Frage an Ioannis Varoufakis von Rolf M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Ich freue mich sehr, dass Sie in Deutschland kandidieren, weil Sie zu den wenigen politischen Persönlichkeiten gehören, die nicht nur rechtschaffene Sacharbeiter sind, sondern über den aktuellen Tag hinauszudenken vermögen.
Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich die Programme zur Europawahl von DiEM25 und der deutschen Partei DIE LINKE eher wenig unterscheiden. Wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede?
Vielen Dank! Wir stehen tatsächlich Teilen der LINKEN recht nah - Katja Kipping war lange Zeit im Beratergremium der Bewegung DiEM25. Deshalb tat es uns weh, DIE LINKE nicht einfach bei der Europawahl unterstützen zu können, aber es gibt zu große Unterschiede in dem, was wir in den nächsten 5 Jahren auf europäischer Ebene erreichen wollen.
Zum einen gibt es Unterschiede in der Haltung zu Flucht und Migration. Wir stehen für ein Europa der offenen Grenzen, nicht nur innerhalb der EU sondern auch nach außen. Dem Sterben auf dem Mittelmeer und den Internierungscamps auf dem afrikanischen Kontinent, die verhindern sollen, dass Geflüchtete ihr Menschenrecht auf Asyl wahrnehmen können, muss ein Ende gesetzt werden. Viele Linke teilen diese Ansicht, aber es gibt auch viele, die sie nicht teilen, und man hat als Wähler keinen Einfluss darauf, wer tatsächlich nachher im Europaparlament sitzt.
Zum anderen klingt das Programm der LINKEN zwar gut und es gibt wenig, an dem man etwas aussetzen könnte, aber es fehlen konkrete Lösungen. Insbesondere Lösungen, die sich ohne Änderung der europäischen Verträge (eine Vertragsänderung ist praktisch unmöglich) ab sofort durchsetzen ließen. Unser Wahlprogramm enthält innovative Vorschläge, wie wir ab sofort mit den bestehenden EU-Institutionen innerhalb der bestehenden Verträge die Armut bekämpfen, die Staatsschulden- und Bankenkrise endlich überwinden und durch einen Green New Deal effektiv den Klimawandel bekämpfen könnten, während gleichzeitig überall in Europa neue Jobs entstehen.
Diese Europawahl ist wahrscheinlich die letzte, die noch etwas gegen die Klimakrise, gegen die wachsende Salonfähigkeit von Fremdenfeindlichkeit und gegen die Massenabwanderung von jungen, gut ausgebildeten Leuten aus der Peripherie ins Kerneuropa ausrichten kann, deshalb reicht ein "nettes" Programm nicht: wir erwarten von allen Parteien einen konkreten Plan für Europa. Leider behandeln viele Parteien die Europawahl wie eine verbesserte Meinungsumfrage; ihr Augenmerk ist ganz auf der nationalen Politik und zum Thema Europa hört man bestenfalls Allgemeinplätze. Wir jedoch arbeiten seit drei Jahren ausschließlich an einem Programm für Europa und wir haben es jetzt geschafft, dass Parteien in 9 Ländern im "European Spring" mit dem gleichen Programm zur Europawahl antreten, in Deutschland unter dem Namen "DEMOKRATIE IN EUROPA - DiEM25".