SWIFT Austritt und Gashahn, wann wird beides abgedreht?

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Holger Becker
SPD
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Frage von Alexandra D. •

SWIFT Austritt und Gashahn, wann wird beides abgedreht?

Sehr geehrter Herr Becker,

ich bin in dieses wunderschöne Thüringen aus Bayern gezogen, in der Hoffnung, dass der Ost-West Konflikt doch endlich vorbei ist und ich in eine Generation des Friedens geboren wurde. Leider fühle ich mich seit gestern nur noch machtlos.
Aber ich möchte Ihnen versichern, die deutschen Bürger sind bereit Konsequenzen zu tragen! Ich zieh mir lieber im Winter eine Jacke Zuhause an, als meine Heizung mit dem Blut von Ukrainern zu bezahlen. Ich will nicht durch diese Regierung gezwungen sein, Russland zu finanzieren.
Ich möchte aber auch erneuerbare Energien, bitte versuchen Sie alles was geht, dass die Verfahren beschleunigt werden können, und nicht mehr jeder alles jahrelang durch Klagerei aufhalten kann!

Bitte stehen Sie FÜR den europäischen Gedanken, für die Ukraine und die Freiheit aller Menschen.

Mit freundlichen Grüßen,
Eine junge Mitbürgerin, der die Hoffnung in diese Welt ausgeht

Portrait Holger Becker
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau D.,

 

auf diesem Weg zunächst einmal vielen Dank für Ihre Frage bezüglich des Krieges in der Ukraine. Erlauben Sie mir, mit ein paar persönlichen Worten und Gedanken zu antworten:

Wir haben versagt.
Wir, das sind die freiheitlichen, demokratischen Staaten überall auf der Welt, das sind aber auch wir als Personen. Es ist uns nicht gelungen, wachsam zu sein vor den Entwicklungen in dieser Welt. Nun verändert der verbrecherische Überfall auf die Ukraine, der in Wahrheit ein Angriff auf alle Werte unserer freiheitlichen Demokratie ist, alles.
Er führt uns auf unglaublich brutale Weise vor, wie selbstzufrieden und blind wir waren, aber auch, was das Versäumnis bedeutet, in den letzten Jahrzehnten keine tragfähigen Mechanismen internationaler Konfliktlösung erarbeitet zu haben. Die Folgen des Überfalls des Kriegsverbrechers Putin auf die Ukraine werden uns lange beschäftigen. Das Wort Epochenbruch wurde hierzu verwandt, ich glaube, uns ist noch gar nicht klar, was das eigentlich bedeutet.
Was ist nun zu tun, was können wir tun? Ich bin sicher, diese Frage treibt alle Menschen um.

Als erstes müssen die Demokratien dieser Welt verstehen, dass dies ein Angriff auf uns alle ist. Sie müssen zusammenstehen und sofort das Putin-Regime mit maximalen wirtschaftlichen Sanktionen belegen. Dies beinhaltet einen sofortigen Ausschluss Russlands aus dem SWIFT System. Wir dürfen uns nicht länger hinter den Befürchtungen um oder den Kosten für unser Wirtschaftssystem verstecken. Jeder Tag, den wir ohne entschlossenes Handeln verstreichen lassen, bestärkt die Kriegsverbrecher und trägt am Ende nur zu noch höheren Kosten bei. Russland ist keine globale Wirtschaftsmacht. Das russische BIP in 2020 lag unter dem von 2008. Das ist ein weiterer Grund, warum Putin nicht zulassen konnte, dass sich die Ukraine weiter entwickelt. Nach den Umwälzungen des Euro-Maidans in der Ukraine war dieses Land nicht nur auf dem Weg, bei allen Problemen mit Korruption und Oligarchentum, freier und demokratischer zu werden, sondern war auch wirtschaftlich zunehmend erfolgreich. Dies hätte den Bürger:innen Russlands das Versagen Putins auf wirtschaftlichem Gebiet schmerzhaft vor Augen geführt und das durfte nicht sein.

