Frage an Lothar Binding bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Frage an Lothar Binding von Fabian B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Binding,

eine Studie der Universitäten Oxford, Cambridge und London zur gesundheitlichen Lage der griechischen Bevölkerung (Greece´s health crisis: from austerity to denialism - [Griechenlands Gesundheitskrise: Von der Sparpolitik zur Realitätsverweigerung; Anm. des Verfassers]) vom 22. Februar 2014 kommt zu m.E. alarmierenden Ergebnissen:

Die Senkung der Haushaltsausgaben für das Gesundheitsausgaben auf 6% des BIP (vgl. Deutschland: 11 % des BIP) durch die griechische Regierung vor dem Hintergrund der Sparauflagen der Troika hat laut der Studie beispielsweise zu folgenden Auswirkungen geführt:

- die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist von 15 im Jahr 2009 auf fast 1.000 im Jahr 2013 angestiegen
- in Korrelation zu einer gesteigerten Depressionsprävalenz stieg die Selbstmordrate zwischen 2007 und 2011 um 45 %
- die Zahl der Totgeburten stieg zwischen 2008 und 2011 um 21 %, gleichzeitig stieg die Kindersterblichkeitsrate zwischen 2008 und 2010 um 43 %
- Da Arbeitslose nach zwei Jahren der Erwerbslosigkeit ihre Krankenversicherung verlieren verfügen 800.000 Griechen über keinen Versicherungsschutz.

Die hier aufgeführten Ergebnisse und weitere Informationen können sie aus folgenden Artikeln entnehmen:
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(13)62291-6/fulltext
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitspolitik_international/article/855749/griechenland-toedliche-finanzkrise.html
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gesundheitspolitik_international/article/855749/griechenland-toedliche-finanzkrise.html

Die Bundesregierung war und ist maßgeblich an der Aufstellung der Griechenland obliegenden Sparauflagen und somit an deren Auswirkungen beteiligt. Ich bitte Sie daher darum, zu den Ergebnissen der Studie Stellung zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Fabian Breuer

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Sehr geehrter Herr Breuer,

vielen Dank für Ihre Frage. Es hätte der Studie „Greece´s health crisis: from austerity to denialism” nicht bedurft. Oder doch: für jene, die den Irrglauben haben, Kaputtsparen sei eine Reparaturmaßnahme. Sie verstehen besser was ich meine, wenn ich Ihnen meine Erklärung nach § 31 im Deutschen Bundestag Anfang 2012 zitiere. Dabei geht es natürlich nicht nur um physische und psychische Gesundheit bzw. Krankheit. Arbeitslosigkeit, Armut, fehlende Inklusion sind von ebenso großer Bedeutung.

Persönliche Erklärung nach § 31 GO-BT zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) auf Zustimmung zu Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik, Drucksache 17/8730 (TOP 1b) am 27. Februar 2012

„Am Freitag den 24. Februar 2012, erhalte ich den Antrag des BMF "Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungs­mechanis­mus­gesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisierungs­fazilität (EFSF) zugunsten der Hellenischen Republik". Dieser ist auch im Intranet des Bundes­tages als Drs. 17/8730 verfügbar. Die dem Antrag zugrunde liegenden Anlagen von ca. 750 Seiten waren als Drucksache 17/8731 im Intranet des Bundestages verfügbar und lagen dem Haushaltsausschuss am Freitag, den 24. Februar 2012, als Tischvorlage vor.

Die Entscheidung im Bundestag fällt heute am 27. Februar 2012.

Diese Beratungsfolge zur Vorbereitung einer Entscheidung über 154 Milliarden Euro, also einem Volumen, das etwa der Hälfte des Bundeshaushalts entspricht, kann dem Anspruch einer demokratischen Beteiligung des Parlaments bzw. der Entscheidungskompetenz des Parlaments nicht genügen.

Damit macht die Bundesregierung das Parlament zum Getriebenen der Finanzmärkte. Ursache für diese Entwicklung ist auch die extreme Wankelmütigkeit von Bundeskanzlerin Merkel, die mit ihrem Zick-Zack-Kurs - zunächst die „Eiserne Kanzlerin“, die keinen Cent für die Griechen geben will, dann die große Europäerin und Wahlkämpferin für den französischen Präsidenten, die nun doch die Notwendigkeit der Hilfen für Griechenland entdeckt - die Spekulation mit Staatsanleihen und Kreditausfallversicherungen angetrieben hat. Durch diese Zick-Zack-Bewegungen der CDU/CSU/FDP- Regier­ung ist nicht nur wichtige Zeit für die parlamentarische Beratung verloren gegangen - viel dramatischer ist es, dass nun viele Maßnahmen sehr spät kommen, die wir zu einer Zeit, in der die Kanzlern so eisern war, vermisst haben.

Schon dies allein wäre Grund genug, die Regierungsvorlage abzulehnen.

Gleichwohl habe ich meine Zustimmung zum Abschluss einer Vereinbarung über Not­maßnahmen der EFSF zugunsten Griechenlands in Form von Darlehen (2. Hilfspaket für Griechenland) erteilt, weil ein Staatsbankrott Griechenlands und alle mir bekannten Alternativen, Griechenland nicht zu helfen, Deutschland und Europa nicht nur finanziell unberechenbar hohe Kosten aufbürden würden; darüber hinaus wäre auch ein politisch unverantwortlich hoher Preis zu zahlen. Das Risiko einer Zustimmung ist abschätzbar, eine Ablehnung ist unkalkulierbar.

Viele Bürgerinnen und Bürger, Populärwissenschaftler und Lobbyisten haben mich aufgefordert, diesem Hilfspaket nicht zuzustimmen - in keiner einzigen Zuschrift gab es konkrete realistische, also realisierbare andere Lösungsvorschläge, in keiner Zuschrift wurden die Kosten bzw. der Preis der Ablehnung beziffert oder beschrieben.

Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass die finanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Griechenlands und damit Europas nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Länder und nur innerhalb der Europäischen Union gelingen kann.

Durch die oben genannten Verzögerungen in Folge der Wankelmütigkeit der Kanzlerin, war es möglich, dass reiche Griechen ihr Vermögen außer Landes brachten. Nun Griechenland in die Staatsinsolvenz zu schicken, würde die Beteiligung der Vermögenden an der Sanierung Griechenlands endgültig vereiteln, aber die Sparguthaben der Griechen mit geringerem Einkommen vernichten.

Leider ist die Regierung Merkel noch immer nicht auf dem Pfad, Griechenland mit einer neuen Sozialpolitik, mit Wachstumsimpulsen und einer Stärkung der Verwaltung zu helfen. Wahrscheinlich müssen diese Aufgaben andere, spätere Regierungen, lösen. Im Gegenteil werden gegenwärtig den Griechen Auflagen diktiert - als Voraussetzung zur finanziellen Hilfe - von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie in den geforderten Fristen erfüllbar sind. Ich denke dabei an Einschnitte in die Tarifautonomie, an Lohnkürzungen, an die Privatisierung des Gesundheitswesens, an ein neues Steuersystem, an Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst etc. etc. Diese Strangulierungsbedingungen werden Investoren abschrecken und Griechenland weder sozial- noch wirtschafts­politisch auf die Beine helfen.

Deshalb darf es nicht bei den jetzigen Beschlüssen bleiben - die Maßnahmen im Entschließungsantrag der SPD-Fraktion (Bundestagsdrucksache 17/8738) müssen dringend folgen. Andernfalls dient die Hilfe vornehmlich der Befriedigung der Gläubiger Griechenlands.

Mit teilweise gleichlautenden Formulierungen wie in der Erklärung von Rolf Schwanitz, kritisiere ich das bisherigen Handeln der Bundesregierung, die in ihrem Krisenmanagement stets zu spät und unterkomplex agierte - insbesondere,

* dass sich die Notmaßnahmen im 1. und 2. Hilfspaket zu einseitig auf die Stabilisierung der Staatsausgaben orientieren. Diese Orientierung hat die griechische Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben.

