prof.Vinken) mit Ihnen überwinden, und wenn ja, wie? Ist das Kindeswohl individuell, national oder EUropäisch? Ist f. Sie als europapolitische Sprecherin die einstimmige Europarat-Resolution 2079/2015 ein Thema? Inwiefern?

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Sehr geehrter Herr H.

der Begriff „alleinerziehend“ umfasst eine große Bandbreite an Lebensrealitäten und Herausforderungen. Er schließt sowohl Elternteile ein, die sich überwiegend allein um ein Kind kümmern – wie in den allermeisten Fällen –, als auch Eltern, die nach der Trennung einen erweiterten Umgang, ein paritätisches Wechsel- oder Nestmodell praktizieren. In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt knapp 1,5 Mio. Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. Das bedeutet, dass in jeder fünften Familie ein Elternteil allein mit seinen Kindern im Haushalt lebt. Häufig ist das die Mutter.

Auch wenn sich die Verteilung von Sorgearbeit teilweise gewandelt hat und Väter auch nach der Trennung zunehmend mehr Verantwortung in der Kindererziehung übernehmen: Noch immer leisten vor allem Frauen unbezahlte Sorgearbeit und auch Alleinerziehende sind in etwa neun von zehn Fällen Frauen. Gleichzeitig sind ihre Möglichkeiten nach einer Trennung, die Familie allein finanziell abzusichern, oft schlechter als die von Männern.

Paare, die sich Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen wollen, brauchen dabei volle Unterstützung von Anfang an dann haben sie auch nach einer Trennung bessere Voraussetzungen, diese partnerschaftliche Aufteilung fortzusetzen. Die strukturelle Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gehört endlich überwunden. Um die steuerliche Besserstellung von verheirateten Paaren über die Zusammenveranlagung einem Ende zu setzen, wollen wir das Ehegattensplitting durch eine individuelle Besteuerung ersetzen. Dadurch werden Kinder mit der Kindergrundsicherung direkt gefördert, unabhängig davon, wie ihre Eltern leben.

Familien sind so vielfältig wie das Leben selbst, so ist auch unser Anspruch an das Familienrecht: vielfältigen Familienkonstellationen gerecht zu werden. Dabei stehen für uns die Kinder und ihr Wohlergehen im Mittelpunkt. Deshalb sind wir dafür, dass nach einer Trennung beide Eltern weiterhin gemeinsam Verantwortung für ihr Kind tragen und sich entsprechend um ihr Kind kümmern.

Wie sich die Eltern diese Verantwortung im Alltag aufteilen, ist eine komplexe Frage und muss individuell beantwortet werden. Bei hohem Konfliktniveau ist das Wechselmodell für Kinder oft sehr belastend. Deshalb braucht es Einzelfallentscheidungen und keine starren gesetzlichen Lösungen. Wir wollen beide Eltern dabei unterstützen, trotz der Trennung gemeinsam Verantwortung für das Kind zu übernehmen.

Um getrennt erziehende Eltern bei der Ausübung ihrer Elternverantwortung zu unterstützen und Kinderarmut entgegenzuwirken, brauchen wir ein ganzheitliches Reformpaket. Dafür müssen rechtliche Hürden, die dem Wechselmodell im Wege stehen, identifiziert und abgebaut werden, etwa im Unterhaltsrecht oder durch einen Umgangsmehrbedarf im Sozialrecht. Änderungen im Unterhaltsrecht müssen ausgleichend und keinesfalls konfliktverschärfend wirken. Wichtig ist, dass Entlastungen des einen Elternteils nicht zu Belastungen für den anderen Elternteil führen. Jede gesetzliche Änderung muss den Vorrang des Kindeswohls gewährleisten und zum Ziel haben, das Einvernehmen der Eltern in Hinblick auf die Belange des Kindes zu fördern und zu unterstützen, weil das Kindeswohl durch die streitige Auseinandersetzung der Eltern belastet wird. Gleichzeitig sollte eine partnerschaftliche Aufteilung der Betreuung nach der Trennung möglich sein und getrennte Eltern sollen dafür bessere Rahmenbedingungen vorfinden.

Nach einer Trennung soll es für getrennt erziehende Eltern bei der Betreuung nicht zusätzlich knirschen, Mehrkosten für die Ausübung des Umgangs und Betreuungsleistungen müssen angemessen berücksichtigt werden. Bisher werden zusätzliche Ausgaben barunterhaltspflichtiger Elternteile, die ihre Kinder auch miterziehen und -pflegen, steuerlich nicht berücksichtigt. Wir wollen hierfür steuerliche Maßnahmen wie Entlastungsbeträge und Steuergutschriften prüfen, die Getrennterziehende besser unterstützen.  Damit wollen wir auch eine partnerschaftliche Übernahme von elterlicher Verantwortung nach der Trennung fördern. Eltern im SGB II Bezug können sich eine solche Aufteilung der Sorgearbeit oft nicht leisten. Um das zu ändern, wollen wir einen Umgangsmehrbedarf im SGB II einführen.

Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erreicht Alleinerziehende mit geringem Einkommen kaum. Statt einer Verdoppelung des Entlastungsbetrages wollen wir eine Steuergutschrift, die alle Alleinerziehenden in gleicher Höhe von ihrer Steuerschuld abziehen können.

Mit freundlichen Grüßen,
Franziska Brantner

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