Ich werde heute im Zuge der Sondersitzung des Bundestages dafür eintreten, deutlich weitgehendere Sanktionen einzufordern, Russland aus SWIFT auszuschließen und auch ein Ölembargo zu beginnen. Das wird die westlichen Länder wirtschaftlich treffen. Aber wir müssen uns unserer eigenen wirtschaftlichen Stärke besinnen, bereit sein, diesen Preis zu zahlen, denn das ist der Preis für unsere Freiheit, unsere Demokratie, unseren Wohlstand. Jeder Tag zählt dabei.
Die russischen Funktionseliten müssen umfassend sanktioniert werden. Das Einfrieren ihrer Konten und der Vermögenswerte, das Beschneiden ihrer Bewegungsfreiheit, das Verbot der sog. „Goldenen Visa“, das Einflugverbot ihrer Jets - all das mögen Nadelstiche sein, deren Symbolwert wir aber nicht unterschätzen dürfen. Wer von den verbrecherischen Handlungen eines Regimes profitiert oder es unterstützt, muss das in persönlicher, wirtschaftlicher und freiheitlicher Konsequenz spüren.
Drittens müssen umgehend ernsthafte Schritte unternommen werden, weltweite verstärkt Allianzen der demokratischen Nationen zu knüpfen. Wir müssen der Realität ins Auge blicken, dass wir uns gegenwärtig in einem Rückfall in Zeiten von Machtblöcken und Einflusssphären befinden. Hier sich nur auf die Überzeugungskraft unseres Wertesystems, mit dem wir noch dazu nicht gut umgegangen sind, zu verlassen und die Kräfte des freien Marktes, wäre kurzsichtig und langfristig gefährlich. Insbesondere das vereinigte Europa, das erfolgreichste Friedensprojekt des 20. Jahrhunderts, muss hier vorangehen. Wir brauchen endlich eine gemeinsame europäische Außenpolitik, gesamteuropäische Streitkräfte und letztendlich eine Republik Europa. 
Wir müssen auch lernen, die Kraft der Symbolik für diesen Kampf wieder zu nutzen. Auch hier haben wir vor allem als Bürger:innen versagt. Mir wird flau im Magen, wenn ich die Feeds auf Facebook oder anderer sozialer Medien lese, die mit einer Flut gesteuerter Falschinformation, Verleumdungen und Kampagnen einen direkten Angriff auf unser Wertesystem darstellen. Hier sind wir alle gefragt, solche Beiträge nicht unwidersprochen zu lassen, unser eigenes Medienverhalten zu hinterfragen und insbesondere der Erosion grundlegender Werte des gesellschaftlichen Lebens entgegen zu treten. Es gibt viele Dinge, auf die wir in den westlichen Demokratien stolz sein können. Gehen wir viel selbstbewusster damit um und verteidigen sie gegen alle Angriffe, auch oder gerade von innen.
Jetzt ist es Zeit, aus unserer bequemen Wohlstandsecke herauszukommen und mutige Entscheidungen zu treffen, politisch, wirtschaftlich, und auch privat. Die Welt schaut auf uns, auf Deutschland. Wie wir jetzt handeln, wird Einfluss haben, nicht nur auf das ukrainische Volk, sondern in unmittelbarem Zusammenhang auf die Republik Moldau und Georgien, denn ich bin mir sicher, diese Länder stehen als nächstes auf Putins Liste. 

Zum Schluss noch einige Anmerkungen:

1. Ich konnte mit dem Begriff Heldenmut nicht viel anfangen, er war mir immer fremd und auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte suspekt. Die Bilder aus Kiew und die Videos vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj haben mich diesbezüglich tief berührt. In Angesicht realer Todesgefahr an den Aufgaben seines Amtes nicht zu verzweifeln und seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Mut zu machen, hat mich unglaublich beeindruckt. Ich wünsche ihm von Herzen weiterhin diesen Mut und hoffe inständig, dass er diesen Krieg überlebt.

2. Mitten in der Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch rief mich eine Geschäftsfreundin an, die aus der Ukraine stammt und deren Eltern in Charkiv leben. Sie berichtete von Raketen- und Granateinschlägen während dieser Telefonate. Nie hätte ich gedacht, solche Nachrichten in meiner Lebenszeit über einen Krieg in Europa hören zu müssen. 

3. Wer redet, schießt nicht, war vorher das gängige Argument für die sicher notwendigen intensiven diplomatischen Versuche. Nun wird geschossen und es stellt sich die Frage, wie man mit Lügnern und Kriegsverbrechern reden soll. Ich befürchte, das wird auf der Führungsebene enorm schwer, wenn nicht gar unmöglich. Umso wichtiger sind die Kontakte zur russischen Zivilgesellschaft. Diese zu stärken, ihr Mut zu machen, zu unterstützen, wird unsere Aufgabe sein und bleiben. Diese Menschen demonstrieren unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihrer Freiheit. 
Die Welt steht vor globalen Problemen, insbesondere dem Klimawandel. Es gibt genug Ideen, Geld und auch die technischen Möglichkeiten, diese globalen Probleme zu lösen. Und dann verursacht ein einzelner, von Großmachtfantasien verblendeter Verbrecher einen Krieg, der globale Krisen und Erschütterungen zur Folge haben wird. Die Folgen dieses Wahnsinns zu bekämpfen, ist die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte. Beginnen wir heute damit, mutig und unverzagt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Holger Becker MdB

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