* dass die Maßnahmen in ihrer Unausgewogenheit einen sozialen Sprengstoff beinhalten, der geeignet ist, die Demokratie in Griechenland nachhaltig zu erschüttern.

* dass der finanzielle Nutzen der Maßnahmen überhöht und die Probleme bei deren Realisierung nur unzureichend beschrieben werden. Insbesondere die Zeitkorridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Regierung Griechenlands eingeräumt werden, sind zu kurz und erkennbar unrealistisch.

* dass eine Beteiligung privater Gläubiger zu spät erwogen und umgesetzt worden ist. Dadurch ist die Wirkung des Schuldenschnitts im Sinne einer nachhaltigen Entlastung Griechenlands erheblich reduziert worden.

* dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hinreichenden Wachstums­impuls für Griechenland (Marshall-Plan) ergänzt worden sind. Allein durch Fiskalpolitik kann eine nachhaltige Stabilisierung des griechischen Staats­haushaltes nicht gelingen.

* dass die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Griechenland gegenüber der deutschen Bevölkerung nur unzureichend beschrieben werden. Tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen und gesellschaftlichen Stabilisierung Griechenlands um eine Generationenaufgabe. Sie erfordert aber die Bereitschaft der Griechen zu schmerzlichen Veränderungen ebenso wie die Bereitschaft der Deutschen zur solidarischen Unterstützung.

* dass flankierende Maßnahmen in Deutschland - der Exportüberschuss Deutsch­lands hat seine Entsprechung in der Schuldenlage Griechenlands - bisher sträf­lich vernachlässigt, ja sogar abgelehnt wurden. Als einziges Beispiel sei hier nur der von CDU/CSU und FDP abgelehnte Mindestlohn genannt.

Heute auf den Tag genau vor 59 Jahren hat die damals junge Bundesrepublik Deutschland das Londoner Schuldenabkommen unterzeichnet. Nach der moralischen Katastrophe und dem unermesslichen Leid zweier Weltkriege haben damals 70 Staaten, darunter auch Griechenland, einem 50-prozentigen Erlass der deutschen Vor- und Nach­kriegs­schulden zugestimmt. Dieser Schuldenschnitt war zusammen mit dem Marshall-Plan die Grundlage für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik. Wir haben allen Grund, uns bei unseren heutigen Entscheidungen an die eigene Geschichte zu erinnern.“

Lothar Binding

Berlin, den 27. Februar 2012

Soweit meine Erklärung. Sie schreiben: „Die Bundesregierung war und ist maßgeblich an der Aufstellung der Griechenland obliegenden Sparauflagen und somit an deren Auswirkungen beteiligt.“ Indirekt haben Sie Recht. Gleichwohl dürfen wir auch jene nicht vergessen, die die Auflagen für die Programmländer tatsächlich definieren: die Troika. Leider waren deren Ideen für verschiedene Länder recht ähnlich. Und in Irland oder Spanien hat mehr funktioniert als in Griechenland…

Etwas schwer fällt mir Ihre monokausale Betrachtung: „… Sparauflagen der Troika hat laut der Studie beispielsweise zu folgenden Auswirkungen geführt“. Auch reiche Griechen, die keine Steuern bezahlten und bezahlen und Ihr Vermögen außer Landes brachten, tragen z.B. Verantwortung für die Verhältnisse in Griechenland. Auch die historische Situation, die Entwicklung der Gesellschaft im Umgang mit dem Staatswesen… Vieles wäre zu den Ursachen und Hintergründen zu sagen. Insofern verwende ich auch den Begriff „Marshallplan“ nur im übertragenen Sinne für „das richtige Hilfsprogramm“. Sie verstehen sicher, dass meiner Antwort der Finanzpolitiker anzumerken ist. Wenn Sie sich noch stärker für spezielle Fragen zur Gesundheitspolitik interessieren, sind Sie bei meinen Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss sehr gut aufgehoben.

Gute Zeit und viele Grüße, Ihr Lothar Binding