Frage an Britta Haßelmann bezüglich Soziale Sicherung

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Britta Haßelmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Johanna W. •

Frage an Britta Haßelmann von Johanna W. bezüglich Soziale Sicherung

Laut FAZ haben wir jedes Jahr in Deutschland mehr Abwanderung als Zuwanderung. Die Personen, die abwandern sind zum großen Teil hochqualifiziert.

Studierten Informatiker bzw. Informatikerinnen zum Beispiel bleibt häufig nichts anderes übrig, als in die USA oder nach Skandinavien bzw. Großbritannien auszuwandern, weil sie hier keine angemessen Ingenieurjobs finden, sondern immer nur als Handwerker, Programmierer oder Administrator, missbraucht werden. Beide Berufe, Programmierer und Administrator bedürfen kein Studium, sondern sind Ausbildungsberufe: Fachinformatiker Anwendungsentwicklung bzw. Systemintegretation. Studierte Informatiker sind mit Ingenieuren gleich zu setzen. Ein Ingenieur für Versorgungstechnik oder Elektrotechnik verlegt auch keine Rohrleitungen oder Kabel, dass machen Gas-Wasser-Installateure und Elektriker.

Ein weiteres Beispiel sind Ärzte. Sie wandern aus, weil die Arbeitsbedingungen in Deutschland katastrophal sind.

Was werden Sie gegen den hohen Abwanderstrom unternehmen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau W.,

vielen Dank für Ihre Frage. Man kann sie aus zwei Bereichen beantworten, von der Bildungs- und auch von der Arbeitsmarktpolitik.
Für die Bildung sind hierzulande nach dem Grundgesetz die Länder zuständig. Da kann der Bund und ich als Bundestagsabgeordnete nur bedingt eingreifen.

Doch erst einmal zur Abwanderung:
Nicht alle Personen, die abwandern, wandern auch für immer aus. In vielen, gerade hochqualifizierten Bereichen gehört es zur Karriereplanung, eine Zeit lang im Ausland gearbeitet zu haben.
In diesen Fällen ist der Auslandsaufenthalt nur ein Zwischenstopp. Motive zur Abwanderung sind je nach Person unterschiedlich und hängen auch von der Art des Berufes ab. Ich kann deshalb nicht pauschal antworten. So sind die Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland nicht so schlecht, dass sie "massenweise" zu einer Abwanderung führen würden.
Natürlich kursieren überall Beispiele, wie viel mehr man als Arzt oder Ärztin in Großbritannien verdienen kann oder wie viel familienfreundlicher Arbeitsbedingungen in Schweden sind. Richtig ist in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben wir hierzulande immer noch Nachholbedarf.
Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache: 2016 waren im Bundesgebiet 378.607 Ärztinnen und Ärzte tätig, 2.050 haben Deutschland im Jahr 2016 den Rücken gekehrt.
An der Größenordnung von gerade mal 0,5% können Sie sehen, dass es sich nicht um ein Massenphänomen handelt. Was aber nicht heißen soll, dass man nicht unser Gesundheitssystem und die Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte und Menschen in Pflegeberufen insgesamt verbessern sollte.
Auch um notwendige Strukturreformen im Gesundheitswesen finanzieren zu können und eine gerechtere Versorgung für die Zukunft sicherzustellen, schlagen wir die Einführung einer Bürgerversicherung vor, in der alle versichert sind und einzahlen, auch Ärzte, Rechtsanwälte und Gewerbetreibende und Beamte.

Zu den IT-Fachkräften und IngenierInnen:
Den Umgang der deutschen Wirtschaft mit qualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren, aber auch mit IT-Fachkräften haben wir schon oft kritisiert.
Viele Unternehmen beklagen einen Mangel, tragen aber gleichzeitig dazu bei, weil sie zu wenig ausbilden und vor allem zu wenig weiterbilden.
Wer über 50 Jahre ist oder mehr als ein Jahr aus dem Beruf heraus war, wird oft nicht mehr eingestellt.
Das ist angesichts der demografischen Entwicklung nicht verantwortlich. Auch Familienauszeiten oder Auszeiten für die Pflege von Angehörigen oder Weiterbildung werden so unmöglich gemacht.
Hier muss man gegensteuern. Wir brauchen Veränderungen, die mehr Work-Life-Balance und Qualifizierung ermöglichen.

Man kann aber Unternehmen nicht vorschreiben, wie sie ihre Personalentscheidungen treffen. Das gehört zur unternehmerischen Handlungsfreiheit.

Wenn es um Bildungsfragen geht, sind wie gesagt, die Länder zuständig, was wir mit unserer Forderung nach Aufhebung des Kooperationsverbotes in der Bildung im Grundgesetz ändern wollen. Im Augenblick erlaubt das Grundgesetz jedoch nur, dass der Bund im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik eingreifen kann. Hier setzen wir uns von Bundesseite für mehr Weiterbildung, Qualifizierung und Lebenslanges Lernen ein. Z.B. durch unser Konzept "BildungsZeitPlus" und den grünen Ansatz einer "Arbeitsversicherung" anstelle der bisherigen Arbeitslosenversicherung.

Um es kurz zu erläutern:
Um Arbeitslose und Menschen, die Arbeit haben, für Berufe mit Zukunft fit zu machen und damit ihre Jobchancen zu verbessern, brauchen sie Qualifizierung und Weiterbildung. Dafür wollen wir die Arbeitslosenversicherung zu einer umfassenden Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Sie soll neben arbeitslosen Menschen auch für Beschäftigte und Selbständige da sein, sie absichern und beraten.

Mit unserem grünen Modell der "BildungsZeitPlus" legen wir einen Plan vor, der lebenslanges Lernen für alle ermöglichen soll.
Aus einem Meister-BAföG für zu wenige wollen wir eine gerechte Weiterbildungsförderung für alle machen. Gute Bildung kostet Zeit und im Erwerbstätigen Alter auch Geld. Beides ist für viele Menschen nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Damit in Zukunft alle Menschen, unabhängig von ihrer individuellen Lebenssituation, an Weiterbildung teilnehmen können, möchten wir das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz so umbauen, dass es diesen Namen auch verdient. Mit einem individuellen Mix aus Zuschuss und Darlehen möchten wir dafür sorgen, dass gerade die Gruppen, die heute noch viel zu selten an Fort- und Weiterbildungen teilnehmen, die Kosten für Maßnahme und Lebensunterhalt während der Bildungsphase aufbringen können. Weil Bildung aber nicht nur Geld, sondern auch Zeit kostet, fordern wir die Bundesregierung auf, Arbeitszeitreduzierungen für Fort- und Weiterbildungen deutlich zu erleichtern. Ein Rückkehrrecht auf den alten Stundenumfang soll dabei vor allem Berufstätige ermutigen, nicht aus Angst auf spätere Nachteile auf Weiterbildung zu verzichten.

Die von Ihnen angesprochene Problematik hat viele Aspekte. Hier sind nur einige ausgeführt.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Britta Haßelmann

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