Frage an Lothar Binding bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

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Lothar Binding
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Frage an Lothar Binding von Manuel B. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Sehr geehrter Herr Binding,

ich habe mich jahrlang für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ausgebrochen, um die Spekulationen am Kapitalmarkt einzudämmen. Leider plant der Bundesfinanzminister eine Aktiensteuer statt einer Finanztransaktionssteuer.
Die Steuer soll laut dem Bundesfinanzministeriums nur den Aktienerwerb von deutschen Unternehmen mit einer Markapitalisierung von mehr als 1 Mrd. Euro betreffen.
Wie kann es denn sein, dass alle hochspukulativen Derivate davon komplett ausgenommen sind. Beispielsweise Zertifikate, Knockout-Zertifikate, Optionen, Optionsscheine, CFD's, Futures, der hochspekulative Hochfrequenzhandel etc. sind davon komplett ausgenommen! Diese Produkte sind meistens noch gehebelt. Bei einem Hebel von 50 wird mit einem Einsatz von 10.000 € mit 500.000 € spekuliert.
Was ist daran sozialdemokratisch und sozial gerecht, wenn Spekulaten von der Steuer befreit sind und Privatpersonen, die Aktien kaufen um für das Alter vorzusorgen, die Finanztransaktionssteuer zahlen müssen?

Hier ist genau erklärt, dass nur der Aktienerwerb besteuert wird.
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Video/2020/2020-02-19-scholz-finanztransaktionsteuer/2020-02-19-scholz-finanztransaktionsteuer.html

Vielen Dank im Voraus!
M. B.

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SPD

Sehr geehrter Herr Baumann,

vielen Dank für Ihre Frage hier bei Abgeordnetenwatch.de. Totgeglaubte leben länger. Das gilt auch für die Finanztransaktionsteuer (FTS). Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Finanztransaktionsteuer im europäischen Kontext einzuführen. Wir wollen (was wir schon viel früher wollten) nun die ersten Schritte zur Umsetzung dieser Steuer gehen.

Die Finanztransaktionsteuer soll zu einer faireren Besteuerung des Finanzsektors beitragen, der bisher weder einer allgemeinen Verbrauchsteuer noch einer besonderen Verkehrsteuer unterliegt. Ein höherer Finanzierungsbeitrag ist allein schon wegen der hohen Risiken, wie wir sie in der Bankenkrise 2008 gesehen haben, gerechtfertigt.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz setzt sich, gemeinsam mit dem französischen Finanzminister, Bruno Le Maire, dafür ein, die Finanztransaktionsteuer so einzuführen, wie sie bereits in Frankreich existiert. Damit konnten die beiden Finanzminister eine bald zehnjährige Blockade in den Verhandlungen, im Rahmen der sogenannten Verstärkten Zusammenarbeit, der 10 Mitgliedstaaten der EU überwinden. Im Dezember 2019 hat der Bundesfinanzminister einen Vorschlag für einen Richtlinientext an die anderen beteiligten Mitgliedstaaten übersandt.

Das vorgeschlagene Modell sieht eine Besteuerung des Erwerbs von Aktien großer Unternehmen vor, die ihren Hauptsitz in einem der an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten haben. Erfasst werden Unternehmen, deren Markt-kapitalisierung am 1. Dezember des vorangegangenen Jahres 1 Mrd. Euro übersteigt. Der Steuersatz soll 0,2 Prozent betragen.

Eine Finanztransaktionsteuer, die neben Aktien auch Derivate und andere, im Idealfall alle Finanzprodukte umfasst, wäre natürlich viel sinnvoller und bleibt unser Ziel. Eine umfassende Besteuerung würde auch Spekulationen, Ausweichreaktionen und der Aufblähung der Finanztransaktionen entgegen wirken. Eine solch breite Finanztransaktionsteuer ist aber im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit nicht konsensfähig. Die Richtlinie definiert allerdings nur die Mindestanforderungen an die FTS. Jedes Land der Verstärkten Zusammenarbeit kann eigenständig entscheiden, weitere Finanzprodukte in die Besteuerung einzubeziehen.

Die Kritik an der vorgeschlagenen Steuer, sie treffe vor allem einkommensschwache Kleinanleger und führe zu einer unangemessenen Steuerbelastung, hält einer seriösen Betrachtung nicht Stand. Dies belegt – sicher ungewollt – auch das letztes Jahr im Auftrag der FDP erstellte Gutachten von Hans-Peter Burghof und Robert Jung zur Finanztransaktionsteuer. Die Altersvorsorge einkommensschwacher Kleinanleger ist jedenfalls kein Grund auf die Steuer zu verzichten.

Der Anteil der von Privatanlegern gehaltenen deutschen Aktien ist relativ gering. Er beträgt bei den Dax-Aktien keine 18 Prozent (Quelle: Deutscher Investor Relations Verbund DIRK). Der Aktienbesitz nimmt außerdem mit dem Einkommen deutlich zu. Während von den Bürgern mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 2.000 Euro nur 6 Prozent Aktien besitzen, beträgt dieser Anteil bei Bürgern mit einem Nettoeinkommen über 4.000 Euro 31 Prozent (Quelle: Deutsches Aktieninstitut).

Überhaupt führt die Finanztransaktionsteuer für Privatanleger zu keiner hohen Steuerbelastung. Sie haben in der Regel einen langfristigen Anlagehorizont und sind nicht an kurzfristigen Kursgewinnen interessiert. Sie lassen deshalb Aktien für einen längeren Zeitraum im Depot liegen. Der niedrige Steuersatz von 0,2 Prozent und die niedrige Umschlaghäufigkeit, d.h. die Häufigkeit in der Aktien verkauft und vom Erlös wieder neue Aktien gekauft werden, führen zu einer geringen Steuerlast.

Dieses Ergebnis zeigen auch die Belastungsrechnungen des Gutachtens. Bei der von den Autoren im Falle konservativer Anlagestrategien unterstellten Umschlaghäufigkeit von 0,3 und dem Steuersatz von 0,2 Prozent ergibt sich nach einer Anlagedauer von 25 Jahren eine Steuerlast von gerade einmal 1,68 Prozent. In dieser Zeit ist ein Anlagebetrag allerdings von 10.000 Euro auf 46.032 Euro angewachsen. Die während der gesamten Zeit gezahlte Finanztransaktionsteuer beträgt 787 Euro. Bei einer Umschlagshäufigkeit von 0,5 steigt die Steuerlast auf 2,66 Prozent. Die Steuer beläuft sich dann auf 1.245 Euro.

Mit der vorgeschlagenen Finanztransaktionsteuer bleibt ein langfristiges Aktienengagement zum Vermögensaufbau oder die Altersvorsorge weiterhin attraktiv, denn die FTS spielt im Verhältnis zu anderen Kosten, die für Privatanleger anfallen, etwa Orderprovisionen oder Depotkosten, eine marginale Rolle. Nennenswerte negative Folgen auf das Anlage- und Sparverhalten sind also nicht zu erwarten. Diese Erwartung wird durch die Erfahrung in Frankreich und in anderen Staaten bestätigt, wo der Handel mit Aktien teilweise schon sehr lange einer Finanztransaktionsteuer unterliegt.

Darüber hinaus ist es uns natürlich ein besonderes Anliegen auch den Hochfrequenzhandel angemessen zu besteuern. Einerseits ist es bedauerlich dass der vollständige Hochfrequenzhandel nun nicht in der Bemessungsgrundlage zu finden ist. Andererseits allerdings umfasst die jetzt angedachte Finanztransaktionsteuer auch schon im ersten Schritt die Besteuerung der Schein-Orders, die zunächst gestellt, aber vor Ausführung wieder zurück gezogen werden, so dass extreme Kursmanipulation bei nicht sehr liquiden Werten möglich sind und damit der gesamte Hochfrequenzhandel einer starken manipulativen Beeinflussung unterliegt.

Der aktuelle Vorschlag ist der erste ernsthafte Schritt zu einer Besteuerung von Finanztransaktionen. Auf diesem Weg zu einer umfassenden Besteuerung möglichst aller Finanzprodukte wollen wir weiter gehen.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding